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Kriminalität: "Disco-Krieg" erschüttert Sachsen

Leipzig bangt um seinen Ruf. Die Stadt, Studienort Goethes und Wirkungsstätte Bachs, Kristallisationspunkt der friedlichen Revolution in der DDR, Boomtown Sachsens und weltbekannter Messestandort, kämpft mit dem Negativimage als Hort der organisierten Kriminalität. Die Vorgänge in Leipzig belasten auch den Innenminister

Von Matthias Schlegel

Nachdem vor zwölf Tagen ein Todesopfer und ein Schwerverletzter der vorläufige traurige Höhepunkt des Kampfes um die Hoheit in der Discoszene war, verhinderte übermächtige Polizeipräsenz am vergangenen Wochenende ein erneutes Aufflammen der Rivalitäten.

Längst haben die Ausläufer des „Disco- Kriegs“ die Landespolitik erreicht und Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo in eine bedrohliche Lage gebracht. Der Leipziger Oberbürgermeister Burkard Jung (SPD) warf dem Dresdner Ressortchef vor, für die „personelle Unterausstattung“ der Polizei in Leipzig verantwortlich zu sein. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Cornelia Ernst, bescheinigte Buttolo, er habe sich „wiederholt als Sicherheitsrisiko erwiesen“ und sei „sowieso nur dank der unbegreiflichen Gnade des Ministerpräsidenten noch im Amt“. Zuvor hatte Buttolo den Zorn auf sich gezogen, weil er OB Jung in einem geharnischten Brief vorgeworfen hatte, Leipzig werde seiner Verantwortung als Ortspolizeibehörde nicht gerecht. Auf einem Krisentreffen am vergangenen Donnerstag legten Buttolo und Jung ihren Streit zunächst bei.

Der Innenminister spielt die Leipziger Vorgänge im Gespräch mit dem Tagesspiegel herunter. Er würde „nicht so große Begriffe wie organisierte Kriminalität oder Bandenkrieg wählen wollen“. Organisierte Kriminalität meide ja gerade die öffentliche Auseinandersetzung. In Leipzig handle es sich um „brutale Auseinandersetzungen zwischen Security-Firmen und einer Gruppierung von Ausländern“. Den Vorwurf, das Land engagiere sich in Leipzig nicht stark genug, will Buttolo so nicht stehen lassen: Die Polizeidirektion Leipzig habe in den Herbst- und Wintermonaten mehrere Gespräche mit den Security-Firmen und den von ihnen an Diskotheken abgewiesenen Ausländern mit dem Ziel einer Deeskalation geführt. An jenem Wochenende sei jedoch in einer „Spontansituation die ausgehandelte Stillhaltegrundlage aus den Fugen geraten“. Im Gespräch mit der Stadt Leipzig habe er zugesichert, die derzeitige „große Polizeipräsenz so lange zur Verfügung zu stellen, bis tatsächlich eine Entspannung der Situation eingetreten ist“.

Das allerdings wird sich nicht auf dem personellen Niveau des vergangenen Wochenendes abspielen können: Wegen des terminlichen Zusammenfalls eines angemeldeten, dann aber untersagten NPD-Marsches, absehbarer Gegendemonstrationen, zweier brisanter Fußballspiele und starkem Publikumsverkehr durch die Buchmesse waren am Samstag und Sonntag 15 Hundertschaften aus dem ganzen Bundesgebiet – davon sechs der insgesamt sieben sächsischen – in Leipzig präsent. Es blieb ruhig.

Künftig würden eine Bereitschaftshundertschaft und das Spezialeinsatzkommando (SEK) so lange vor Ort bleiben, „wie sie benötigt werden“, sagt Buttolo. Den Vorwurf, er würde durch personelle Kürzungen im Polizeibereich Mitverantwortung für die Situation in Leipzig tragen, weist er zurück. 2007 und 2008 würden „nur altersmäßige Abgänge realisiert“. Daraus ergebe sich „keinesfalls ein Sicherheitsvakuum“. Und so hat der Innenminister auch kein Verständnis für Rücktrittsforderungen: Er sehe seine „Aufgabe darin, die Sicherheit in Leipzig auch künftig zu gewährleisten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich durch einen Rücktritt an der Situation in Leipzig irgendetwas ändert“.

Schon in der Affäre um die umstrittenen Geheimakten des sächsischen Verfassungsschutzes über Korruption und organisierte Kriminalität, in denen Leipzig eine herausragende Rolle spielt, war Buttolo wegen seiner wankelmütigen Haltung schwer unter Beschuss geraten. Ist das spezielle Milieu in Leipzig von der Politik seit Jahren unterschätzt worden? Einen Zusammenhang zu den Geheimdienstakten will Buttolo auf keinen Fall herstellen: „Das hieße ja, davon auszugehen, dass das, was in diesen Akten steht, mit der Wirklichkeit übereinstimmt.“ Daran aber bestünden erhebliche Zweifel. Mehr wolle er wegen des geheimen Charakters der Informationen dazu nicht sagen. Matthias Schlegel

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