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Darfur ist seit 2003 nicht aus der Krise herausgekommen. Nun berichtet Amnesty International von mehreren Giftgasangriffen.

© Albert Gonzalez Farran/Unamid/AFP

Krieg in Darfur: Amnesty International wirft Sudan Chemiewaffeneinsatz vor

Seit Januar soll Khartum 32 Mal Giftgas gegen Zivilisten in der Region Darfur eingesetzt haben. Die Regierung weist die Vorwürfe als erfunden zurück

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft dem Sudan den Einsatz von Giftgas gegen die eigene Bevölkerung vor. In der Nacht zum Donnerstag stellte Tirana Hassan, die bei Amnesty International für Krisenforschung verantwortlich ist, einen 109 Seiten starken Untersuchungsbericht vor. In dem Report hat die Organisation Zeugenaussagen von mehr als 200 Menschen in der westsudanesischen Krisenprovinz Darfur, Satellitenbilder und Experteneinschätzungen zu den beschriebenen Verletzungen zusammengetragen.

Nach Angaben von Amnesty International begann die sudanesische Regierung im Januar 2016 eine groß angelegte Offensive gegen eine von drei Rebellengruppen, die seit 2003 gegen die Machthaber in Khartum kämpfen. Bis Mai soll es eine Vielzahl von Angriffen auf Dörfer gegeben haben. Die Autoren des Berichts haben auf Satellitenbildern schwere Zerstörungen in 107 Dörfern in der Region Jebel Marra im Zentrum Darfurs entdeckt. Seit Beginn der Regenzeit im Mai habe es bis Mitte September vor allem Luftangriffe auf Dörfer in der Region gegeben, heißt es in dem Bericht.

32 Angriffe mit Chemiewaffen, heißt es im Bericht

Amnesty International dokumentiert „mindestes 32 Angriffe“ mit Chemiewaffen seit Januar, der bisher letzte soll am 9. September stattgefunden haben. Dabei sollen Senfgas, Lewisit und Stickstofflost zum Einsatz gekommen sein. Alle drei organischen Chlorverbindungen sind während des Ersten Weltkriegs entwickelt und benutzt worden. Senfgas enthält zusätzlich Schwefel, Lewisit Arsen.

Alle drei chemischen Verbindungen lösen Übelkeit aus. Die von Amnesty International telefonisch befragten Zeugen berichteten, dass sie sich fünf bis 20 Minuten nach den Angriffen übergeben mussten, viele spuckten Blut und litten im weiteren Verlauf auch unter blutigem Durchfall. Die meisten Zeugen klagten über Hautverletzungen. Diese bilde eine harte Kruste und falle dann ab, zurück bleiben nässende Wunden, die nur schwer heilen. Amnesty International berichtet von mindestens 200 Toten durch das Giftgas, viele seien Kinder gewesen. Die Überlebenden litten auch ein halbes Jahr nach den Angriffen unter schweren gesundheitlichen Folgen, heißt es in dem Bericht weiter.

Der sudanesische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Omar Dahab Fadl Mohamed, hat der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, die Vorwürfe seien „frei erfunden und ohne jede Basis“. Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) kündigte am Donnerstag an, den Amnesty-Bericht und andere Informationen zu untersuchen. Die OPCW kontrolliert die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention, der der Sudan angehört. Nur vier Staaten haben das Abkommen zur Ächtung und dem Herstellungsverbot für Chemiewaffen nicht ratifiziert: der Südsudan, Ägypten, Nordkorea und Israel. Tirana Hassan forderte eine unabhängige internationale Untersuchung der Vorgänge.

Haftbefehl gegen den Präsidenten wegen Kriegsverbrechen

In Darfur kämpfen mehrere Rebellengruppen seit 2003 gegen die sudanesische Regierung. Zunächst ging es vor allem um die wirtschaftliche Benachteiligung der abgelegenen Region. Doch nachdem die Regierung in Khartum die berüchtigten Reitermilizen Dschandschawid gegen die afrikanischen Völker der Fur, Zaghawa und Masalit einsetzte, bekam der Konflikt eine gefährliche ethnische Färbung. Dörfer wurden niedergebrannt, zehntausende Frauen vergewaltigt, und nach Einschätzung der Vereinten Nationen stand ein Völkermord kurz bevor. 2008 schätzten die UN, dass mindestens 300 000 Menschen in dem Konflikt getötet worden waren. Rund zwei Millionen Menschen waren auf der Flucht. Bis heute leben rund 1,4 Millionen Darfuris in Flüchtlingslagern entlang der Grenzen zum Sudan im Tschad oder auch in Darfur selbst. Seit 2009 liegt gegen den Präsidenten Omar al Baschir ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag vor. Ihm werden Kriegsverbrechen und Völkermord in Darfur vorgeworfen. Doch bisher war kein Staat bereit, Baschir bei einer seiner Auslandsreisen, die seit 2009 überwiegend nur noch in afrikanische Länder führen, festzunehmen.

Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (Grüne) nannte den Amnesty-Bericht ein erschreckendes Indiz für ein weiteres Kriegsverbrechen der sudanesischen Regierung. Die internationale Gemeinschaft müsse den Opfern Hilfe leisten. Zudem müsse die Europäische Union in ihrer Flüchtlingspolitik jegliche Zusammenarbeit mit sudanesischen Sicherheitskräften einstellen, forderte er. Das verlangt auch Amnesty International. Dem Bericht nach sind die Milizionäre, die derzeit von der EU als Grenzsicherungskräfte ausgebildet werden, auch an den Angriffen auf Zivilisten in Darfur beteiligt gewesen. Die Regierung in Khartum verhindert seit Jahren, dass westliche Hilfsorganisationen oder unabhängige Journalisten Darfur besuchen können. (mit epd)

Dieser Text ist am 30.9.2016 im gedruckten Tagesspiegel erstmals veröffentlicht worden.

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