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Politik: Krieg im Wohnzimmer

Studie kritisiert Nachteinsätze von US-Soldaten in Afghanistan / Karsai: Normale Bürger werden wie Aufständische behandelt

Sie kommen mit Hubschraubern im Schutze der Nacht, stürmen mit der Waffe in der Hand Gehöfte und Häuser, durchsuchen Räume und verhören Bewohner. Auf der Jagd nach den Taliban setzen die USA in Afghanistan zusehends auf Nachteinsätze. Doch eine neue Studie warnt, diese könnten mehr schaden als nutzen. Die überfallartigen Nachteinsätze schürten so viel Unmut unter den Afghanen, dass sie die Fortschritte auf dem Schlachtfeld zunichte machen könnten, meint die in New York ansässige Menschenrechtsorganisation Open Society Foundation des Milliardärs George Soros.

Laut der Studie hat sich die Zahl der Nachteinsätze zwischen Februar 2009 und Dezember 2010 verfünffacht. Allein zwischen Dezember 2010 und Februar 2011 habe es 1700 dieser Zugriffe gegeben. Das waren fast 19 jede Nacht. Inzwischen könnten es sogar 40 jede Nacht sein, zitieren die Autoren einen ungenannten Nato-Mitarbeiter. „Die Eskalation der Nachteinsätze hat das Schlachtfeld mehr direkt in die Häuser der Afghanen verlegt“, heißt es in dem Report. „Dies hat eine enorme Gegenreaktion in der Bevölkerung ausgelöst.“

Zwar loben die Autoren, dass es inzwischen weniger zivile Todesopfer gibt und die Einsätze zielgenauer seien. Dennoch provozierten sie Misstrauen und Wut. Viele Afghanen lebten in der Angst, dass jederzeit Soldaten in Kampfuniformen in ihre Schlafzimmer eindringen könnten. Tausende Afghanen würden vorübergehend festgehalten, obgleich sie keine Militanten seien. „Sie sagen, dass sie gegen Terroristen sind. Aber was sie selbst tun, ist Terrorismus“, wird ein Afghane zitiert. Der Report kommt zu dem Schluss: „Die afghanischen Zivilisten tragen die Hauptlast der Einsätze, ohne dass sie Fortschritte bei der Sicherheitslage sehen.“ Tatsächlich gelingen den Taliban nach wie vor überall im Land schwere Gewalttaten. Im nordafghanischen Einsatzgebiet der Bundeswehr töteten sie am Sonntagabend den Chef der Anti-Terror-Behörde im Distrikt Chanabad. Gul Mohammad sei auf dem Nachhauseweg in einem Hinterhalt erschossen worden, sagte Chanabads Polizeichef Sofi Habib am Montag. Ende vergangenen Monats war ein Distriktchef der Behörde, die dem Innenministerium untergeordnet ist, in der Nachbarprovinz Tachar getötet worden. Im Süden Afghanistans kamen zudem mehrere Soldaten der Internationalen Schutztruppe Isaf ums Leben. Die Isaf teilte mit, ein Soldat sei am Montag bei einem Angriff Aufständischer getötet worden. Am Sonntag waren nach Angaben der von der Nato geführten Schutztruppe drei ihrer Soldaten bei Sprengstoffanschlägen gestorben.

Über das Vorgehen gegen die Aufständischen herrscht dennoch Uneinigkeit zwischen der Nato und der Regierung in Kabul. Präsident Hamid Karsai hatte Nachteinsätze wiederholt scharf kritisiert. Dabei würden Zivilisten wie Aufständische behandelt und ihre Privatsphäre verletzt. Die Nato verteidigt die Nachteinsätze hingegen als beste Methode, um die Taliban zu bekämpfen. 85 Prozent aller Nachteinsätze endeten zudem, ohne dass ein Schuss abgefeuert werde, sagt ein Sprecher.

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