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Auch am Montag ging der Protest weiter. In Minsk zeigten Menschen Bilder der vergangenen Tage.

© Dmitri Lovetsky/AP/dpa

Kreml warnt vor „Abnabeln von Russland“: Moskau will sich in Belarus alle Optionen offenhalten

Der Kreml wirft der belarussischen Demokratiebewegung antirussische Einstellungen vor. Was es mit der Verbalattacke auf die Opposition auf sich hat.

Von Oliver Bilger

In der Krise in Belarus richtet sich der Blick auch immer noch weiter nach Osten, nach Moskau. Präsident Alexander Lukaschenko hat Russlands Staatschef Wladimir Putin um Hilfe gebeten.

Jetzt bringt sich der Kreml rhetorisch gegen die Opposition in Stellung. Der neue Koordinierungsrat für einen friedlichen Machtwechsel arbeite an einer Abkehr des Landes vom Nachbarn Russland, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag. In einigen Dokumenten des Gremiums sei „der Schwerpunkt auf das Abnabeln von Russland gelegt“ worden, sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Zuvor hatte bereits Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärt, im Koordinierungsrat der Opposition würde eine ganze Reihe von Menschen mit antirussischen Einstellungen arbeiten. Swetlana Tichanowskaja, die bei der Wahl gegen Lukaschenko angetreten war, warf er vor, in ihrem Programm den Austritt von Belarus aus der von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion angestrebt zu haben, ebenso wie aus dem Vertrag über kollektive Sicherheit, der im Fall eines Angriffs einen militärischen Beistand Moskaus vorsieht.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow spricht von antirussischer Stimmung in der belarussischen Opposition.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow spricht von antirussischer Stimmung in der belarussischen Opposition.

© imago images/ITAR-TASS

Geplant gewesen sei zudem die Auflösung des Unionsstaats beider Länder sowie die Mitgliedschaft in der EU und in der Nato.

Die Opposition in Minsk hatte einen Bruch mit Russland zuvor ausdrücklich von sich gewiesen. „Wir sind der Meinung, dass alle bestehenden Vereinbarungen eingehalten werden müssen“, erklärte die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa. Bei den Demonstrationen im Land spielen EU-Flaggen keine Rolle, eine Hin- oder Abwendung nach Westen oder Osten wird nicht gefordert. Belarus ist seit Jahren auf allen Ebenen eng mit Russland verbunden.

Eine „weitere Warnung“ aus dem Kreml

Hinter den jüngsten Äußerungen aus Moskau vermutet Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (Zois) in Berlin, einen „weiteren Versuch, sich alle Optionen offenzuhalten“. Es handele sich um eine „weitere Warnung“ aus dem Kreml, sagte Sasse dem Tagesspiegel. Moskau habe aber offenbar noch keine Entscheidung über einen Eingriff im Nachbarland getroffen.

Die Osteuropa-Expertin hält es für „nicht ausgeschlossen“, dass Moskau im Nachbarland interveniere. Allerdings habe der Kreml offenbar noch keine Entscheidung getroffen, sondern wäge derzeit noch Nutzen und Risiken ab. Solle Lukaschenko die Armee gegen die Demonstranten einsetzen, könnte Russland sich – aus Kreml-Sicht – als „stabilisierende Kraft“ einbringen, so Sasse weiter.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu Russland zu bauen“

Sie betonte zugleich, dass der Kreml wissen, dass sich große Teile der Belarussen von Russland abweiden würden, sollte es zu wie auch immer gearteten Aktionen aus dem Nachbarland kommen. Einen passenden Kandidaten würde der Kreml im Fall von Neuwahlen unterstützen.

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Mitglieder des Koordinationsrates der Demokratiebewegung betonen, dass sie weiter mit Moskau zusammenarbeiten wollen.
Mitglieder des Koordinationsrates der Demokratiebewegung betonen, dass sie weiter mit Moskau zusammenarbeiten wollen.

© Sergei GAPON / AFP

Auch Staatsmedien in Belarus unterstellen der Opposition, dass sie einen Bruch mit Russland als wichtigstem Verbündeten anstrebt. Das wies der frühere Kulturminister Pawel Latuschko in Minsk ausdrücklich zurück. Im Koordinierungsrat gebe es keine radikalen russlandfeindlichen Kräfte. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu Russland zu bauen“, sagte er.

Vielmehr gebe es heute keine politische Kraft in Belarus, die in der Lage wäre, mit einer gegen Russland gerichteten Politik mehrheitsfähig zu sein. Zudem seien beide Länder extrem eng im Außenhandel miteinander verbunden, sagte er bei einer Pressekonferenz. Mehr als 40 Prozent des Exports aus Belarus gingen in das Nachbarland, sagte Latuschko, der als früherer Diplomat und Minister das profilierteste Mitglied im Präsidium des Rates ist.

Polizei nimmt Streikführer fest

Unterdessen wurden zwei prominente Anführer der Demokratiebewegung am Montag festgenommen. Nach Angaben der Opposition wurden Olga Kowalkowa und Sergej Dylewski in der Hauptstadt Minsk in einem Gefangenentransporter weggebracht.

Die Behörden bestätigten die Festnahme. Der Grund war unklar. Lukaschenko hatte mehrfach gedroht, den Koordinierungsrat der Opposition zu zerschlagen. Er erklärte das Gremium, das einen Dialog mit dem Machtapparat anstrebt, für illegal. Kowalkowa und Dylewski arbeiten im Präsidium des Koordinierungsrates. (mit dpa)

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