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Angesichts des massiven prorussischen Widerstandes hat eine ukrainische Militärkolonne im Osten des Landes am Mittwoch die Waffen gestreckt.

© dpa

Update

Krise in der Ukraine: Separatisten übernehmen sechs ukrainische Panzer

Im Osten des Landes gerät die ukrainische Armee immer mehr unter Druck: Aufgrund des massiven prorussischen Widerstandes hat eine ukrainische Militärkolonne ihre Waffen unbrauchbar gemacht. Zudem übernahmen bewaffnete Aktivisten sechs Panzer.

Angesichts des massiven prorussischen Widerstandes hat eine ukrainische Militärkolonne im Osten des Landes am Mittwoch die Waffen gestreckt. Die Soldaten begannen in der Stadt Kramatorsk damit, vor einem uniformierten Mann ohne Abzeichen ihre Waffen unbrauchbar zu machen, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Im Gegenzug erhielten sie von den Milizionären die Zusicherung, in ihren gepanzerten Fahrzeugen den Rückweg antreten zu können. Zudem räumte das ukrainische Verteidigungsministerium den Verlust von sechs gepanzerten Fahrzeugen an prorussische Separatisten ein. Die Militärwagen seien in der östlichen Stadt Kramatorsk von Anwohnern unter Anleitung von bewaffneten Aktivisten blockiert und dann übernommen wurden, teilte das Ministerium am Mittwoch mit. Wo sich die Besatzungen aufhielten, werde noch geprüft. Nach Aussage der Separatisten liefen Soldaten über, die den Aufstand mit einem „Anti-Terror-Einsatz“ niederschlagen sollten. Zuvor hatte Kiew den Verlust der Fahrzeuge dementiert. Später hieß es, die Uniformierten hätten sich absichtlich mit einer russischen Fahne eingeschlichen.

Angela Merkel mahnt Wladimir Putin zur Mäßigung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat von Russlands Präsident Wladimir Putin Mäßigung im Ukraine-Konflikt verlangt. Merkel habe in einem Telefonat mit Putin "sehr deutlich gemacht, dass sie Russland in der Hauptverantwortung sieht, zu einer Deeskalation beizutragen", sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. Vom Ukraine-Vierergipfel an diesem Donnerstag in Genf erhofft sich Merkel Impulse für eine Verhandlungslösung. An dem Treffen nehmen die Außenminister aus Russland, der Ukraine und den USA sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton teil. "Ein Rückzug des russischen Militärs von der Grenze und eine Mäßigung der russischen Rhetorik sowie die Distanzierung von gewaltsamen Aktionen prorussischer Kräfte wären deshalb schon ein sehr wichtiger Beitrag zur Entschärfung der Lage", zitierte Streiter die Kanzlerin aus dem Gespräch mit Putin vom Dienstag.

Kurz vor dem Bürgerkrieg? Ein ukrainisches Kampfflugzeug überfliegt eine Gruppe prorussischer Aktivisten in der Stadt Kramatorsk..
Kurz vor dem Bürgerkrieg? Ein ukrainisches Kampfflugzeug überfliegt eine Gruppe prorussischer Aktivisten in der Stadt Kramatorsk..

© AFP

Die starke Präsenz russischen Militärs an der ukrainischen Grenze und "die anhaltende aufrührerische Berichterstattung in den auch in der Ostukraine konsumierten russischen Staatsmedien ist bereits ein Faktor, der zur Destabilisierung der Ostukraine beiträgt und von bewaffneten Separatisten als russische Rückendeckung verstanden wird". Erfolgsaussichten für den für Donnerstag geplanten Ukraine-Gipfel in Genf gebe es nur, wenn in Moskau und Kiew Bereitschaft bestehe, ernsthaft an die Entschärfung des Konflikts heranzugehen. "Ein Scheitern ist nicht erlaubt. Denn die Lage im Osten der Ukraine wird immer bedrohlicher." Die Bundesregierung lobte das Vorgehen gegen prorussische Kräfte im Osten des Landes. "Aus unserer Sicht hat sich die ukrainische Regierung in dieser Krise bisher sehr besonnen und zurückhaltend verhalten", sagte Streiter. "Klar ist, dass die ukrainische Führung natürlich die gewaltsame Übernahme von Polizeistationen oder andere Infrastruktur durch Gewalttäter nicht hinnehmen kann." Auf die Frage, ob Merkel wie Putin einen Bürgerkrieg in der Ukraine fürchte, sagte er: "Die Bundeskanzlerin hat kein Interesse an eskalierender Wortwahl. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit."

Erobert? Übergelaufen? Prorussische Aufständische am Mittwoch auf einem ukrainischen Panzer in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk.
Erobert? Übergelaufen? Prorussische Aufständische am Mittwoch auf einem ukrainischen Panzer in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk.

© AFP

Nato schickt Soldaten, Flugzeuge und Schiffe gen Osten

Die Nato verstärkt angesichts der Ukraine-Krise ihre militärische Präsenz in den östlichen Staaten des Bündnisses. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte am Mittwoch in Brüssel, es würden mehr Flugzeuge und Schiffe eingesetzt und auch Soldaten geschickt. Das Bündnis habe "ein Paket militärischer Maßnahmen" beschlossen, sagte Rasmussen. "Falls nötig, werden in den kommenden Wochen und Monaten weitere Maßnahmen folgen." Rasmussen sagte, die Schiffe würden "in die Ostsee, in das östliche Mittelmeer und nötigenfalls anderswohin" in Marsch gesetzt. Die Verteidigungspläne der Nato würden "überarbeitet und gestärkt". Die Nato verfügt über nicht veröffentlichte Pläne, wie die östlichen Mitgliedstaaten in der aktuellen Krise verstärkt geschützt werden sollen. Die Ukraine ist kein Nato-Mitglied, so dass keine Verpflichtung zum direkten Eingreifen in den Konflikt besteht. An der Grenze zur Ukraine hat Russland nach Angaben der Nato zehntausende Soldaten zusammengezogen. Deutschland beteiligt sich unter anderem mit sechs Kampfflugzeugen an der Luftraumüberwachung. Das war bereits Anfang April in Aussicht gestellt worden.

Soldaten als Geiseln genommen

In der ostukrainischen Region Lugansk sind hingegen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew zwei ukrainische Soldaten von prorussischen Aktivisten als "Geiseln" genommen worden. Ein Offizier und ein Soldat seien am Dienstag von "Extremisten" gefangen genommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden, erklärte das Ministerium am Mittwoch. Mehrere Einheiten der ukrainischen Streitkräfte seien an der Suche nach den beiden Militärs beteiligt. Kiew kündigte eine "harte Reaktion" auf derlei Angriffe auf ukrainische Soldaten an.

Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk warf Russland vor, in Europa eine "neue Berliner Mauer" zu errichten. Was sich derzeit abspiele, sei eine "Gefahr für Europa und die Europäische Union", sagte er am Mittwoch in Kiew. Es sei "klar", dass die russischen Nachbarn eine "Rückkehr zum Kalten Krieg" wollten. Moskau verbreite Terrorismus, sagte Jazenjuk.. "Außer Öl und Gas exportiert Russland auch Terror in die Ukraine." Er forderte die Führung in Moskau auf, das Vorgehen der Aktivisten in der Ostukraine als "Terrorakte" anzuerkennen. Bei den für diesen Donnerstag geplanten Ukraine-Verhandlungen in Genf müsse Russland dies öffentlich einräumen und dann seine "Spionage- und Sabotagegruppen" zurückziehen.

Putin warnt vor Bürgerkrieg

Russlands Präsident Wladimir Putin warnt vor einem Bürgerkrieg in der Ukraine.
Russlands Präsident Wladimir Putin warnt vor einem Bürgerkrieg in der Ukraine.

© afp

Nach dem Beginn der Offensive gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine hat Russland vor einer gefährlichen Zuspitzung der Krise gewarnt. Dies habe das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht, sagte Präsident Wladimir Putin nach Angaben der Regierung in Moskau am Dienstagabend in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel Auch in einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte der Kremlchef den zuvor gestarteten Einsatz ukrainischer Truppen. Moskau warnte vor einem Scheitern der für Donnerstag geplanten Krisengespräche in Genf.

Der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow hatte den Beginn des sogenannten "Anti-Terror-Einsatzes" am Dienstag im Parlament in Kiew verkündet. Russland hatte vor solch einem Schritt gewarnt. Die USA verteidigten das Vorgehen der Kiewer Regierung. In mehreren Orten der Ostukraine halten moskautreue Separatisten seit Tagen Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet. Am Mittwoch stürmten rund 20 prorussische Bewaffnete das Rathaus der ostukrainischen Stadt Donezk. Wie eine AFP-Reporterin vor Ort berichtete, erklärten die Aktivisten, ihre einzige Forderung sei die Organisation eines Referendums über die Bildung einer "föderalistischen" Ukraine. In Donezk wird seit Anfang April bereits der Sitz der Regionalregierung besetzt gehalten.

Schusswechsel bei Kramatorsk und Slawjansk

Bei aller unterschiedlichen Bewertung der Ereignisse habe die Vorbereitung des Treffens in Genf im Mittelpunkt gestanden. Dort wollen die Außenminister Russlands, der USA und der Ukraine zusammen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton über Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung der Krise beraten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) appellierte an die Teilnehmer, das Treffen auch zu nutzen. "Ein Scheitern ist nicht erlaubt", sagte er der "Rheinischen Post".

Interimspräsident Turtschinow sagte, Ziel des Vorrückens sei der "Schutz der Bürger vor Terroristen, die das Land zerreißen wollen". Zu Schusswechseln zwischen ukrainischen Einheiten und moskautreuen Aktivisten kam es in der Nähe der Städte Kramatorsk und Slawjansk im Verwaltungsgebiet Donezk. Nach schweren Gefechten hätten Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Turtschinow. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die moskautreuen Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht.

Putin forderte laut Kreml von UN-Generalsekretär Ban, die Vereinten Nationen müssten das "verfassungswidrige Vorgehen" der Machthaber in Kiew verurteilen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach bei einem Besuch in Peking von einer "Verletzung ukrainischer Rechtsnormen und des Völkerrechts".

Auch die USA warnen vor einer "sehr gefährlichen" Eskalation in der Ukraine

US-Regierungssprecher Jay Carney sagte hingegen: "Die ukrainische Regierung hat die Verantwortung, Recht und Ordnung herzustellen." Die "Provokationen" prorussischer Kräfte "schaffen eine Situation, in der die Regierung handeln muss". Er bezeichnete die Eskalation als "sehr gefährlich". Die USA haben Russland mehrfach beschuldigt, in dessen Nachbarland politische Unruhen zu befeuern. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sagte der "Passauer Neuen Presse", die gute Organisation und Ausrüstung der Milizen in den Städten deuteten auf russische Herkunft hin.

Vor einer Entscheidung über mögliche weitere Sanktionen gegen Russland wollen die USA zunächst die Genfer Gespräche abwarten. Die "New York Times" berichtete, Washington prüfe unter anderem, einen engen Putin-Vertrauten auf die Sanktionsliste zu setzen. Es handele sich um Igor Setschin, Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft.

Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hielt der Nato Versagen in der Ukraine-Krise vor. Das Bündnis habe vor der Krim-Krise "überhaupt keinen Beitrag zur Deeskalation" geleistet, sagte der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses im Sender Bayern2. "Die Nato hätte von Anfang an mit Russland verhandeln müssen, denn sie hat eine strategische Partnerschaft mit Russland", sagte Kujat. Nach dem Grundlagenvertrag hätte der Nato-Russland-Rat einberufen werden müssen. Das sei nicht geschehen. "Es wird nun endlich Zeit, dass man sich zusammensetzt." In Moskau gebe es große Bereitschaft für Verhandlungen. Diese könnten ein Erfolg werden, wenn der Westen klarstelle, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied werde, sagte Kujat. Einen Militäreinsatz der Nato in der Ukraine hält Kujat für undenkbar. "Die Nato ist nicht in der Lage, die Ostukraine zu schützen oder den Zusammenhalt des Landes zu garantieren", sagte er.

Juncker: Sanktionen gegen Russland zeigen Wirkung

Nach Ansicht des luxemburgischen Europapolitikers Jean-Claude Juncker zeigen die bislang von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen Wirkung. "Man weiß ja jetzt schon, was es an Kapitalabfluss aus Russland in den vergangenen Wochen und Tagen gegeben hat. Das geht nicht wirkungslos an Russland vorbei", sagte Juncker in Straßburg. Bisher verhängte die EU wegen der Annexion der Krim durch Russland Kontensperrungen und Einreiseverbote gegen Einzelpersonen. Über neue Wirtschaftssanktionen wurde noch nicht entschieden.
Juncker sagte vor allem mit Blick auf mögliche Wirtschaftsstrafmaßnahmen: "Man kann keine Sanktionen verhängen, die einen nicht auch selbst betreffen würden. Wenn wir, was wir sind, auch weiterhin eine Wertegemeinschaft bleiben wollen, dann müssen wir dies in Kauf nehmen. Angenehm ist das nicht, aber die Verteidigung von Werten hat auch einen Preis." (dpa/AFP)

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