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Politik: Kremltreue Jugend porträtiert Kritiker als Nazis

Pappfiguren im Sommerlager der Organisation „Naschi“ – die russische Polizei greift nicht ein

Ein gutes Dutzend Figuren aus Pappmaché steht in Reih und Glied, einige tragen Uniformmützen der SS, andere Schiebermützen mit Nazi-Symbolik. Darunter Gesichter, die in Russland jeder kennt: Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili, Führer der liberalen Opposition wie Boris Nemzow und Bürgerrechtler wie Ludmila Alexejewa, die Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe, die gerade 83 Jahre alt geworden ist. Dazu kommen Journalisten. Auch solche, die bisher bestenfalls durch verhaltene Kritik auffielen. Nikolaj Swanidse etwa, der bei Staatssender RTR historische Dokumentationen betreut und sich gelegentlich erlaubt, die Rolle Stalins kritisch zu hinterfragen.

„An euch haben wir keine Freude“, heißt die Installation mitten im Wald am Seliger-See im Gebiet Twer bei Moskau. Dort hält die kremlnahe Jugendbewegung „Naschi“ (die Unsrigen), die sich kurz nach der Wahl von Wladimir Putin zum Präsidenten im März 2000 gründete, seit mehreren Jahren ihr Sommerlager ab. Zwar fiel die umstrittene Truppe – Regimekritiker sprechen von „Putin-Jugend“ – mehrfach durch spektakuläre Aktionen auf, die von der Verfassung nicht gedeckt waren, von Ordnungskräften aber geduldet oder gar gedeckt wurden. So hatte „Naschi“ Bücher, in denen es um Homosexualität geht, in nächster Nähe zum Kreml in einer überdimensionalen weißen Kloschüssel „entsorgt“.

Derartig weit wie „Naschi“ mit der Nazi-Installation wagten sich indes bisher nicht einmal Neonazis vor. Selbst, nachdem hiesige Medien den Skandal an die große Glocke hängten, distanzierten sich die Verantwortlichen nur halbherzig. Man habe einen Wettbewerb ausgelobt, bei dem die „Fünfte Kolonne, die Russland für 30 Silberlinge verriet“, an den Pranger gestellt werden sollte, sagte eine „Naschi“-Sprecherin Radio Echo Moskwy. Dazu sei „Stalj“, einer Partner-Organisation, die an dem Camp am See teilnimmt, die Installation eingefallen.

Ordnungskräfte und Staatsanwaltschaft, sonst schnell zu Verfahren wegen Extremismus, Anstiftung zu Hass oder Beleidigung der Menschenwürde bereit, sahen bisher keinen Handlungsbedarf. Empört war dagegen die inzwischen zurückgetretene Beauftragte des Präsidenten Dmitri Medwedew für die Zivilgesellschaft, Ella Pamfilowa: Staatliche Jugendpolitik, die Derartiges hervorbringe, müsse kritisch hinterfragt werden. Ähnlich äußerte sich der Jurist Michail Barschtschewski, der die russische Regierung berät. Er sah die Installation als Provokation, die das Ansehen Medwedews beschädigen soll, auf dem trotz aller Enttäuschungen nach wie vor die Hoffnung der liberalen Opposition ruht. Er müsse sich daher dringend äußern. Sein Schweigen bedeute Billigung und signalisiere „Naschi“, dass alles in Ordnung sei.

Bürgerrechtlerin Alexejewa, die sich im Zweiten Weltkrieg als Sanitäterin freiwillig an die Front meldete, will von einer Klage dennoch absehen. Öffentliche Personen müssten Derartiges aushalten können, sagte sie in Anspielung auf die Hysterie, mit der Kreml und Regierung schon auf harmlose Karikaturen reagieren. Der Scherz sei zwar makaber, könne sie jedoch allein schon deshalb nicht beleidigen, weil die Urheber offenbar keinerlei moralische Qualitäten besitzen.

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