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Kriegsverbrechen: Abgeschobener Demjanjuk in München gelandet

Der mutmaßliche NS-Verbrecher Iwan "John" Demjanjuk ist nach langem Gezerre nun in Deutschland. In einem Gefängnis nahe München soll ihm der Haftbefehl eröffnet werden.

Ein in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio gestartetes Charterflugzeug landete am Dienstagvormittag in München. An Bord der zweimotorigen Maschine saß einer der meist gesuchten Menschen, die des Kriegsverbrechens verdächtig sind: John Demjanjuk. Die Polizei erwartete ihn nahe dem Rollfeld zur formellen Festnahme. Anschließend werde er ins Münchner Gefängnis Stadelheim gebracht, wo man ihm den Haftbefehl verlesen wolle, hieß es. Seit Wochen hatte sich der 89-Jährige, der seit 1952 in den USA lebte, gegen seine Abschiebung gewehrt.

Die Staatsanwaltschaft München wirft dem ehemaligen SS-Wachmann vor, im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen Beihilfe zum Mord an mindestens 29.000 Juden geleistet zu haben. Das Amtsgericht München hatte im März Haftbefehl erlassen. Der gebürtige Ukrainer steht hinter dem KZ-Arzt Aribert Heim an zweiter Stelle auf der vom Simon-Wiesenthal-Zentrum veröffentlichten Liste der meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher.

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Das Oberste Gericht der USA hatte 2008 die schon 2002 ausgesprochene Ausbürgerung Demjanjuks wegen seiner Tätigkeit bei der SS für rechtsgültig erklärt. Vergangene Woche wies ein Richter auch die letzte Beschwerde des angeblich aus Gesundheitsgründen nicht reisefähigen 89-Jährigen ab. Am Wochenende teilten ihm US-Beamte an seinem Wohnort Seven Hills, einem Vorort von Cleveland (Ohio), mit, er solle sich bei den Behörden melden.

In Sobibor wurden fast 30.000 Menschen ermordet

Demjanjuk hatte seinen letzten deutschen Wohnsitz in einem bayerischen Flüchtlingslager, im Zuständigkeitsbereich des Münchner Landgerichts. Vorbereitet hat die Anklage aber die Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen. Sie hält für erwiesen, dass Demjanjuk von März bis September 1943 SS-Wachmann in Sobibor war.

Anders als etwa in Auschwitz gab es in Sobibor kein Arbeitslager, es diente allein der Ermordung der Inhaftierten, sodass Demjanjuk sich laut Zentralstelle nicht darauf berufen kann, er habe lediglich Arbeitstrupps bewacht. Weil sich unter den 29.000 namentlich nachweisbaren während seiner Dienstzeit Ermordeten auch rund 1900 deutsche Juden befanden, kann Demjanjuk in Deutschland vor Gericht gestellt werden.

Demjanjuk steht also nicht deshalb ganz oben auf der im April 2008 vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles vorgelegten Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher, weil er eine große Rolle im NS-Regime gespielt hätte. Er ist schlicht einer der wenigen, deren Namen man kennt und die noch am Leben sind, wie fast alle der "Meistgesuchten".

Mord verjährt nicht

Demjanjuk hatte seinen letzten deutschen Wohnsitz in einem bayerischen Flüchtlingslager, im Zuständigkeitsbereich des Münchner Landgerichts. Vorbereitet hat die Anklage aber die Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen. Sie hält für erwiesen, dass Demjanjuk von März bis September 1943 SS-Wachmann in Sobibor war.

Anders als etwa in Auschwitz gab es in Sobibor kein Arbeitslager, es diente allein der Ermordung der Inhaftierten, sodass Demjanjuk sich laut Zentralstelle nicht darauf berufen kann, er habe lediglich Arbeitstrupps bewacht. Weil sich unter den 29.000 namentlich nachweisbaren während seiner Dienstzeit Ermordeten auch rund 1900 deutsche Juden befanden, kann Demjanjuk in Deutschland vor Gericht gestellt werden.

Demjanjuk steht also nicht deshalb ganz oben auf der im April 2008 vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles vorgelegten Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher, weil er eine große Rolle im NS-Regime gespielt hätte. Er ist schlicht einer der wenigen, deren Namen man kennt und die noch am Leben sind, wie fast alle der "Meistgesuchten".

Warum also, so hört man immer wieder fragen, muss man alte Männer wie Demjanjuk noch vor Gericht schleppen? Der jüngste der zehn "Meistgesuchten" ist 85, der älteste 97 Jahre alt. Prozesse schleppen sich wegen häufiger Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten sowie ähnlicher Schwierigkeiten mit den Zeugen oft dahin, bis der mutmaßliche Kriegsverbrecher vor der Urteilsverkündung stirbt oder haftunfähig ist.

Doch Mord verjährt nicht; aus gutem Grund: Der Gesetzgeber hält Mord für eine so schwere Tat, dass sie auch 70 Jahre später noch geahndet werden kann. Es liegt in der Natur von Rechtssystemen, dass sie keine Ausnahmen zulassen. Und es wäre auch mehr als seltsam, wenn dies ausgerechnet für Massenmörder geschähe.

Zudem sind deutsche und andere Behörden selbst schuld, dass NS-Verbrecher lange unbehelligt blieben. Die Alliierten ließen Mittäter oft laufen, wenn sie sie noch brauchen konnten. Die junge Bundesrepublik glaubte, nicht ohne die Expertise alter Nazis auskommen zu können, und ließ Richter Richter sein, Beamte wieder Beamte werden. Im Kalten Krieg galt als Nestbeschmutzer, wer in der Vergangenheit wühlte.

Deutsche Justiz versagte bei vielen NS-Tätern

Das augenfälligste Beispiel für solche Versäumnisse ist Hans Globke, vor 1945 Erfinder der Zwangsvornamen "Sarah" und "Israel" für Juden und Kommentator der Nürnberger Rassen-Gesetze, nach 1949 einer der engsten Berater von Konrad Adenauer (CDU). Aus Angst vor Belastungsmaterial gegen Globke sorgte der Kanzler dafür, dass Adolf Eichmann nicht von der CIA verhaftet wurde. Der israelische Geheimdienst Mossad entführte Eichmann dann aus Argentinien.

Alois Brunner, Eichmanns rechte Hand, arbeitete in Syrien lange als Informant für den deutschen Geheimdienst. Brunner gilt als tot – er wurde nie zur Rechenschaft gezogen.

Auch bei weniger prominenten Tätern versagte die deutsche Justiz: Ein 1949 in den Niederlanden verhängtes Todesurteil gegen Heinrich Boere wegen der Erschießung unbewaffneter Zivilisten durch ein Sonderkommando der SS genügte nach Ansicht deutscher Gerichte nicht rechtsstaatlichen Ansprüchen. Erst 2008 kam es deutschen Behörden in den Sinn, ein eigenes Verfahren einzuleiten – doch Boere war nicht mehr verhandlungsfähig.

Demjanjuks Anwälte nutzten jede Chance

Im Fall Demjanjuk haben sich gleich mehrere Länder nicht mit Ruhm bekleckert. Die USA vermieden es, dem gebürtigen Ukrainer den Prozess zu machen, und befassten sich stattdessen damit, ihm die Staatsbürgerschaft abzuerkennen – und das gleich zweimal: 1981 schoben sie ihn nach Israel ab, wo er 1988 zum Tode verurteilt wurde.

Damals ging es um einen anderen Vorwurf als heute: Demjanjuk sollte jener Iwan sein, der sich im Lager Treblinka durch besondere Grausamkeit den Beinamen "Iwan der Schreckliche" erwarb. Er wurde zum Tode verurteilt, doch der Oberste Gerichtshof Israels hob das Urteil 1993 auf: KGB-Akten waren aufgetaucht, denen zufolge jener Iwan mit Nachnamen Marchenko hieß.

Demjanjuk durfte zurück in die USA, wurde erneut US-Bürger – obwohl seine Tätigkeit als Wachmann der SS ja erwiesen war. In einem neuen Verfahren bürgerten die USA ihn noch einmal aus; seine Anwälte nutzten jede Chance, erst den Prozess und dann die Abschiebung hinauszuzögern. Deshalb kann er erst jetzt vor Gericht gestellt werden – wenn seine Anwälte nicht noch in letzter Minute eine weitere Hintertür finden.

ZEIT ONLINE

Hellmuth Vensky

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