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Kampf dem Hunger: Wie hier in Aleppo sind Millionen Syrer auf Lebensmittel-Hilfe angewiesen.

© AFP

Krieg in Syrien: "Es spricht viel dafür, dass Hunger als Waffe eingesetzt wird"

Die Not in Syrien wird von Tag zu Tag größer: Ein Interview mit Ralf Südhoff, Deutschland-Direktor des World Food Programme der UN, über Mangelernährung, politisches Kalkül und massive Verletzungen des Völkerrechts.

Herr Südhoff, was passiert mit Menschen, die Hunger leiden?

Hunger ist zunächst einmal ein riesiger Stressfaktor, körperlich wie psychisch: Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich jeden Tag fragen, wo die nächste Mahlzeit herkommen könnte! Aber vor allem ist Hunger das größte Todesrisiko weltweit. Dabei geht es weniger um das eigentliche Verhungern, sondern um die Mangelernährung. Denn an deren Folgen sterben viel mehr Menschen: Wer geschwächt und mangelernährt ist, kann schon an einer einfachen Grippe sterben. Tausende Kinder erblinden noch heute, weil ihnen Vitamin A fehlt. Mangelernährte Kleinkinder bleiben oft für immer unterentwickelt. Auch deshalb sterben mehr Menschen an den Folgen des Hungers als an Malaria, Aids und Tuberkulose zusammen.

Aus Syrien häufen sich Berichte darüber, dass sich Menschen von Hunden und Katzen ernähren, oft sogar nur von Gras. Liegen auch Ihnen derartige Horrormeldungen vor?

Ja, und sie decken sich mit den Erfahrungen der UN-Mitarbeiter vor Ort. Denn wir vom World Food Programme erreichen zwar trotz des Konflikts allein in Syrien rund vier Millionen Menschen - vertriebene Frauen, Kinder und Männer. Aber es gibt auch Städte, in die wir seit Mitte 2012 so gut wie keine Nahrungsmittel mehr liefern konnten.

Woran liegt das?

Das sind häufig Gebiete, die von einer der Konfliktparteien abgeriegelt wurden und seitdem belagert werden. Die Abschottung gilt in der Regel sowohl für Hilfs- als auch für normale Warenlieferungen. Man kann sich leicht ausmalen, was es bedeutet, wenn erst einmal alle Vorräte aufgebracht sind.

Steckt hinter dem verwehrten Zugang politisches Kalkül, wird Hunger gezielt als Waffe eingesetzt?

Vieles spricht dafür. Aber man muss klipp und klar sagen: Die Kontrahenten sind laut Kriegs- und Völkerrecht dazu verpflichtet, neutrale humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Dieses Recht wird leider  massiv verletzt. Es wäre ein erstes wichtiges Ergebnis der Syrien-Konferenz in Genf, wenn künftig der uneingeschränkte Zugang zu den Bedürftigen gewährleistet würde. Einschließlich der Kampfzonen, für die wir dringend verlässliche Sicherheitsgarantien benötigen.

Was halten Sie davon, kampffreie Korridore einzurichten, um Hilfe leisten zu können?

Das wäre ganz entscheidend. Humanitäre Korridore sind in derartigen Konflikten so etwas wie zentrale Lebensadern. Wenn es diese nicht gibt, können die Helfer kaum etwas erreichen.

Ralf Südhoff, Deutschland-Chef des Welternährungsprogramms der UN.
Ralf Südhoff, Deutschland-Chef des Welternährungsprogramms der UN.

© WFP

Ist militärischer Schutz für humanitäre Korridore nicht unabdingbar?

Wir verstehen darunter eine militärfreie Zone im Kampfgebiet, die von den Konfliktparteien akzeptiert wird. Das heißt, man verständigt sich zum Beispiel darauf, dass entsprechend gekennzeichnete Lastwagen nicht angegriffen werden. Ein militärischer Schutz dagegen bedeutet ein erhebliches Risiko. Wir müssten ja eine bestimmte Seite darum bitten und gerieten so schnell in den Verdacht, nicht mehr neutral zu sein.

Wie viele Syrer sind überhaupt auf Unterstützung angewiesen?

Alle Hilfsorganisationen zusammen haben im vergangenen Jahr etwa zehn Millionen Menschen unterstützt, innerhalb und außerhalb des Landes. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass der Bedarf in diesem Jahr nochmals immens steigt. Allein das UN-Welternährungsprogramm wird in Syrien selbst über vier Millionen Menschen versorgen müssen. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass 6,5 Millionen Menschen im Land nicht genug zum Essen haben. Dazu kommen noch mehr als drei Millionen Flüchtlinge, denen in den Anrainerstaaten geholfen werden muss.

Was sollte die Staatengemeinschaft tun, um die Not der Menschen zu lindern?

Wir haben es hier mit dem größten Hilfsbedarf aller Zeiten für eine einzelne Krise zu tun. Die UN haben daher an die Welt appelliert, etwas über sechs Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Bei der Geberkonferenz in Genf vor einigen Wochen sind gut zwei Milliarden versprochen worden. Das reicht nicht aus. Das  World Food Programme zum Beispiel hat schon ab März voraussichtlich nicht mehr genügend Geld, um adäquat helfen zu können. Wir könnten gezwungen sein, den Menschen zu sagen, dass sie nun mit 1000 Kalorien pro Tag auskommen müssen. Dabei braucht man 2000 Kalorien, um gesund zu bleiben. Die Kürzung würde also verheerende Folgen haben. Vor allem bei Kleinkindern.

Was kann Deutschland tun?

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr dankenswerterweise  200 Millionen Euro Sondermittel für die Syrien-Hilfe bereitgestellt. Im vorläufigen Haushalt 2014 sind dafür nur noch 80 Millionen vorgesehen - während die Not wächst und wächst. Ich weiß, dass insbesondere Außenminister Frank-Walter Steinmeier darum kämpft, dass die Mittel drastisch angehoben werden. Dabei können wir den Minister nur unterstützen und hoffen, dass das Kabinett am Ende Deutschlands Hilfe für die Millionen Syrer in Not erhöhen und nicht kürzen wird.

Ralf Südhoff (45) ist seit 2008 Deutschland-Direktor des „World Food Programme“ der Vereinten Nationen.

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