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Völlig zerstört wurde die von Ärzte ohne Grenzen unterstützte Klinik in Ma'arat Al Numan in der Provinz Idlib im Norden Syriens.

© dpa/Ärzte ohne Grenzen

Update

Krieg in Syrien: Assad schließt schnellen Waffenstillstand aus

Syriens Machthaber Assad hält eine Feuerpause binnen einer Woche für unmöglich. Bei Angriffen auf Kliniken und Schulen starben laut UN viele Zivilisten.

Syriens Machthaber Baschar al-Assad hat einer schnellen Waffenruhe im syrischen Bürgerkrieg eine Absage erteilt. „Jetzt sagen sie, dass sie eine Feuerpause innerhalb von einer Woche wollen“, erklärte Assad am Montag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Sana in einer Rede vor Juristen in Damaskus. „Gut, aber wer kann alle diese (gestellten) Bedingungen und Anforderungen in einer Woche zusammenfügen? Niemand.“ Der Westen spreche nur dann über eine Feuerpause, wenn „die Bewaffneten litten und (ihre) Niederlagen beginnen“, sagte Assad weiter. Er beschuldigte den Westen, die Türkei und Saudi-Arabien, den Terrorismus zu unterstützen. Jeder sei ein Terrorist, der die Waffen gegen den syrischen Staat und sein Volk erhebe. Dem in der saudischen Hauptstadt ansässigen Hohen Verhandlungskomitee (HNC) der Opposition warf der Präsident vor, eine „Mischung aus Verrätern und Terroristen“ zu sein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich zuvor für eine Flugverbotszone über Syrien ausgesprochen. „In der jetzigen Situation wäre es hilfreich, wenn es dort ein Gebiet gäbe, auf das keine der Kriegsparteien Angriffe fliegt – also eine Art Flugverbotszone“, sagte sie der „Stuttgarter Zeitung“. „Wenn es gelänge, zwischen der Anti-Assad-Koalition und den Assad-Unterstützern eine solche Vereinbarung zu treffen, wäre das hilfreich.“ Zugleich schloss sie Verhandlungen mit der Terrormiliz IS strikt aus.

Die Kanzlerin unterstützte damit einen Vorschlag der Türkei. Merkel bezeichnete die Lage in Syrien als „unendlich kompliziert“. Die Bombardierungen in und um die Stadt Aleppo, „gerade auch durch russisches Militär“, machten alles noch komplizierter. „Es muss diplomatisch alles versucht werden, um diesen Krieg zu beenden“, sagte Merkel.

Ihre Äußerungen fielen zusammen mit einer erneuten Eskalation im Norden des Bürgerkriegslandes - kurz vor dem geplanten Inkrafttreten eines neuen Waffenstillstandes. Bei Luft- und Raketenangriffen auf Kliniken und Schulen im Norden Syriens wurden am Montag nach Angaben der Vereinten Nationen fast 50 Zivilisten getötet. Zahlreiche Menschen seien verletzt worden, als mindestens fünf medizinische Einrichtungen und zwei Schulen in Aleppo und Idlib getroffen worden seien, teilte die UNO in New York mit. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteile die Angriffe als „eklatante Verstöße gegen internationales Recht“.

Die Türkei setzte unterdessen den Beschuss von kurdischen Stellungen in der Nähe der Stadt Azaz im Nachbarland am dritten Tag in Folge fort. „Wir stehen am Rande des Krieges“, schrieb der angesehene türkische Journalist Murat Yetkin in der Online-Zeitung „Radikal“.

Die USA, Russland und andere internationale Akteure hatten vergangene Woche eine Waffenruhe für Syrien vereinbart, die spätestens an diesem Donnerstag in Kraft treten soll. Doch bisher gibt es im Nord Syriens mehr Gewalt, nicht weniger.

Ärzte ohne Grenzen spricht von "gezieltem Angriff"

Wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Quellen in Azaz bereits vor der UN-Mitteilung meldete, schlugen acht von russischen Kriegsschiffen im Mittelmeer abgefeuerte Raketen in der Stadt ein. Dabei seien sieben Zivilisten getötet und mehr als 50 verletzt worden. Zudem hätten russische Kampfflugzeuge eine von Flüchtlingen als Unterschlupf benutzte Schule in einem Dorf bei Azaz angegriffen und sechs Kinder getötet. Nachprüfen ließen sich die Angaben im Einzelnen nicht.

Das zerstörte, von "Ärzte ohne Grenzen" unterstützte Krankanhaus in Idlib nach dem Bombardement.
Das zerstörte, von "Ärzte ohne Grenzen" unterstützte Krankanhaus in Idlib nach dem Bombardement.

© dpa

Ärzte ohne Grenzen (MSF) teilte mit, das Krankenhaus in der Provinz Idlib sei gezielt von Kampfjets ins Visier genommen worden. Bei dem Angriff in der Stadt Maret al-Numan in der Provinz Idlib starben nach Angaben von Menschenrechtlern mindestens neun Menschen. MSF sprach von mindestens sieben Toten und weiteren acht vermissten Mitgliedern des Klinikpersonals, die wahrscheinlich ebenfalls umgekommen seien.

Schon kurz nach dem Vorfall machten gegenseitige Bezichtigungen die Runde. Die syrische Führung machte die US-geführte Koalition für den tödlichen Angriff verantwortlich. US-Kampfflugzeuge hätten die Klinik zerstört, sagte der syrische Botschafter in Moskau, Riad Haddad, dem russischen Fernsehsender Rossija 24. Die Militäraufklärung habe ergeben, dass die russische Luftwaffe damit nichts zu tun habe, sagte er demnach.

Das US-Außenministerium machte die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und deren Verbündeten Russland für die Angriffe verantwortlich. Auch syrische Aktivisten wiesen Russland die Schuld zu. In Idlib hatten russische Kampfflugzeuge in jüngster Zeit einen Vormarsch der syrischen Regierungstruppen unterstützt. Von russischer Seite lag zunächst keine Stellungnahme vor. MSF wiederum sprach von einem „gezielten Angriff“, legte sich aber nicht fest.

Die Türkei will die Kurden stoppen

Laut türkischen Medienberichten und Regierungsangaben erwiderte die türkische Armee am Montag in der Nähe von Azaz und nahe der Grenzprovinz Hatay weiter westlich das Feuer, nachdem das türkische Staatsgebiet von kurdisch beherrschten Gebieten in Syrian aus beschossen worden war. Schon am Samstag und am Sonntag hatte die türkische Artillerie Stellungen der syrischen Kurden beschossen.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu stellte klar, dass die Artillerie seines Landes auch weiter auf Positionen der syrischen Kurdenmiliz YPG bei Azaz feuern werde, bis sich die Kurden aus dem Gebiet zurückgezogen hätten. Zugleich warf Davutoglu der russischen Regierung vor, die YPG als Instrument gegen die Türkei zu benutzen.

Die USA und die EU riefen die Türkei auf, die Militäraktion zu stoppen, doch die türkische Regierung zeigte sich unbeeindruckt. In einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte Davutoglu laut türkischen Medienberichten, der Vormarsch der YPG im Norden Syriens könnte mehrere hunderttausend Menschen aus ihren Häusern vertreiben und damit eine neue Flüchtlingsansturm in Europa auslösen.

Nach einer Meldung der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“ sprachen führende Politiker und Militärs in einer Sitzung unter der Leitung von Präsident Recep Tayyip Erdogan über eine Intervention in Azaz, das etwa acht Kilometer südlich der türkischen Grenze liegt. Die Türkei befürchtet, dass die von ihr als Terrorgruppe eingestufte YPG dort weiter Geländegewinne machen und so den Machtbereich der syrischen Kurden ausweiten könnte.

Davutoglu sagte, die Türkei sei entschlossen, das zu verhindern. „Wir werden nicht zulassen, dass Azaz fällt“, sagte er. Gleichzeitig warnte er die Kurden vor einem weiteren Vorrücken. Dies würde eine harte Antwort der Türkei auslösen.

Mit dem Artilleriebeschuss auf die Gegend um Azaz will Ankara zudem syrische Rebellengruppen schützen, die durch eine Regierungsoffensive um die Großstadt Aleppo, etwa 50 Kilometer südlich von Azaz, in Bedrängnis geraten sind. Die russische Regierung erklärte, die Türkei habe erneut Kämpfern islamistischer Gruppen nach Syrien gelangen lassen.

Die syrische Regierung in Damaskus hatte der Türkei zudem vorgeworfen, bewaffnete Einheiten über die Grenze geschickt zu haben; auch eine regierungsfreundliche Zeitung in der Türkei berichtete über einen solchen Einsatz. Davutoglu wies dies zurück und sagte, die Türkei sei keine Besatzungsmacht in Syrien. Auf Fragen von Journalisten nach einem möglichen türkischen Bodentruppeneinsatz antwortete Davutoglu ausweichend und verwies auf den türkischen Vorschlag zur Errichtung einer Schutzzone auf syrischem Gebiet.

Saudi-Arabien und Katar, die wie die Türkei das Ziel eines Sturzes des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad verfolgen, signalisierten unterdessen ihre Bereitschaft zur Entsendung von Bodentruppen nach Syrien. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte am Wochenende einen gemeinsamen Bodentruppeneinsatz der Türkei und ihrer arabischen Partner angedeutet. (mit AFP, dpa)

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