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Für seine Gebietsreform fehlte Dietmar Woidke die Unterstützung.

© Bernd Settnik/dpa

Kreisgebietsreform in Brandenburg: Die größte Niederlage des Dietmar Woidke

In wenigen Sätzen verkündet Ministerpräsident Dietmar Woidke das Ende der Kreisgebietsreform für das Land Brandenburg – und damit die größte Niederlage seiner politischen Karriere.

Brandenburgs Regierungschef lässt sich jetzt erst einmal in aller Seelenruhe durch die Meyenburger Fabrik führen, in der Möbel für Ikea und andere Ketten hergestellt werden. Er spricht jeden Arbeiter an, beäugt die Roboter, die Spanplatten stapeln und zusammenschrauben, macht Scherze, schüttelt Hände. Und erzählt irgendwann, dass in seinem Arbeitszimmer zu Hause selbst so ein Billy-Regal stehe. Und manchmal wirkt der 1,98 Meter große Hüne dabei so, als wäre alles wie immer, ein Landesvater auf Tour, als habe er nicht gerade die größte Niederlage seiner politischen Karriere verkündet.

Ein paar Minuten erst ist es her, dass Dietmar Woidke an diesem nasskalten Mittwochmorgen um 9.30 Uhr auf dem Parkplatz in die Fernsehkameras die Nachricht verkündet hat: Es sind nur ein paar Sätze, keine zwei Minuten. Und schon ist die geplante Kreisgebietsreform für das Land Brandenburg abgesagt, bei der auch die Prignitz, der Landkreis, in dem Meyenburg und die Möbelfabrik liegen, mit dem Nachbarkreis fusionieren sollte.

Eine Reform, die Woidke 2014 angestoßen hatte, mit der er und seine Regierung sich seitdem herumgequält haben, die das Bundesland mit seiner eher unaufgeregt geltenden Bevölkerung immer mehr in Wallung brachte. Und nun? „Im Landtag wird es keine Abstimmung geben“, sagt Woidke. Die Gesetzentwürfe würden zurückgezogen, ersatzlos, die geplanten Millionen für Infrastruktur, Digitales. Kurz und schmerzlos. Schluss. Vorbei.

Alles wie immer? Der Morgen hatte für Woidke um 8.30 Uhr mit Telefonschaltkonferenzen begonnen, in denen er dem Landesvorstand und der Landtagsfraktion seine Entscheidung verkündete. Er sei klar, „nicht zerknirscht gewesen“, sagt einer, der in der Leitung war. Wie es ihm gehe? Es sei ihm nicht leicht gefallen, aber nun sei er erleichtert, sagt Woidke beim Rundgang. „Wenn eine Entscheidung erst einmal gefallen ist, dann ist es auch nicht mehr belastend. Und ich habe ja eine evangelische Grundfröhlichkeit.“ Nur eine lange, anstrengende Nacht sei es gewesen, wegen der vielen Telefonate. Mit dem Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, mit Christian Görke, dem Parteichef und Finanzminister von den Linken, der gerade am Roten Meer Urlaub macht.

Übersteht er die Krise?

Und nun? Übersteht Brandenburgs Ministerpräsident diese Krise? Wie eng alles ist, wie knapp es war, offenbart am Ende des Besuchs in der Möbelfabrik eine improvisierte Pressekonferenz. Da wird der hiesige Landrat gefragt, auch ein Sozialdemokrat, wie er das alles findet. Und er antwortet: „Ich sage: Die Entscheidung war überfällig. Und sie war alternativlos.“ Deutlicher hätte man nicht formulieren können, dass Woidke mit dem Rücken an der Wand stand. Der Regierungschef wollte widersprechen, und ließ es.

Regierungschef von Brandenburg, oft schien es so, als sei Dietmar Woidke für dieses Amt gemacht. Nie wirkte dieser Mann vom Land wie einer, den es woanders hinzog, etwa in die hohe Berliner Politik, mit dem Posten als Ministerpräsident als politischer Bedeutungspumpe. Dietmar Woidke aus Forst hat seinen Lebensmittelpunkt noch immer dort, in der Lausitz, an der deutsch-polnischen Grenze gelegen, auf einem Bauernhof, der sich seit Jahrhunderten im Familienbesitz befindet. Nur als junger Mann war der heute 56 Jahre alte Politiker mal für ein paar Jahre weg – als Student an der Berliner Humboldt-Universität. 1993 trat er in die SPD ein, 1994 gewann er sein erstes Landtagsmandat im Spree-Neiße-Kreis.

Seitdem ging es stetig aufwärts. Bald saß er in wichtigen Ausschüssen. 2004 wurde er Minister für ländliche Entwicklung, Umwelt- und Verbraucherschutz. 2009 übernahm er den Fraktionsvorsitz, 2010 wurde er Innenminister – als Nachfolger des schillernden Rainer Speer. Der hatte sich mit der Polizeireform Ärger aufgeladen, mit dem es fortan Woidke zu tun hatte: Weniger Polizei – das kommt bei einem gern links wählenden, aber im Grunde konservativen Landvolk nicht gut an, schon gar nicht in einer Zeit, in der Autodiebstähle, Einbrüche und der Diebstahl von Traktoren zur Landplage geworden sind. Rund 1800 Stellen, das gehörte zur Polizeireform, sollten abgebaut, die Struktur der Polizei verändert werden.

Massiver Widerstand

Schon diese Erfahrung als Innenminister hätte Woidke die Lehre mitgeben können, dass Strukturreformen nur wenig politischen Ruhm mit sich bringen. Doch 2013 wurde er dritter Ministerpräsident Brandenburgs, und in seiner ersten Regierungserklärung kündigte er die nächste Reform an: „Ich sage es ganz deutlich: Aus meiner Sicht sind 18 komplette Kreisverwaltungen für ein Bundesland wie Brandenburg zu viel.“ Woidke versprach Effizienz und Bürgernähe einer reformierten Verwaltung, die Vorteile „unseres digitalen, mobilen Zeitalters“ sollten stärker genutzt werden.

Doch Verwaltungsreformen haben auf viele Leute stets den gleichen Effekt: Sie meinen, es werde ihnen etwas genommen, wenn der Staat behauptet, unbedingt sparen zu müssen. Auch wenn man als Bürger allenfalls ein, zwei Mal im Jahr direkt mit dem Amt zu tun hat, fühlt es sich nicht gut an, wenn der Staat Arbeitsplätze abbaut. Wirklich negativ sind die Folgen für alle, die ehrenamtlich Politik machen, als Stadtverordnete oder Abgeordnete im Kreistag oder im Vorstand einer Parteigliederung. Für sie bedeuten veränderte Verwaltungszuständigkeiten oft noch deutlich mehr Stunden im Auto, noch weniger Zeit für die Familie.

Und es war nicht die erste Verwaltungsreform, mit der die Politik die Brandenburger beglückte. Da war nach 2001 zum Beispiel die Gemeindegebietsreform mit veränderten Behörden, Zuständigkeiten und zahllosen Gerichtsverfahren über die Zulässigkeit der Neuordnung – einschließlich dem auf dem Land nicht zu unterschätzenden Gefühl, im Dorf oder der kleinen Stadt etwas von der politischen Selbstständigkeit zu verlieren.

Woidke hatte seine Regierungserklärung kaum gehalten, da war zu ahnen, dass die angekündigte Reform auf massiven Widerstand stoßen würde. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte voraus, sie werde noch mehr Menschen dazu bringen, ländliche Regionen zu verlassen. Die Grünen kritisierten die stümperhafte Vorbereitung. Die CDU machte sich zur Fürsprecherin allen Unmuts und aller Befürchtungen und gerierte sich als Verteidigerin des ländlichen Brandenburgs. Fraktionschef Ingo Senftleben unternahm eine Informationsreise durch Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen.

„Das war der Punkt“

Gerade beim nördlichen Nachbarn haben sich die negativen Folgen einer Gebietsreform gezeigt. Seit 2011 ist Mecklenburg-Vorpommern in sechs Großkreise eingeteilt, um Geld zu sparen. Es entstanden die größten Landkreise Deutschlands – und bizarre politische Teilhabe-Modelle wie rotierende Kreistage, damit deren Abgeordnete nicht immer hundert Kilometer zur Sitzung fahren müssen. Allenthalben kam es zu Streitereien über neue und alte Zuständigkeiten, Schuldenübernahmen und Kompetenzverluste. Politisch profitiert hat davon wahrscheinlich die AfD.

Der Brandenburger CDU-Mann Senftleben jedenfalls erklärte nach seiner Informationsreise, es sei an der Zeit, die Debatte über die Reform nicht in Potsdam zu führen, sondern in der „jeweiligen Heimat der Brandenburger“. Das war nicht so elegant gesagt, traf aber genau die Gefühle der Leute. Wie sehr sich Woidke und sein Innenminister über die Durchsetzbarkeit der Reform getäuscht hatten, zeigte sich schließlich bei einer Anhörung vor acht Tagen. Nicht ein SPD-Politiker aus einer Stadt, einem Landkreis oder einem Dorf plädierte für die Reform. Sogar der Mann, der das Projekt an wenigsten zu fürchten hatte, weil er nicht davon betroffen sein würde, der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs, nannte sie einen „Irrweg“.

Eigentlich sollte das Aus für die Kreisreform erst nächste Woche verkündet werden, nach den Herbstferien. Die Berichterstattung des Tagesspiegels sei der Grund gewesen, dass man es vorgezogen habe, sagt Woidke.

Am Mittwochvormittag in Meyenburg das offizielle Besichtungsprogramm beginnt, nimmt sich Woidke einen Moment, um persönlich etwas mit dem Mann neben ihm zu besprechen. Er entschuldigt sich bei ihm, beim Landrat Torsten Uhe, und zwar für ebendiese desaströse Anhörung im Innenausschuss des Landtages vor acht Tagen. Diese Anhörungen waren es, nach denen selbst für den Regierungschef das Maß voll, nach denen ihm klar gewesen sei, dass sein Kampf um diese Reform verloren war. „Das war der Punkt.“ So wird er es an diesem Tage mehrfach wiederholen.

Keine Reform gegen die Kommunen

Uhe, aus der Prignitz nach Potsdam angereist, war damals der letzte, der nach stundenlangem Warten kurz vor halb drei am Morgen drangekommen war, mit seinem Nein. „Früh um fünf war ich zurück, dann beim Bäcker, bin dann ins Amt.“ Woidke schüttelt den Kopf, mit einer Miene, die Bände spricht, einer, der seinen Entschluss bestätigt sieht. Nein, es ging wirklich nicht mehr, man könne keine Reform gegen die Kommunen machen.

Ausgestanden ist die Sache aber noch lange nicht. HatWoidke daran gedacht abzutreten wie Stanislaw Tillich in Sachsen? „Nee!“ Aber schon bei Fragen, wer die Verantwortung für die gescheiterte Reform, für die aufgerissenen Gräben im Land übernehme, fällt die Antwort nachdenklicher aus. „Es ist nicht der Tag der personellen Konsequenzen.“

Doch während Woidke noch in der Prignitz herumfährt, gibt in Potsdam seine Generalsekretärin Klara Geywitz ihren Rücktritt bekannt. Man trenne sich „in gegenseitigem Einvernehmen“. Was man so sagt, wenn das Vertrauen gestört ist, wozu immer zwei gehören. Hier Woidke, der nicht verstand, warum Geywitz und andere die Reform immer noch durchziehen wollten. Da seine Generalin, die sich bei Woidkes Schwenk übergangen fühlte.

Erst vor einem Jahr hatte der Ministerpräsident seinen Staatskanzleichef und den damaligen Regierungssprecher ausgewechselt. Es sind schon erstaunlich viele aus dem früheren Potsdamer Machtzentrum, die inzwischen am Wegesrand blieben. Es sind Verluste, die neue Gefahren bergen. Geywitz war inzwischen dabei, für die SPD die nächste Landtagswahl vorzubereiten, hatte sich im Sommer vor der Trump-Wahl in den USA umgeschaut. In Brandenburg war die SPD bei der Bundestagswahl auf Platz drei hinter der AfD abgestürzt. In Meyenburg, kurz bevor Woidke weiterfährt zum nächsten Termin seiner Heimattour, wird er nach Geywitz gefragt, zur Nachfolge. Und da wird Brandenburgs Regierungschef sehr, sehr einsilbig.

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