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Huldigung. Als „Friedensstifter. Führer. Visionär“ wird Sinn-Fein-Chef Gerry Adams auf diesem Wandbild in der überwiegend von Katholiken bewohnten Falls Road in Belfast gewürdigt.

© dpa

Update

Krise in Nordirland: Sinn-Fein-Chef Gerry Adams wieder auf freiem Fuß

Der Chef der nationalistischen Sinn-Fein-Partei in Nordirland, Gerry Adams, ist nach vier Tagen Verhör wieder freigelassen worden. Seine Festnahme hatte Gewissheiten des dortigen Friedensprozesses in Frage gestellt.

Der Chef der gesamtirischen Nationalistenpartei Sinn Fein, Gerry Adams, ist am Sonntagabend nach viertägiger Vernehmung auf einem Polizeirevier in Antrim in Nordirland auf freien Fuß gesetzt worden. Adams war am Mittwoch verhaftet worden, als er sich freiwillig zu einer Vernehmung über einen IRA-Mord von 1972 meldete. Adams beteuerte dabei seine Unschuld. Mit der Ermordung von Jean McConville habe er nichts zu tun gehabt. Die Regierungen in Belfast, London und Dublin dürften mit Erleichterung auf die Entwicklung reagiert haben. Die Verhaftung hatte Spannungen und ungelöste Fragen des nordirischen Friedensprozesses an die Oberfläche gebracht. Proteste von Sinn Fein und die Androhung politischer Konsequenzen für den Friedensprozess machten die nordirische Politik nervös. Die Reaktionen und Drohungen Sinn Feins gegenüber der Polizei, die lediglich ihre Arbeit tue, „hat die Beziehungen zwischen den Gemeinschaften beschädigt“, sagte der Chef der Unionistenpartei UUP, Mike Nesbitt, in der BBC.

Als Adams am Abend das Polizeirevier verlassen wollte, wurde sein Fahrzeugkonmvoi zunaechst von pro-britischen Demonstranten blockiert. Auf einer Pressekonferenz wiederholte er spaeter seine Unschuld. Er habe alle Vorwuerfe zurueckgewiesen, die die Polizei gegen ihn erhiben haetten. Adams setzte sich deutlich fuer die Fortsetzung des Friedensprozesses und die Unterstuetzung der Polizei ein, uebte aber auch deutliche Kritik: "Die Leute, die meine Verhaftung autorisiert haben, haetten es anders machen koennen".

Beendet ist die Diskussion um Adams Vergangenheit, die Rolle der Polizei bei der Aufklärung und überhaupt den Umgang mit Terrorakten und Kriminalität in den Jahrzehnten der nordirischen „troubles“ nicht. Die Polizei wird die Vernehmungsakten an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, die über eine Anklage entscheiden wird. Diese Tatsache und die ungewöhnliche Länge von Adams Vernehmung kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass es sich nicht um eine reine Routineangelegenheit gehandelt hat. Nur in einem Drittel der Fälle, in denen die Polizei Akten an die Staatsanwaltschaft weiterleitet, wird nicht angeklagt.

Adams bestreitet Mitschuld an Mordfall aus dem Jahr 1972

Adams wurde nach britischen Terrorismusgesetzen verhaftet und über seine mögliche Mitwisser- oder Mittäterschaft bei der Entführung und Ermordung der 37-jährigen Jean McConville im Jahr 1972 durch die nationalistische Untergrundarmee IRA verhört. Adams bestreitet jede Mitschuld, wurde aber in den vergangenen Monaten von mehreren ehemaligen IRA-Aktivisten als Anstifter der Aktion genannt. Auch mindestens zwei inzwischen gestorbene IRA-Aktivisten haben Adams als Anstifter der Tat genannt.

Führende Sinn-Fein-Politiker hatten die Polizeiaktion als politisch motivierte „Kabale“ kritisiert und zeitweise sogar damit gedroht, der nordirischen Polizei PSNI die Unterstützung zu entziehen. Sinn-Fein- Spitzenpolitiker Martin McGuinness, Vizechef der Regionalregierung, sprach sogar von „dunklen Kräften“ innerhalb des PSNI, die sich gegen Sinn Fein verschworen hätten. Am Samstag sprach McGuinness vor einem eilends gemalten Wandbild von Adams in der Belfaster Nationalisten Hochburg Falls Road zu Demonstranten. „Friedensstifter. Führer. Visionär“, steht neben dem Adams-Porträt. Poster wurden hochgehalten, auf denen neben Gerry Adams Nelson Mandela abgebildet war.

Irlands Regierungschef Peter Robinson, Chef der stärksten Unionistenpartei DUP verurteilte diese Drohungen und „Erpressungen“ scharf. „Die Protestaktionen von Sinn Fein sind in einem demokratischen Land, in dem die Herrschaft der Gesetze gilt, unakzeptabel“, erklärte Robinson.

Die Reform der fast ausschließlich mit Protestanten besetzten „Royal Ulster Constabulary“ durch die Neugründung der neutralen PSNI und deren Akzeptanz durch die katholische Bevölkerung war eines der wichtigsten Fundamente des komplexen Friedensprozesses in Nordirland. Adams spielte dabei, wie zuvor beim Waffenstillstand und der Entwaffnung der IRA eine Schlüsselrolle.

Wie ist mit Verantwortlichen vergangener Gewalt umzugehen?

Hintergrund der Krise sind Unklarheiten im Umgang mit Verantwortlichen vergangener Gewalt. Teil des Friedensabkommens war eine Amnestie für verurteilte „paramilitärische Kämpfer“. Vor einigen Wochen musste der Prozess gegen den mutmaßlichen Verantwortlichen eines Bombenanschlags auf britische Soldaten in London 1982 eingestellt werden, weil der Tatverdächtige zu rund 180 ehemaligen IRA-Kämpfern gehörte, denen in einem Geheimdokument der Regierung von Tony Blair Straffreiheit zugesichert wurde. Gegen Übergriffe britischer Soldaten und der nordirischen Polizei sind langwierige richterliche Untersuchungen im Gange. Über die Vergangenheit von Adams und McGuinness hängt bis heute ein Schleier des Schweigens. Während McGuinness zugab, bis 1974 Mitglied der IRA gewesen zu sein, bestreitet Adams bis heute, eine Rolle in der verbotenen „Untergrundarmee“ oder ihrer Terrorkampagne gegen Ziele in Nordirland und auf der britischen Insel gespielt zu haben.

Der nordirische „Bürgerkrieg“ forderte nach einer Datenbank der Universität Ulster 3526 Todesopfer. Die IRA war für 2057, probritische Loyalisten für 1019 und die britischen Sicherheitskräfte für 363 verantwortlich. Nordiren auf beiden Seiten lehnen eine Generalamnestie in der Regel ab.

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