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Auf der Flucht vor den Bomben. Menschen im von Regime-Truppen abgeriegelten Ost-Ghouta bringen sich vor Luftangriffen in Sicherheit.

© A. Eassa/AFP

Krieg in Syrien: UN: So schlimm wie jetzt war es noch nie

Hunger und Bomben in Syrien: Jakob Kern vom Welternährungsprogramm der UN über verheerende Luftschläge, anhaltende Not in belagerten Orten und Alltag in Kellern.

Herr Kern, Ost-Ghouta ist eine Vorortregion bei Damaskus mit 400.000 Einwohnern, die seit Jahren von der syrischen Armee abgeriegelt wird. Nach fast drei Monaten konnte nun wieder ein Hilfskonvoi des UN-Welternährungsprogramms (WFP) Lebensnotwendiges dorthin bringen. Wie ist die Lage?

Die Lieferung ging an ein kleines Dorf am Rande von Ost-Ghouta. Und das hat nur geklappt, weil wir einen direkten Zugang von außen hatten und der Ort weniger bombardiert wird als andere. Das ist zwar ein Hoffnungszeichen, aber doch nur ein kleines. Denn wir konnten gerade mal 7200 Menschen mit Nahrungsmitteln versorgen, die für einen Monat reichen. In ganz Ost-Ghouta ist die Situation verheerend. Die Bewohner leben mehr oder weniger die ganze Zeit unter Tage, also in Kellern. Sie trauen sich nicht nach draußen, weil es ständig Bombardements gibt. Es gibt kaum noch etwas zum Essen. Und das Wenige ist fast unerschwinglich teuer.

Vor Kurzem schaffte es ein Hilfskonvoi des Welternährungsprogramms in ein Dorf im belagerten Ost-Ghouta.
Vor Kurzem schaffte es ein Hilfskonvoi des Welternährungsprogramms in ein Dorf im belagerten Ost-Ghouta.

© Abulmonam Eassa/AFP

Warum kann den Menschen nicht häufiger geholfen werden?

Das liegt sowohl an den fehlenden Bewilligungen als auch an den heftigen Kriegshandlungen. Es ist derzeit oft viel zu riskant, Konvois loszuschicken. Ich arbeite jetzt seit zwei Jahren in Syrien und kann nur sagen: So schlimm wie jetzt war es noch nie. Es wird an so vielen Fronten gekämpft. In der Provinz Idlib und der Region um die Großstadt Aleppo, im Kurdengebiet an der Grenze zur Türkei, bei Ghouta und im östlich gelegenen Deir ez-Zor. Alle „Konflikt-Hot-Spots“ im Land sind quasi gleichzeitig aktiviert worden.

Viele der von ihnen genannten Orte werden belagert und sind damit von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten. Wie kommen die dort hungernden Menschen über die Runden?

Die Leute lassen zum Beispiel jeden Tag eine Mahlzeit aus. Erwachsene essen nichts, damit Kinder das Wenige bekommen. Und nicht zu vergessen: Die medizinische Versorgung ist katastrophal. Arzneien sind Mangelware. Unter derartigen Umständen wird sogar eine Erkältung zur lebensbedrohlichen Krankheit, weil sie nicht behandelt werden kann. Man mag es kaum glauben, doch die ohnehin dramatische Lage hat sich in den vergangenen Monaten nochmals drastisch verschlechtert. Wir brauchen deshalb dringend einen Waffenstillstand, der von beiden Seiten auch eingehalten wird. Denn nicht nur die Assad-Regierung geht gewaltsam gegen ihre Gegner vor, sondern auch die Aufständischen befeuern wortwörtlich den Konflikt. So schießen sie von Ost-Ghouta aus täglich mehrfach mit Granaten und Raketen auf Damaskus.

Jakob Kern (55) arbeitet für das Welternährungsprogramm der UN (WFP) als Landesdirektor in Syrien.
Jakob Kern (55) arbeitet für das Welternährungsprogramm der UN (WFP) als Landesdirektor in Syrien.

© WFP

Hunger und Bomben: Für die Syrer scheint es sieben Jahre nach Kriegsbeginn immer schlimmer zu werden, oder?

Im Moment sprechen fatalerweise allein die Waffen. Und so merkwürdig es klingen mag: Deshalb spielen die Belagerungen, die 2016 und 2017 verheerende Folgen hatten, aktuell nicht die entscheidende Rolle im Alltag der Menschen – weil die Luftangriffe so massiv sind. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medizin ist ein extrem wichtiger Faktor. Aber gegenwärtig geht es schlicht darum, die Bombardements zu überleben. Selbst die sogenannten Deeskalationszonen haben sich zu regelrechten Eskalationszonen entwickelt.

Angenommen, die Waffen würden endlich schweigen: Wären die Vereinten Nationen überhaupt in der Lage, die Notleidenden umgehend zu versorgen?

Auf jeden Fall! Wir versorgen ja schon mehr als drei Millionen Syrer. Unsere Warenlager sind voll. Das reicht gut für unvorhergesehene Lieferungen nach Ost-Ghouta zum Beispiel. Innerhalb von zwei Tagen kann alles organisiert sein, wir können mit Konvois losfahren – vorausgesetzt, es gibt die erforderlichen Genehmigungen, Sicherheitsgarantien und eben keine Gefechte.

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