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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© Umit Bektas/REUTERS

Update

Krise in der Türkei: Erdogan kündigt Boykott von elektronischen Geräten aus den USA an

Der türkische Präsident Erdogan hat als Reaktion auf Sanktionen aus Washington einen "Boykott" elektronischer Geräte aus den USA angekündigt. DIW-Chef Marcel Fratzscher glaubt, dass die Türkei Notkredite des IWF braucht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat als Reaktion auf Sanktionen aus Washington einen "Boykott" elektronischer Geräte aus den USA angekündigt. Die USA hätten iPhones, doch "auf der anderen Seite" gebe es Samsung, sagte Erdogan am Dienstag im türkischen Fernsehen mit Bezug auf den US-Handyhersteller Apple und den südkoreanischen Konkurrenten. Außerdem habe die Türkei ihren eigenen Hersteller Vestel.

Die Türkei und die USA stecken derzeit in einem tiefen Konflikt, der die türkische Währung massiv belastet. Im Zentrum steht der Fall des evangelikalen Pfarrers Andrew Brunson, der seit Oktober 2016 in türkischer Haft sitzt. Als die US-Regierung deswegen kürzlich Sanktionen gegen zwei türkische Minister verhängte, brach die Lira ein. Nachdem auch ein hochrangiges Treffen in Washington keine Lösung brachte, kündigte US-Präsident Donald Trump am vergangenen Freitag neue Zölle auf türkische Stahl- und Aluminiumimporte an.

Özdemir: Bundesregierung muss Tacheles reden

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir ruft die Bundesregierung dazu auf, in der türkischen Wirtschaftskrise mit klaren Forderungen Einfluss auf das Land zu nehmen. Die Krise biete die Gelegenheit, die Türkei zu Reformen zu bewegen, sagte Özdemir im Interview mit NDR Info (Dienstag). Man müsse mit Präsident Recep Tayyip Erdogan „Tacheles reden und klare Bedingungen stellen, ihm klarmachen, dass es keine Leistung ohne Gegenleistung gibt“. Die Wirtschaftskrise in der Türkei sei hausgemacht und nicht von den USA ausgelöst. „Die Krise wird verschärft von Präsident Erdogan, weil er nicht auf die Wirtschaftsexperten hört“, kritisierte Özdemir.

Erdogan müsse seine ganze Politik ändern und alle zu Unrecht Inhaftierten freilassen, sagte der Grünen-Politiker. „Jetzt ist die Gelegenheit, Einfluss zu nehmen auf die Türkei.“ Bei der Modernisierung seiner Volkswirtschaft sei das Land auf Europa angewiesen. Dabei sei Deutschland der stärkste Handelspartner. Auch Erdogan wisse, dass er seine Macht gefährde, wenn die Wirtschaft zusammenbreche.

Cem Özdemir.
Cem Özdemir.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

FDP-Chef Christian Lindner sprach sich indes gegen die Pläne der Bundesregierung aus, Erdogan Ende September zu einem groß angelegten Staatsbesuch zu empfangen. Dieses Format wirke „wie ein Propagandasieg“ für Erdogan und dessen islamisch-konservative Regierungspartei, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Besser wäre ein reiner Arbeitsbesuch.

Durch einen Staatsbesuch werde Erdogan aufgewertet in seinen Bemühungen, „aus seinem Land eine Präsidialdiktatur zu machen“. Das neu eingeführte Präsidialsystem in der Türkei stattet Erdogan mit großer Macht aus. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten.

Lira erholt sich

Die türkische Lira hat sich nach den heftigen Kursverlusten wieder etwas erholt. Die wieder anziehende türkische Lira hat am Dienstag für steigende Kurse an der Istanbuler Börse gesorgt. Nach seinem Einbruch in den vergangenen zwei Handelstagen stieg der türkische Leitindex ISE 100 kurz nach dem Handelsbeginn um mehr als 2 Prozent. Der Wertverfall der türkischen Lira stoppte am Morgen. Die Lira legte zu wichtigen Währungen wie Dollar und Euro jeweils um rund 5 Prozent zu.

Fachleute sehen einen Grund für die jüngsten Kursgewinne in dem Eingreifen der türkischen Notenbank am Montag. Die Zentralbank hatte die Liquidität der türkischen Banken erhöht und so für etwas Zuversicht gesorgt. „Der erste Schrecken der Lira-Krise scheint verdaut zu sein“, kommentierten Devisenexperten der Commerzbank. Allerdings sei es noch zu früh, um Entwarnung zu geben. So sind die Verluste der Lira auch nach den jüngsten Gewinnen immer noch drastisch. Seit Jahresbeginn hat die Lira gegenüber Dollar und Euro um jeweils etwa 40 Prozent an Wert verloren.

Die Lira fällt.
Die Lira fällt.

© AFP

DIW-Präsident sieht in IWF "letzten Rettungsanker"

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält in der türkischen Währungskrise ein Einschreiten des Internationalen Währungsfonds (IWF) für notwendig. "Der Internationale Währungsfonds ist der letzte Rettungsanker für Ankara", sagte Fratzscher der "Passauer Neuen Presse".

Es deute vieles darauf hin, dass die Türkei Notkredite brauche, sagte der DIW-Chef. Dann bleibe dem türkischen Staatschef Recep Tayyp Erdogan "keine andere Wahl, als den IWF um Hilfe zu bitten".

Ein Rettungsprogramm des IWF wäre zugleich eine große Chance, sagte Fratzscher. "Der Fonds hat verbindliche Regeln und könnte konkrete Bedingungen stellen. Erdogan müsste sich deutlich zurücknehmen, viele seiner falschen Entscheidungen müssten revidiert werden", sagte Fratzscher. "Der IWF hätte den Hebel, den türkischen Präsidenten in die Schranken zu weisen und damit wieder für wirtschaftliche aber auch mehr politische Stabilität zu sorgen", fügte der DIW-Chef hinzu.

Unmittelbare wirtschaftliche Risiken für Europa sieht Fratzscher durch den Währungsverfall in der Türkei nicht. "Es gibt keine akute Ansteckungsgefahr", sagte er, warnte aber vor möglichen politischen Folgen. "Erdogan wird versuchen, die hausgemachten Probleme zu nutzen, um externe Konflikte anzuheizen", sagte Fratzscher. Ankara könne etwa damit drohen, den Flüchtlingsdeal mit der EU platzen zu lassen und seine Grenzen für Flüchtlinge öffnen. Die EU sei "gefangen", dürfe "sich aber nicht erpressen lassen".

"Mit Griechenland ist diese Krise nicht zu vergleichen"

Der Wirtschaftswissenschaftler Jörg Rocholl hält eine rasche Lösung der Türkei-Währungskrise für nötig, um gravierendere wirtschaftliche und politische Auswirkungen zu verhindern. "Daher ist es wichtig, dass diese Krise schnell gelöst wird", sagte Rocholl am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. "Ich glaube, die Hauptgefahr liegt eher darin, das jetzt viele Gefahrenpotenziale zusammenkommen", bewertete er die Bedeutung der Türkei-Krise für die Welt und führte dabei den Handelskonflikt USA und China wie auch den anstehenden Brexit an. An sich wäre der Internationale Währungsfonds (IWF) die geeignete Institution, die der Türkei helfen könnte. Aber Rocholl zweifelte, ob der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereit sei, dies zuzulassen.

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

© Kai-Uwe Heinrich/TSP

Zum Gefahrenpotential der Türkei-Krise für Deutschland und Europa sagte Rocholl: "Mit Griechenland ist diese Krise nicht zu vergleichen." Die Lage in der Türkei sei aber dennoch ernst. Für ausländische Banken, die dem Land Geld geliehen hätten, bestehe das Risiko von Zahlungsausfällen. Allerdings seien die deutschen Banken vergleichsweise wenig in dem Land engagiert. "Dementsprechend ist kein direkter Effekt auf Deutschland zu erwarten", sagte er. Für deutsche Firmen könnte der Lira-Verfall den Export in die Türkei erschweren. Rocholl gab Erdogan ein hohes Maß an Mitschuld für die Fehlentwicklung in seinem Land. Was jetzt nottue, sei, die Rechtssicherheit in der Türkei wiederherzustellen, die Einmischung der Politik in die Wirtschaft zurückzufahren und die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank zu sichern.

Streit um in Türkei festgehaltenem US-Pastor

Im Streit zwischen den USA und der Türkei über das Schicksal eines in der Türkei festgehaltenen US-Pastors verschärft sich derweil der Ton weiter. Nachdem US-Präsident Trump am Freitag Strafzölle gegen die Türkei verdoppelt hatte, nannte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die USA am Montag vor einem Publikum aus Botschaftern aus aller Welt die „Kraftmeier des globalen Systems“. Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte aber zuvor einen versöhnlicheren Ton angeschlagen und gesagt, die Türkei sei offen für einen Konsens und diplomatische Anstrengungen. Nur vorschreiben ließe sie sich nichts. Eine Antwort aus Washington steht noch aus.

Mit den Strafzöllen hatte Trump bewusst die Währungskrise der Türkei angeheizt. Die türkische Lira verliert seit Monaten an Wert - die Ankündigung der Strafzölle beförderte sie in den freien Fall. Im asiatischen Handel war der Wert der türkischen Währung am Montag zum Euro und US-Dollar zeitweise erneut zweistellig gefallen. Erstmals mussten mehr als sieben Lira für einen US-Dollar und über acht Lira für einen Euro gezahlt werden.

Türkische Regierung will negative Kommentare bestrafen

Gleichzeitig richtet die Regierung ihre Kritik auch nach innen. Sie will nun Menschen für negative Kommentare über die wirtschaftliche Lage und den Absturz der Lira bestrafen. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu gehen nun Staatsanwälte in Ankara und Istanbul gegen Personen und Konten in sozialen Medien vor, die die „wirtschaftliche Sicherheit“ des Landes gefährden, indem sie falsche Berichte oder „Spekulationen“ unter anderem über den Zustand öffentlicher Unternehmen oder Banken verbreiteten.

Staatspräsident Erdogan verteidigte das Vorgehen gegen Kritiker während der Rede vor Diplomaten in Ankara. Er nannte sie „Wirtschaftsterroristen“. Sie hätten „Verrat“ begangen. Jene, die „Spekulationen“ verbreiteten, sollten dafür zahlen. In seiner Rede vor der Botschafterkonferenz deutete Erdogan gar an, dass die Türkei bereit zu einem Krieg sei. Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit zu Krieg sein, sagte er. „Wir sind bereit, mit allem, was wir haben.“

Der Finanzminister und die Zentralbank hatten am Montag Notfallmaßnahmen ergriffen. Die Notenbank, die in der Krise lange unsichtbar geblieben war, ließ unter anderem verlauten, dass Banken sich zusätzliche Mittel in Fremdwährung leihen könnten. Es würden alle Schritte ergriffen, um die Finanzstabilität zu sichern. (dpa, AFP)

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