zum Hauptinhalt
278958_3_xio-fcmsimage-20090528174941-006002-4a1eb295e2491.heprodimagesfotos82220090529opel11.jpg

© ddp

Krise: Woran ist der Opel-Gipfel gescheitert?

Eigentlich sollte Opel in der Nacht zu Donnerstag im Kanzleramt gerettet werden. Doch daraus wurde nichts. Woran ist der Gipfel gescheitert?

Im Zentrum des Streits, der letztlich gegen 4.30 Uhr am Morgen zum Scheitern des Gipfels im Kanzleramt geführt hat, steht die Frage: Wann bürgt der deutsche Staat für Milliardenkredite zur Rettung von Opel – vor oder nachdem alle Beteiligten dafür Sicherheiten geleistet haben? Glaubt man der deutschen Verhandlungsseite, dann war am Donnerstag bis gegen 21 Uhr klar, dass vor der deutschen und der US-Regierung sowie der GM-Führung aus Detroit zwei Verträge unterschriftsreif auf dem Tisch liegen: ein Kreditvertrag über 1,5 Milliarden Euro, den die deutsche Seite (Bund und Länder) verbürgt, damit die europäischen Werke von Opel in den nächsten Monaten überhaupt produzieren und bis zur endgültigen Übernahme durch einen Investor ihre Rechnungen begleichen können. Und ein Treuhandvertrag, der sicherstellt, dass das Vermögen der europäischen GM-Werke (Produktionsstandorte, Know-how) aus dem GM-Gesamtverbund auf eine Treuhandgesellschaft übergeht und diese Gesellschaft Zugriff auf die Lizenzen von GM hat, damit in Europa weiter gefertigt werden kann.

Schon bald nach Beginn der Gespräche sind nach Darstellung der Bundesregierung jedoch zwei Probleme aufgetaucht. Erstens hat das Management von GM-Europa klargestellt, dass 350 Millionen Euro bis spätestens Freitag überwiesen werden müssen, damit fällige Rechnungen bezahlt werden können. Offenbar fließt aus der GM-Kasse, die nach wie vor in Amerika steht, kein Geld mehr nach Europa. Zudem wussten offenbar weder der im Kanzleramt anwesende Vertreter von GM aus Detroit noch der per Telefon konsultierte Stellvertreter des US-Finanzministers etwas davon, dass sie mit ihrer Unterschrift unter den Treuhandvertrag zusichern müssen, dass im Falle einer Insolvenz des gesamten amerikanischen GM-Konzerns das Vermögen und die Anteile von GM-Europa nicht in die Konkursmasse des Konzerns fließen dürfen.

Wie kam es zu den Informationspannen?

Ganz aufzuklären ist das nicht. Von deutscher Seite heißt es, man wisse bis heute nicht, ob Vorsatz oder Unvermögen der Amerikaner dazu geführt hätten. Auf jeden Fall aber, so beteuerten deutsche Regierungsvertreter, trügen die deutschen Ministerialbeauftragten, die unter der Leitung des Wirtschaftsministeriums den Gipfel vorbereitet hatten, keine Schuld. Vielmehr, so sagte etwa Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Donnerstag, habe es die US-Regierung an der „nötigen Aufmerksamkeit“ für die Sache fehlen lassen. Trotz vorheriger Telefonate der Minister Peer Steinbrück (SPD) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) schickte das US-Finanzministerium nur einen Investmentbanker nach Berlin. Begründung dafür offenbar: Es fehlt an entscheidungsbefugtem Personal im Ministerium. Kanzlerin Merkel entschied adhoc: Der Investmentbanker durfte am Tisch gar nicht Platz nehmen.

Stimmt der deutsche Vorwurf, die US-Regierung sei unterbesetzt?

Aus amerikanischer Perspektive stellen sich die Kernprobleme der Zukunft von Opel etwas anders dar. Es dauert in der Tat mehrere Monate, bis eine neue US-Regierung voll handlungsfähig ist. Denn alle Minister, Staatssekretäre, Abteilungsleiter, die der Präsident ernennt, müssen vom Senat bestätigt werden. Im Fall des für die Zukunft der US-Autoindustrie zuständigen Finanzministers Tim Geithner geschah das am 26. Januar. Sein Stellvertreter Meal Wollin ist seit 18. Mai im Amt, der Staatssekretär für internationale Angelegenheiten, Lael Brainard, wartet noch auf die Bestätigung. Der Personalmangel in der US-Regierung ist aber nicht das Kernproblem im Umgang mit Opel. Der Vertreter, den Washington zum Gipfel geschickte hatte und den deutsche Teilnehmer als Ersatzlösung ohne Handlungsvollmacht beschreiben, ist laut US-Medien ein Mann, der eine Schlüsselrolle bei der Zukunft von GM in den USA spielt.

Wer ist verantwortlich für das Scheitern?

Die Bundesregierung sagt: die Amerikaner. Doch es gibt auch andere Positionen: Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer macht Wirtschaftsminister Guttenberg verantwortlich: „Man hat den Eindruck, er will Opel bewusst in die Insolvenz schicken und den Schwarzen Peter den USA zuschieben“, sagte der Professor der Nachrichtenagentur dpa. Guttenberg habe sich zu sehr auf sein Treuhandmodell festgelegt, das aber keine Chancen habe: „Die Amerikaner können dem Modell nicht zustimmen, weil es gegen US- Gläubigerrecht verstoßen würde“, sagte Dudenhöffer.

Der Opel-Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz erhob schwere Vorwürfe gegen GM. „Verantwortlich für dieses Desaster ist unter anderem der europäische GM-Finanzchef Enrico Digirolamo, der auch Mitglied im Opel-Aufsichtsrat ist“, erklärte Franz. Die Bundesregierung habe sich zu Recht nicht von GM erpressen lassen und von dem Unternehmen verlangt, den akuten Finanzbedarf von 350 Millionen Euro selbst zu tragen oder eine Absicherung dafür zu geben. „General Motors muss wissen, dass Europa kein Casino für Glücksspieler ist“, sagte Franz.

Auch Magna-Gründer Frank Stronach kritisierte die Amerikaner. „Ich glaube, General Motors war nicht so richtig vorbereitet.“ Dies sei enttäuschend. Er hoffe aber, dass GM nacharbeite und so eine Einigung möglich werde. Der österreichisch-kanadische Autozulieferer wollte am Donnerstag seine Gespräche im Kanzleramt fortführen. „Ich hoffe, dass wir bis morgen ein Konzept haben“, sagte Stronach. Sein Unternehmen habe ein gutes und realistisches Angebot vorgelegt. „Wir haben das Eigenkapital sehr nachgebessert.“ Zahlen nannte er nicht.

Was sind die Interessen der US-Regierung?

Die Regierung Obama hat alle Hände voll zu tun, um die US-Autoindustrie zu retten. Die Zukunft von Opel ist für sie eine nachgeordnete Frage. Sie ist bereit, bei einer Lösung für Opel zu helfen, möchte dabei aber nicht draufzahlen. Sie hat GM-USA viele Milliarden Dollar Überlebenshilfe geliehen – und als Sicherheit dafür unter anderem die Opel-Fabriken und Patente erhalten. Sie stellen einen Buchwert von mehreren hundert Millionen Dollar dar. Deshalb war die Darstellung in Deutschland, wie man Opel schuldenfrei, kostenfrei und risikofrei aus GM- USA herauslösen könne, widersprüchlich. Zugleich hieß es nämlich, dass GM-USA als Gegenleistung für die eingebrachten Werte einen nennenswerten Anteil an der neu geschaffenen Firma GM-Europa erhält. Die Neugründung von GM-Europa führt also nur zu einer finanziellen Trennung von GM-USA.

Aber ob so auch die juristische Trennung zu erreichen ist, die GM-Europa garantiert aus dem kommenden Konkursverfahren für GM-USA heraushalten würde, ist zweifelhaft. Ein US-Konkursrichter hat sehr weitgehende Vollmachten. Und er hat Zugriff auf alle Vermögenswerte der Pleitefirma weltweit, um ihre Gläubiger zu befriedigen. Die US-Regierung kann eine politische Willenserklärung abgeben, GM-Europa aus dem Konkurs herauszuhalten, aber sie kann keine juristische Garantie unterschreiben, solange GM-USA Anteilseigner ist.

Wie gefährlich wäre eine Insolvenz von GM?

Mit dem Vorratsbeschluss der Aufsichtsräte von Opel und der prinzipiellen Zustimmung der GM-Führung zur Übertragung von Patenten, Werken und Technologien auf die Adam Opel GmbH (samt ihrer Standorte in Spanien, Belgien, Polen) hat GM beziehungsweise die US-Regierung am Mittwoch eine erste Voraussetzung geschaffen, Opel aus einem GM-Insolvenzverfahren herauszuhalten. „Dies ist eine Voraussetzung für eine Lösung, aber noch keine Lösung“, sagte Christoph Stürmer, Autoexperte bei IHS Global Insight. Opel habe inzwischen zwar einen „eigenen Blutkreislauf“, sei von GM aber so unabhängig wie Audi von Volkswagen – „also praktisch gar nicht“.

Wie sehr kann man sich auf die Arbeitsplatzgarantie der Bieter verlassen?

Zunächst einmal: Beide Investoren, Magna und Fiat, müssen Donnerstagnacht im sogenannten Beichtstuhlverfahren einen sehr guten Eindruck bei der deutschen Regierung hinterlassen haben. Deren Zusagen für den Erhalt von Standorten und Jobs jedoch bewerten Experten mit großer Skepsis. Willi Diez, Chef des Geislinger Instituts für Automobilwirtschaft, warnte vor leeren Versprechungen. Politik und Gewerkschaften sähen die Lage von Opel zu rosig und forderten von den Investoren Garantien, die nicht erfüllbar seien. „Wer sagt, ich garantiere die Arbeitsplätze für die nächsten Jahre, ist nicht seriös“, sagte Diez.

Wie könnte das Treuhandmodell funktionieren?

Das von Bund und Ländern mit erst einmal 1,5 Milliarden Euro finanzierte Treuhandmodell, das Opel vorübergehend quasi verstaatlicht, bis ein Investor gefunden wurde, soll von einem Treuhänderausschuss geführt und beaufsichtigt werden. In dem Ausschuss sitzen nach „Handelsblatt“-Informationen aus Unternehmenskreisen jeweils zwei Vertreter des Bundes und von GM sowie ein fachlich versierter Jurist. 35 Prozent der Holding- Anteile soll beim Treuhandmodell GM halten, 65 Prozent der Treuhänder. Ein Investor soll später die 65 Prozent übernehmen. Der fünfköpfige Treuhandausschuss kann in den ersten sechs Monaten seine Entscheidungen nur einvernehmlich treffen, erst danach kann GM überstimmt werden. Der Mutterkonzern gibt damit das Heft bei Opel nicht sofort komplett aus der Hand. Die Treuhandlösung ist aber zeitlich befristet und kann maximal zwei Jahre aufrechterhalten werden.

Mit dem Ultimatum der deutschen Regierung an die Investoren Magna und Fiat, bis Freitag 14 Uhr von den Amerikanern unterschriebene Vorverträge vorzulegen, verschiebt sich jedoch die zeitliche Perspektive entscheidend. Bringt ein Investor oder bringen beide Investoren diese Vorverträge, dann werden sie sofort Teil der Treuhandgesellschaft, und der Übergang der europäischen Opel- Werke auf die Gesellschaft und später in die Hände des Investors kann beginnen. Der jeweilige Investor würde sofort die notwendigen 350 Millionen Euro überweisen – das haben sowohl Magna als auch Fiat Donnerstagnacht zugesagt. Im Gegenzug muss die Bundesregierung diesen Betrag und die noch fehlende Kreditlinie über 1,2 Milliarden Euro verbürgen.

Kommt der Deal zustande, soll es weitere Verhandlungen über die endgültige Finanzierung (zwischen vier und sechs Milliarden Euro werden mittelfristig benötigt), Garantien und Ähnliches geben. Aber auch dann ist noch nichts völlig in trockenen Tüchern: Eine weitere Konjunktureintrübung könnte zu Standortschließungen führen, die eigentlich verhindert werden sollten. Oder ein US-Insolvenzrichter kassiert doch noch die europäischen GM-Werke ein.

Warum hat die Bundesregierung Opel nicht gekauft?

Es gäbe einen denkbaren Weg, Opel und GM-Europa aus dem Konkurs von GM- USA herauszuhalten: Jemand müsste die Werke und Patente kaufen und den entsprechenden Preis an GM-USA oder die US-Regierung, der GM de facto gehört, bezahlen. Bisher ist nicht klar, ob die Bundesregierung diese Option geprüft und mit der US-Regierung ernsthaft darüber verhandelt hat. Vermutlich scheute sie das damit verbundene finanzielle Risiko. Die Konsequenz ist, dass Opel und GM- Europa doch in irgendeiner Form von einem GM-Konkurs betroffen sein könnten. Bisher wurde damit spätestens bis Dienstag gerechnet.

Ob sich GM mit einem neuen Angebot an seine Gläubiger, das am Donnerstagnachmittag bekannt wurde, nur Zeit erkauft hat oder tatsächlich eine Insolvenz abwenden kann, blieb zunächst unklar. Klar ist aber, dass GM-Europa bis zu diesem Freitag die 350 Millionen Euro begleichen muss.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false