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Krim, Atomwaffen, Sicherheitsgarantien: Der Verzicht auf Atomwaffen rächt sich

Die Krise um die Ukraine hat das Potenzial, die Erosion der globalen Sicherheitsarchitektur zu beschleunigen. Jeder für sich - so lautet die neue Devise. Denn die Lehre könnte sein: Der Verzicht auf Atomwaffen rächt sich.

Ob er diese Entscheidung am Ende seines Lebens bereut hat? Nach langen Geheimverhandlungen mit den USA und Großbritannien verzichtete der libysche Machthaber Muammar al Gaddafi im Dezember 2003 auf Massenvernichtungswaffen. Sein Atomprogramm war damals weit fortgeschritten. Im Gegenzug wurden die Sanktionen aufgehoben, die Beziehungen zum Westen normalisierten sich. Knapp acht Jahre später griffen die USA, Großbritannien und Frankreich aufseiten der Anti-Gaddafi-Rebellen in den libyschen Bürgerkrieg ein. Hätten sie das auch getan, wenn der Diktator Atomwaffen gehabt hätte? Wohl kaum. Atomwaffen schrecken ab. Das Beispiel Nordkorea lehrt, dass sich ein Land durch ihren Besitz gegen jede Art von Invasion immunisiert.

Die Ukraine war nach dem Zerfall der Sowjetunion plötzlich eine bedeutende Atommacht. Sie verfügte über die drittgrößte Zahl von Nuklearsprengköpfen. Im Jahr 1994 beschloss die Regierung in Kiew, diese Waffen an Russland zu übergeben. Dann trat das Land dem Atomwaffensperrvertrag bei. Im Gegenzug versprachen die USA, Großbritannien und Russland, die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Ukraine sowie ihre politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu achten. Wird sich auch dieser Verzicht auf eine nukleare Abschreckungsfähigkeit demnächst rächen?

Was nützen Ultimaten, wie lange halten Versprechen, wer hilft wirklich in der Not?

Überall auf der Welt wird der Verlauf der Ukraine-Krise aufmerksam verfolgt. Die Mullahs in Teheran etwa könnten versucht sein, ihre Verhandlungsstrategie mit den Fünf-plus-eins-Mächten zu überdenken. Ist das für sie nicht, im Lichte der aktuellen Ereignisse, ein schlechter Deal: Für Sicherheitsgarantien und die Aufhebung von Sanktionen friert der Iran sein Atomprogramm ein? Und wenn’s ernst wird? In Israel wiederum sind Stimmen zu hören, die den Wert amerikanischer Sicherheitsgarantien für den Fall einer Zwei-Staaten-Lösung in Zweifel ziehen. Barack Obama ließ zu, dass der syrische Despot Baschar al Assad die rote Linie überschritt und Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk einsetzte. Was also nützen Ultimaten, wie lange halten Versprechen, wer hilft wirklich in der Not?

Die Krise um die Ukraine hat das Potenzial, die Erosion der globalen Sicherheitsarchitektur zu beschleunigen

Jeder für sich. Die Krise um die Ukraine hat das Potenzial, die Erosion der globalen Sicherheitsarchitektur zu beschleunigen. Idealerweise ist der UN-Sicherheitsrat das oberste völkerrechtliche Gremium. Als die Nato 1999 die Abspaltung des Kosovo von Serbien erzwang, wurde er missachtet. Als Amerika 2003 mit einer Koalition der Willigen den irakischen Diktator Saddam Hussein stürzte, ebenfalls. Gegen beide Kriege protestierte Russland vehement. Dann zog Moskau selbst in den Krieg – nun seinerseits ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats. Zuerst 2008 im Kaukasus. Und jetzt behält sich Wladimir Putin ausdrücklich eine Militärintervention in der Ukraine vor. Das, was als eigenes Interesse wahrgenommen wird, schlägt völkerrechtliche Einwände ebenso wie das Argument einer möglichen Vertragsverletzung.

Der Verzicht auf Atomwaffen rächt sich, Sicherheitsgarantien stehen bloß auf dem Papier, das Völkerrecht hat ausgedient: Wenn die internationale Gemeinschaft nicht will, dass sich solche Lehren in den Köpfen der Mächtigen und Ohnmächtigen festsetzen, dann darf sie die Lage in der Ukraine nicht eskalieren lassen. Dabei liegen Hyperrealismus und Zynismus mitunter eng zusammen. Wenn Putin erklärt, was die Nato mit dem Kosovo gedurft habe, könne man Russland in Bezug auf die Krim nicht verweigern, dann heißt das im Umkehrschluss, unter Berücksichtigung seiner eigenen Maßstäbe: Was ich mit der Krim mache, ist genauso falsch und völkerrechtswidrig wie das, was die Nato mit dem Kosovo gemacht hat. Legal, illegal, ganz egal.

Die Ereignisse um die Ukraine markieren eine weitere Station auf dem Weg in eine fragile Weltunordnung. In Asien rüsten viele Staaten massiv auf, die muslimisch-arabische Welt liegt in Trümmern, Amerika zieht sich zurück, in Europa gewinnen nationalstaatliche Egoismen Oberwasser. Gibt’s keinen Trost? Nein, diesmal nicht. Was bleibt, ist etwas Resthoffnung auf ein wenig Restvernunft.

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