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Kampf den Bakterien. Hilfsorganisationen verteilen sauberes Wasser, das im Jemen Mangelware ist.

© Abduljabbar Zeyad/Reuters

Krieg und Not im Jemen: „Die Cholera hat das ganze Land erfasst“

Der Jemen am Abgrund: Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen über die rasante Ausbreitung der Seuche, den allgegenwärtigen Hunger und andere Kriegsfolgen für das arabische Land. 

Herr Stöbe, Sie sind gerade aus dem Jemen zurückgekehrt. Welchen Eindruck haben sie von dem Land, das zwischen Krieg, Hunger und Cholera taumelt?

Genau das macht die Lage so dramatisch. Ich bin 1700 Kilometer durch das Land gereist, war auch in abgelegenen Gegenden. Dort ist es besonders schlimm. Inzwischen haben sich mehr als 700.000 Menschen mit der Cholera infiziert. Das heißt im Klartext: Praktisch der ganze Jemen ist von der Krankheit erfasst worden. Zum Glück ist die Sterberate gering. Diejenigen, die es zu den Behandlungszentren schaffen, haben gute Überlebenschancen. Doch die Ausbreitung der Cholera zeigt in aller Deutlichkeit eben auch: Der Krieg hat das Land an den Abgrund geführt.

Inwiefern?

Das Gesundheitssystem ist fast völlig zusammengebrochen. Die Menschen sind bitterarm und können sich eine medizinische Behandlung oft nicht leisten. Es gibt keine Jobs, Gehälter werden nicht gezahlt. Viele Jemeniten können sich nicht einmal den Krankentransport leisten. Millionen Menschen sind zudem mangelernährt. Kranke, Ältere, Schwangere und kleine Kinder sind besonders anfällig für Krankheiten wie die Cholera.

Ist das ein Grund dafür, dass sich die Seuche so rasant ausbreiten kann?

Ein Grund von vielen. Dazu kommt zum Beispiel die mangelhafte Versorgung mit trinkbaren Wasser, die Abwasserentsorgung ist in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen. Ich war in einer Millionenstadt, für die es ohnehin nur ein Klärwerk gibt. Und das funktioniert auch nicht mehr. Der Wassermangel führt wiederum dazu, dass Lebensmittel nur unzureichend gesäubert werden. Das sind ideale Bedingungen für Cholera.

Kann unter derartigen Bedingungen die Seuche überhaupt eingedämmt werden?

Das wird nicht einfach. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es weder Kliniken in ausreichender Zahl noch Medikamente. Und wenn es Krankenhäuser gibt, dann werden Cholera-Patienten nicht von anderen Patienten getrennt. Auch die Aufklärung ist noch unzureichend. Und die von Saudi-Arabien verhängte Einfuhr-Blockade verschärft die ohnehin desolate Situation.

Tankred Stöbe engagiert sich seit vielen Jahren für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenze und arbeitet als Notfallmediziner in Berlin.
Tankred Stöbe engagiert sich seit vielen Jahren für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenze und arbeitet als Notfallmediziner in Berlin.

© Jörg Carstensen/dpa

Der Jemen gilt als Armenhaus der arabischen Welt. Millionen Menschen sind auf Lebensmittelhilfe dringend angewiesen. Wie präsent ist der Hunger?

Rund 4,5 Millionen Kinder und stillende Mütter im Jemen sind akut mangelernährt. In den von Ärzte ohne Grenzen organisierten Behandlungszentren wird tagtäglich das Leid besonders deutlich. Wir können zwar die Cholera behandeln. Innerhalb von drei, vier Tagen geht es den Kranken in der Regel besser. Die Behandlung von Mangelernährung, gerade bei Kinder, ist oft schwieriger und langwieriger.

Die Vereinten Nationen und mehrere Hilfsorganisationen sprechen mit Blick auf den Jemen von der weltweit schlimmsten humanitären Katastrophe. Sehen Sie das auch so?

Solche Vergleiche sind immer schwierig, weil jede Krise seine Eigenheiten hat. Mehrere Faktoren machen die Lage im Jemen einzigartig.

Welche sind das?

Zum einen, dass dort ein Krieg herrscht, von dem die Weltgemeinschaft kaum Notiz nimmt – obwohl Länder wie Saudi-Arabien, die USA und Großbritannien am Konflikt beteiligt sind. Zum anderen ist das Land komplett abgeriegelt, es gelangen keine Güter hinein, auch Visa für Helfer werden nur zögerlich ausgestellt. Alle Grenzen sind geschlossen, eine Flucht in Nachbarstaaten ist fast ausgeschlossen. Eine solche umfassende Isolation habe ich bislang nicht erlebt.

An der Not der Menschen wird sich in absehbarer Zeit also wenig ändern?

Solange es keine politische Lösung für den Konflikt gibt, bin ich pessimistisch

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