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© dpa-Zentralbild

Kriselnde Regierung: Schwarz-Gelb: Vereint im Streit

Erst kritisiert die Kanzlerin ihren Vize. Dann treffen sich die Spitzen der Koalition, um gleich wieder zu streiten. Was ist los mit Schwarz-Gelb?

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Soll niemand hinterher sagen, das Treffen der drei Koalitionsspitzen am Mittwochabend sei atmosphärisch vergiftet gewesen. CSU-Chef Horst Seehofer zumindest verbreitet am Morgen danach ganz andere Eindrücke. Das beginnt schon mit der verspäteten Ankunft des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle im Kanzleramt, hinter der manche in diesen angespannten Zeiten einen Affront wittern. Eine Stunde vor dem 19-Uhr-Termin hatte das Außenministerium Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Seehofer wissen lassen, dass der Vizekanzler einige Minuten später erscheinen werde. Wollte ein arg vergrätzter Westerwelle mit der kleinen Verspätung aller Welt demonstrieren, dass die Vorsitzenden von CDU und CSU auf ihn, den FDP-Chef, warten müssen und nicht umgekehrt?

Seehofer will von solchen Deutungen nichts wissen: Westerwelle habe sich bei seiner Ankunft schnell entschuldigt. Man muss sich den Moment in etwa so vorstellen: Kanzlerin und Seehofer nippen entspannt an je einem Glas alkoholfreiem Bier. Da fliegt die Tür auf, Westerwelle eilt mit federndem Schritt herein und ruft den beiden zu: „Ich hab’ vorher gesagt, dass ich zu spät komme!“. Was in den darauffolgenden drei Stunden bei Rindfleisch und Kartoffelpüree passierte, darüber sind sich hinterher der Vizekanzler und sein „Freund Horst“ zumindest im Duktus völlig einig: Ein „Routinegespräch“ habe stattgefunden, „in aller Ruhe“, „stinknormal“ und „ausschließlich an der Sache orientiert“.

Man kann das glauben – oder auch nicht. Die Vorgeschichte war jedenfalls nicht „stinknormal“. Wenige Stunden vor der Zusammenkunft im Kanzleramt lief aus einem Faxgerät im Auswärtigen Amt der Wortlaut eines „FAZ“-Interviews mit der Bundeskanzlerin. Darin sagt Angela Merkel mit untypischer Deutlichkeit, was sie von Westerwelles Kampagne zur Reform des Hartz-IV-Systems hält: wenig bis nichts. Das gilt auch für Westerwelles erklärtes Ziel, dem Land nach elf Jahren rot-grüner und schwarz-roter Regierung eine „geistig-politische Wende“ zu verordnen. Schon dreimal in den vergangenen zwei Wochen hatte Merkel sich von Westerwelles „spätrömischer Dekadenz“ distanziert und ihn mit einem großen Lob des ehemaligen Regierungspartners SPD auch an seine Regierungspflichten erinnert. Doch den Vizekanzler kurz vor dem Treffen der Parteichefs öffentlich zurechtzuweisen – das hatte eine neue Qualität.

Westerwelle hatte damit nicht gerechnet. Als man ihm die Meldungen über Merkels Interview in sein Amtszimmer trug, soll er überrascht, wenn auch nicht schockiert gewesen sein. Er reagierte schnell und ließ einen bereits fertiggestellten Namensbeitrag für die „Welt“ abändern, um seiner Kanzlerin direkt zu widersprechen.

Was wurde im Kanzleramt besprochen?

Das man auf’s Tempo drücken muss, wie es CSU-Chef Horst Seehofer ausdrückte. Raus aus dem „Abstrakten“ und sich auf das „Konkrete“ konzentrieren. Man könnte auch sagen: Schluss mit dem Krach über Gesundheits- und Sozialsysteme, jetzt muss an Reformen und Gesetzen gearbeitet werden. Einen Zeitplan, sagt Seehofer, den hätten er, Westerwelle und Merkel dafür auch beschlossen. Konkreter wurde er allerdings nicht. Nur beim Thema Kopfpauschale hatte er Genaueres für seinen Koalitionspartner parat. Nach CSU-Berechnungen würde eine solche von der FDP favorisierte Prämie pro Kassenmitglied 145 Euro betragen, was einen Sozialausgleich aus Steuermitteln von rund 21 Milliarden Euro nötig mache. Die Zahlen seien verifiziert und belastbar. Und sie belegten, dass die Pauschale nicht nur ungerecht, sondern auch sehr teuer sei. Ihre Einführung könne er sich deshalb „beim besten Willen nicht vorstellen“. Schließlich wolle man ja noch Steuern senken und in Bildung investieren. Damit war das postulierte Motto: „Mehr Regieren, weniger Streit“ gleich wieder ad absurdum geführt. Die Kritik aus dem Bundesgesundheitsministerium ließ nicht lange auf sich warten: „Diese Zahlenzauberei dient nur dazu, die Menschen zu verunsichern.“

Wie schwer ist das Verhältnis zwischen Merkel und Westerwelle belastet?

Vor fast vier Monaten war das Führungsduo der Koalition, Merkel und Westerwelle, als Wunschpartner in die Regierungsarbeit gestartet. Seither hat das Verhältnis schwer gelitten. Das erste Vierteljahr von Schwarz-Gelb ist auch die Geschichte einer Entfremdung zwischen Kanzlerin und Vizekanzler, die nun in einem Interviewkrieg um Hartz IV ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Westerwelle hat diese Konfrontation gesucht und mit dem Furor des Enttäuschten vorangetrieben. Der FDP-Chef war mit seiner Partei angetreten, das Land zu verändern, ihm schmerzhafte Reformen zuzumuten. Und er glaubte, in Merkel eine verlässliche Bündnispartnerin gefunden zu haben. Gemeinsam würde man die großen Projekte des Koalitionsvertrags – Steuerentlastung und Gesundheitsreform – zügig angehen. Aber dann musste Westerwelle feststellen, dass die Kanzlerin es nicht eilig hatte. „Wir haben unterschätzt, dass die Union den Koalitionsvertrag sofort ad acta legen würde“, heißt es heute in Westerwelles Umgebung. Und: „Das war womöglich ein Fehler.“ Inzwischen sieht Westerwelle in Merkel keine verlässliche Bündnispartnerin mehr. Heute glaubt er, dass Merkel es darauf abgesehen hat, dass sich die Reform-FDP in der Regierung totläuft. Westerwelles Helfer können viele Begebenheiten aufzählen, die in der Summe angeblich nur einen Schluss zulassen: Die andere Seite trickst. Darüber könne sich der Vizekanzler „maßlos ärgern“.

Die Sozialstaatsdebatte, die Westerwelle losgetreten hat, ist nicht nur als populistische Antwort auf sinkende Umfragewerte der FDP vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl zu verstehen. Mit seiner schrillen Tonlage und seinen auf öffentliche Aufschreie angelegten Vergleichen („römische Dekadenz“) versucht der FDP-Chef auch, sich aus Merkels Diktat der Langsamkeit zu befreien. Aus seiner Sicht schiebt die Kanzlerin notwendige Entscheidungen auf und wählt stattdessen einen „Grundmodus der Gemächlichkeit“, wie es in FDP-Kreisen heißt. Für eine Koalition, die sich eigentlich ein anspruchsvolles Programm vorgenommen habe, bedeute „diese Schau’n-wir- mal-Politik eine emotionale Belastung“. Westerwelle hat entschieden, dass es so jedenfalls nicht weitergehen kann. Der Vizekanzler werde sich den Merkel’schen Ermahnungen keinesfalls beugen und auch nicht brav zum staatsmännischen Auftreten eines Vizekanzlers und Außenministers zurückkehren, heißt es. Die FDP müsse in der Koalition nicht mehr „von Montag bis Freitag nett sein“.

Es sind solche Töne, die im Kanzleramt und im Konrad-Adenauer-Haus die Alarmglocken schrillen lassen. Wenn Westerwelle nicht begreife, dass er zur Rolle des Vizekanzlers und Außenministers zurückfinden müsse, werde die Koalition es schwer haben, heißt es in der Union. Ein Kabinettsmitglied formuliert es so: „Die Frage ist, wie viel Möllemann steckt in Westerwelle.“

Der aber denkt gar nicht daran, sich Fesseln anzulegen, wie er am Donnerstag in der Sozialstaatsdebatte im Bundestag deutlich machte. Da nützte es auch nichts, dass Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in ebenjener Debatte zur Geschlossenheit mahnte. Auch machte sie darauf aufmerksam, dass es Steuerhinterziehung gibt genauso wie Missbrauch in Hartz IV. Nur dürfe man nicht alle Steuerzahler und Hartz-IV- Empfänger unter Generalverdacht stellen. Egal, heute geht die Guido-Show vom unbeugsamen Sozialstaatskritiker weiter: Der Vizekanzler und Außenminister tritt vor die Bundespressekonferenz. Es geht am Tag der Afghanistanentscheidung des Bundestages um die Lage am Hindukusch – und um „andere aktuelle Themen“.

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