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Dokumentiertes Grauen. Vor vier Jahren zeigte eine Ausstellung in New York, was Menschen in syrischen Gefängnissen widerfährt.

© Lucas Jackson/Reuters

Krieg in Syrien: Wie ein Aktivist Assads Folterkeller überlebte

Der Syrer Ahmad Helmi wurde jahrelang in Gefängnissen misshandelt. Nun kämpft er dafür, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen – und erzählt seine Geschichte.

Meine Geschichte teile ich mit 100.000 anderen Syrern, von denen leider nicht mehr alle am Leben sind, um davon zu berichten. Aufgewachsen bin ich in Daraya, einem Vorort von Damaskus, der 2011 für seine friedlichen Proteste während des Aufstands in Syrien bekannt wurde.

Den bewaffneten Soldaten, die uns niederkämpfen sollten, traten wir mit Blumen gegenüber und boten ihnen zu Trinken an. Ich glaube daran, dass Veränderungen durch Worte und Ideen bewirkt werden, nicht durch Gewalt. Doch mein Pazifismus wurde mehrfach auf eine harte Probe gestellt.

Kurz nach Beginn des Aufstands beteiligte ich mich an einer friedlichen Demonstration. Wir wurden unter Einsatz von Tränengas auseinandergetrieben. Ich versteckte mich hinter einem Baum. Als ich hervorschaute, hörte ich einen lauten Knall, dann verlor ich die Besinnung. Eine Kugel hatte mich im Gesicht getroffen.

Ich trug schwere Verletzungen davon und musste fünfmal operiert werden, doch ich überlebte. Der Täter wurde gefasst, und man fragte mich, ob ich mich rächen und ihn erschießen wollte. Doch das wäre für mich keine Rache. Meine Rache gilt dem System, das einen Mann dazu veranlasste, auf einen unbewaffneten Mitbürger zu schießen, nur weil der sich für Freiheit einsetzte.

Im weiteren Verlauf der Demonstrationen nahmen die Sicherheitskräfte viele gewaltlose Aktivisten in Daraya fest, auch meinen Freund Islam Dabbas. Als Mitbegründer einer Organisation, die notfallmedizinische Einrichtungen aufbaute, wurde ich am 12. Dezember 2012 ebenfalls verhaftet.

Studenten, die mit dem syrischen Geheimdienst kooperierten, setzten mich am Eingang zur Universität von Damaskus fest. Sie drängten mich in ein Fahrzeug und verschleppten mich. Drei Jahre lang wurde ich von den Geheimdiensten des Regimes immer wieder verhört und gefoltert.

Auf Befehl des Regimes

Drei Jahre lang wurde ich von den Geheimdiensten des Regimes immer wieder verhört und misshandelt. In neun verschiedenen Gefangenenlagern wurde ich mit auf unterschiedlichste Weise gefoltert. Ich wurde zum Beispiel auf den „fliegenden Teppich“ gefesselt - zwei mit Scharnieren verbundene Holzplatten, die angehoben werden, bis das Rückgrat kracht.

In einem der Gefängnisse versuchte ich immer wieder, ein Gespräch mit dem Verhörspezialisten anzufangen. Mir waren die Augen verbunden, doch ich bemühte mich, mit ihm ins Gespräch zu kommen, weil ich hoffte, dass er dann in mir nicht mehr ein stumpfes Tier sehen würde, sondern den Mitmenschen.

Ahmad Helmi kämpft seit Beginn des Aufstands mit friedlichen Mitteln gegen Machthaber Baschar al Assad.
Ahmad Helmi kämpft seit Beginn des Aufstands mit friedlichen Mitteln gegen Machthaber Baschar al Assad.

© Privat

Trotz sexueller Gewalt, Folter und Erniedrigung empfand ich keinen Hass gegen diejenigen, die mich verhörten. Mir war klar, dass sie auf Befehl von oben handelten und ebenfalls Opfer des Systems waren. Im Geheimdienstapparat des Regimes kann jeder zum gefühllosen Täter werden.

Nach meiner Freilassung floh ich in die Türkei, hatte aber mein Telefon immer bei mir, damit ich Islam helfen könnte, wenn er sich meldete. Oft geht es ehemaligen Gefangenen nach ihrer Freilassung erst einmal schlecht. Wer aus politischen Gründen in Haft war, für den gibt es keinerlei Unterstützung. Im April 2017 gründete ich daher mit Unterstützung der Organisation Kesh Malek die Initiative Ta’afi, die ehemaligen Inhaftierten hilft, wieder Fuß zu fassen.

Der gewaltsame Tod des Freundes

Im vergangenen Juni vereinbarte ich mit meiner Verlobten, unsere Hochzeit von Februar auf März 2018 zu verschieben. Islam war nicht wieder aufgetaucht, aber im Februar wären siebeneinhalb Jahre seit seinem Verschwinden vergangen – nach einer Strafminderung für gute Führung eine übliche Haftzeit für Protestteilnehmer.

Einen Monat später dann ein Anruf: Islams Familie war über seinen Tod informiert worden. Mein Freund war bereits 2013 in der Haft gestorben, wahrscheinlich durch Folter oder Exekution.

Ta’afi kann Islam Dabbas nicht mehr helfen. Doch wir wollen Überlebende unterstützen. Wir wollen in Islams Namen ein Stipendium stiften, das Überlebenden ein Studium ermöglicht. Und wir treten für Gerechtigkeit ein, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Friedlicher Widerstand

Bei der jetzt in Brüssel beginnenden Syrien-Konferenz geht es auch darum, dass Freiheit und Gerechtigkeit für die vom syrischen Regime Inhaftierten in den Blickpunkt der Weltgemeinschaft rücken. Ich möchte berichten, was mir und Islam widerfahren ist.

Ich weiß, es gibt keinen Superman, der Folterzentren vernichtet und die Verschleppten befreit. Aber es gibt viele motivierte Menschen. Durch unser gemeinsames solidarisches Eintreten erreichen wir, dass unsere Ideen Gehör finden.

Immer noch trägt mich die Überzeugung, dass das Regime nicht durch Waffen vernichtet werden kann, sondern nur durch gewaltlosen Widerstand. Das mag lange dauern. Aber auch ein Buch entsteht nur durch Wort um Wort. Und Buch um Buch wächst daraus eine Bibliothek.

Der Autor war drei Jahre in syrischen Gefängnissen inhaftiert. Nach seiner Freilassung engagierte er sich von der Türkei aus als Repräsentant des Darraya Local Council. Ahmad Helmi ist Gründer der syrischen Initiative Ta’afi. Sie hilft Überlebenden, die aus politischer Haft freigekommen sind, schützt und unterstützt sie.

Ahmad Helmi

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