zum Hauptinhalt

Politik: Krise in Zeitlupe

In Libanon sind fünf schiitische Minister zurückgetreten, um ein Tribunal zum Hariri-Mord zu verhindern

Mehrere politische Morde, einen Krieg mit Israel und die umstrittene Stationierung zusätzlicher UN-Friedenstruppen hat das libanesische Kabinett überstanden, ohne auseinanderzubrechen. Doch jetzt sprengt der Streit um die Aufklärung des Mordes am früheren Regierungschef Rafik Hariri die Regierung. Viele haben erwartet, dass der bis Monatsende erwartete neue UN-Ermittlungsbericht zum Hariri-Mord, den der Belgier Serge Brammertz verfasst, ein politisches Erdbeben in Beirut auslösen wird. Es kam vorher.

Der Rücktritt von fünf schiitischen Ministern hat Libanon in eine Regierungskrise gestürzt. Am Samstagabend hatten die drei Minister der Hisbollah-Miliz und die zwei Minister der verbündeten Amal- Bewegung der Regierung von Fouad Siniora den Rücken gekehrt. Zwar will der Ministerpräsident die Rücktritte nicht akzeptieren. Doch die fünf Schiiten wollen nicht in ihre Ämter zurückkehren.

Der Krieg zwischen Israel und der schiitischen Hisbollah im Sommer hat das politische Kräfteverhältnis verschoben. Ermutigt durch das, was sie als Sieg über das militärisch überlegene Israel betrachten, wollen Hisbollah und ihre pro-syrischen Verbündeten mehr politische Macht in Beirut. Nach den Rücktritten werden nun Unruhen befürchtet.

Ende Oktober hatte der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah der Regierung ein Ultimatum gestellt. Sollte die anti-syrische Mehrheitskoalition nicht bis zum 13. November einer neuen Regierung der nationalen Einheit zustimmen, in der Hisbollah stärker vertreten ist, und in die ihr neuer politischer Verbündeter, der populärere christliche Ex-General Michel Aoun, aufgenommen würde, wolle Hisbollah durch Massendemonstrationen Neuwahlen erzwingen. Nervös beorderte Verteidigungsminister Elias Murr 20 000 Soldaten in die Hauptstadt, um Gewaltausbrüche zu verhindern.

Hisbollah wirft Siniora vor, Handlanger der Amerikaner zu sein und im Krieg auf der Seite Israels gestanden zu haben. Das Regierungsbündnis ist andererseits – unter amerikanischem Druck – entschlossen, die Hisbollah zu entwaffnen.

Tatsächlich geht es bei dieser Krise aber – wie so oft in Libanon – um einen regionalpolitischen Machtkonflikt. Die USA und das verbündete Israel bezichtigen Syrien und Iran, mit Hilfe der Hisbollah die pro-westliche Regierung Siniora stürzen und Libanon wieder stärker unter ihren Einfluss zwingen zu wollen.

Die Regierung hatte am Freitag einen Vorbericht des Hariri-Reports über den Mord am Ex-Premier 2005 erhalten, der die Einberufung eines internationalen Tribunals vorsieht. Als Siniora deshalb für diesen Montag eine Sondersitzung des Kabinetts einberief, verkündeten die fünf Minister ihren Rücktritt, um eine Beschlussfassung zu verhindern. Nach dem seit 1989 geltenden Taif-Abkommen, dem Nationalpakt, ist keine Regierung voll handlungsfähig, der nicht Repräsentanten aller großen Fraktionen angehören. Die Schiiten stellen die größte Bevölkerungsgruppe des Landes. Dass es Siniora gelingen könnte, nicht zu Hisbollah oder Amal gehörende Schiiten zu finden, die er in die Regierung aufnehmen könnte, erscheint unmöglich. Ein internationales Tribunal könnte, so meint der Hariri-Block, die Mörder des Ex-Premiers und Syrien als Auftraggeber entlarven.

Die politische Szene ist polarisiert wie nie zuvor, während der Wiederaufbau nur schleppend vorankommt, die Bevölkerung leidet schwer unter den Nachwirkungen des Krieges, Tausende Menschen hausen immer noch in Notunterkünften, Hotels oder bei Freunden. Die Regierung Siniora stand schon in den vergangenen drei Monaten diesen gigantischen Problemen machtlos gegenüber. Die Regierungskrise droht sie nun vollends zu lähmen.

Während Hisbollah in Beirut um mehr politische Macht kämpft, füllt sie eifrig ihre Waffenarsenale wieder auf. Ungeachtet der Präsenz von 8000 Unifil- und 12 000 libanesischen Soldaten in Südlibanon haben die Guerillas nach Berichten aus der Region Tunnel und Gräben, die die israelische Armee im Sommer zerstört hatte, wieder repariert. Jüngst stellte Nasrallah in einer Fernsehansprache frohlockend fest, seine Bewegung hätte nun 33 000 Raketen einsatzbereit, mehr als vor Kriegsbeginn. mit AFP

Birgit Cerha[Beirut]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false