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Krawalle: Ungarns Premier will Ordnung wiederherstellen

Nach den schwersten Unruhen seit dem Volksaufstand vor 50 Jahren hat Ungarns sozialistischer Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany die Wiederherstellung der Ordnung "mit allen Mitteln" angekündigt.

Budapest - Meinungsfreiheit rechtfertige keine Gewalt, sagte der Regierungschef laut der ungarischen Nachrichtenagentur MTI. Einen Rücktritt lehnte er ab und kündigte stattdessen an, dass die "notwendigen Reformen" beschleunigt würden. In der Nacht hatten tausende rechtsgerichtete und rechtsextreme Demonstranten den Sitz des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders MTV in Budapest angegriffen und vorübergehend besetzt. Zahlreiche Menschen wurden verletzt.

Die Polizei riegelte den Szabadsag-Platz, wo sich das Fernsehgebäude befindet, am Dienstag weiterhin hermetisch ab. Verkohlte Autowracks, aus ihren Verankerungen gerissene Bänke und umgestürzte Mülleimer zeugten dort von der Gewalt der Nacht. Amtlichen Angaben zufolge waren unter den mehr als 150 Verletzten mehr als hundert Sicherheitskräfte. Ein Polizist wurde schwer verletzt.

Rechtsextreme wollen Regierung "beerdigen"

Gegen Dienstagmittag versammelten sich bis zu 300 Anhänger der rechtsextremen Jobbik-Partei vor dem Parlament um ein Holzgerüst mit einem Sarg, um ihrer Forderung nach "Beerdigung" der Gyurcsany-Regierung Nachdruck zu verleihen. Vom Parlament aus waren am Vorabend bis zu 3.000 Gegner des Ministerpräsidenten, mit denen sich die rechtskonservative Fidesz-Partei solidarisch erklärte, zum Szabadsag-Platz weitergezogen. Die zahlenmäßig deutlich unterlegene Polizei hatte zunächst einen Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt, um die Menge auseinanderzutreiben. Einigen Teilnehmern der Kundgebung gelang es jedoch, in das Fernsehgebäude einzudringen, um dort eine Petition zu verlesen. Erst in den frühen Morgenstunden konnte die Polizei sie wieder aus dem Gebäude drängen.

Justizminister Jozsef Petretei begründete die geringe Zahl der Sicherheitskräfte damit, dass die Budapester Polizei auf eine friedliche Kundgebung eingestellt gewesen sei. Zudem habe es auch in anderen Städten Demonstrationen gegeben. Den von Petretei angebotenen Rücktritt nahm der Regierungschef nicht an. Gyurcsany berief das nationale Sicherheitskabinett zu einer Sitzung ein und kündigte an, dass das Parlament noch am Dienstag zu einer Sondersitzung zusammentreten werde.

Der ungarische EU-Kommissar und frühere Außenminister Laszlo Kovacs rief alle politischen Kräfte des Landes zur Wiederherstellung der Ordnung auf. Es sei im Interesse aller Ungarn, aber auch der Europäischen Union insgesamt, dass sich die Lage rasch stabilisiere, sagte der in der EU-Behörde für Steuer- und Zollfragen zuständige Sozialist in Brüssel. Ungarns hohem Haushaltsdefizit sei mit Blick auf die geplante Einführung des Euro nur mit einem strikten Sparprogramm beizukommen.

Steine fliegen, Autos brennen

Der oppositionsnahe private Fernsehsender Hir zeigte Bilder von den gewalttätigen Protesten auf dem Szabadsag-Platz. Wütende Demonstranten, unter ihnen viele ultrarechte Nationalisten, setzten parkende Autos in Brand, bewarfen einen Wasserwerfer der Polizei mit Steinen, schlugen auf die Fenster ein und sprangen auf das Wagendach.

Anlass für die Proteste war eine von Gyurcsany im Mai hinter verschlossenen Türen gehaltene Rede vor Abgeordneten seiner Partei, die der ungarische Rundfunk am Sonntagabend ausstrahlte. Darin erklärte der Ministerpräsident, die Regierung habe in den vergangenen Monaten gelogen und während des Wahlkampfs verschwiegen, dass sie nach der Parlamentswahl im April eine strikte Sparpolitik verfolgen werde. Gyurcsanys sozialistisch-liberale Regierungskoalition war bei dem Urnengang im Amt bestätigt worden. Nach dem Wahlsieg kündigte sie eine Reihe unpopulärer Maßnahmen an, unter anderem Steuererhöhungen und eine Streichung von Subventionen. (tso/AFP)

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