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Chefdiplomat. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte das Abkommen zwischen der Opposition in Kiew und dem inzwischen gestürzten Präsidenten Janukowitsch mitverhandelt.

© dpa

Krisendiplomatie in der Ukraine: Steinmeiers Mission

Die EU könnte bald Sanktionen gegen Russland verhängen, doch Berlin will vorher eine Lösung vermitteln. Merkel und Steinmeier ziehen im Hintergrund die Strippen.

Von Hans Monath

Es waren zwei aufregende Tage für die Berliner Außenpolitik. Denn im Bemühen um Entspannungssignale der russischen Seite in der Krim-Krise schien der deutschen Diplomatie zunächst die Zeit davonzulaufen. Nur noch eineinhalb Tage blieben Moskau, um Sanktionen der EU abzuwenden, warnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Dienstagmittag in Genf. Der Sitz des UN-Menschenrechtsrats in der Schweiz war eine der Stationen, an der der Chef des Auswärtigen Amtes Gespräche mit dem Ziel führte, den Ukraine-Konflikt zu entschärfen – unter anderem am Montagabend mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow. Am nächsten Morgen verkündete Steinmeier, man sei von einer Lösung weit entfernt. Da konnte er noch nicht wissen, mit welchen Botschaften Präsident Putin wenige Stunden später in Moskau vor die Presse treten würde.

Das entscheidende Datum ist der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs, der am Donnerstag um 11 Uhr 30 in Brüssel zusammenkommt. Sofern es bis dahin keine entscheidenden Schritte zur Bildung einer internationalen Kontaktgruppe gebe, werde die Diskussion bei dem Gipfeltreffen vermutlich so verlaufen, „dass dann in der Tat auch Maßnahmen beschlossen werden“, sagte Steinmeier am Dienstag.

Welche „Maßnahmen“ das sein können, hatten am Montag die EU-Außenminister in Brüssel definiert. Für den Fall, dass Moskau nicht "deeskalierende Schritte" einleite, drohten die EU-Chefdiplomaten die Aussetzung der Gespräche mit Russland über Visaerleichterungen und ein Grundsatzabkommen sowie „gezielte Maßnahmen“ an. Darunter könnten Sanktionen wie Einreiseverbote und Kontosperren gegen politisch oder militärisch Verantwortliche fallen, die bei der Besetzung der Krim eine Rolle spielen.

Alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen

Mit der Verhängung von Sanktionen gegen Russland würde sich der Spielraum der deutschen Außenpolitik verengen, ihr bisheriger Ansatz in der Krim-Krise wäre zumindest teilweise gescheitert. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Steinmeier stemmten sich bisher gegen harte Reaktionen, die sie für voreilig und kontraproduktiv halten. Solange die Waffen nicht tatsächlich sprechen, wollen beide die Möglichkeiten nutzen, durch einen Prozess, der beide Konfliktparteien umfasst, eine weitere Eskalation zu verhindern. Auch deshalb widerstand Steinmeier am Montag dem Druck Großbritanniens, der Skandinavier und vor allem der Osteuropäer, die aus eigener historischer Erfahrung eine harte Reaktion gegen ein übergriffiges Russland verlangten.

Im Konflikt will die deutsche Außenpolitik ihre Sonderbeziehung zu Russland nutzen, ohne die Einigkeit des Westens zu gefährden oder innerhalb der EU Streit zu entfachen, was nicht immer ganz leicht fällt. Aus Washington, London und Paris waren längst harte Reaktionen auf die russische Kriegsdrohung erfolgt, als Steinmeier am Sonntag von Moskau verlangte, auf eine Intervention zu verzichten und die Suche nach einer politischen Lösung zur vordringlichen Aufgabe erklärte. Vor allem die Amerikaner haben gegenüber Russland inzwischen einen weit kritischeren Ansatz als die Deutschen: Präsident Barack Obama glaubt nicht mehr an einen „Neustart“ des Verhältnisses zu Moskau, seit ihm klar wurde, dass die extremen Spannungen im gegenseitigen Verhältnis nicht nur dem ideologischen Ansatz seines Vorgängers George W. Bush geschuldet waren, sondern auch neue Angebote Putin nicht zu mehr Kooperation bewegen können.

Berlin will Moskau keinen Rabatt in Wertefragen einräumen

Entspannungssignale sendete der russische Staatschef Putin am Dienstag.
Entspannungssignale sendete der russische Staatschef Putin am Dienstag.

© AFP

Trotz aller Rückschläge der vergangenen Jahre und vieler enttäuschter Hoffnungen hat die große Koalition den kooperativen Ansatz gegenüber Russland nicht aufgegeben. Die deutsche Außenpolitik habe deshalb im aktuellen Konflikt „sehr große Möglichkeiten“, sagt der Russland-Experte Alexander Rahr. Nur die Chinesen verfügten auch über einen guten Draht zu Moskau, aber Peking wolle sich in den Ukraine-Konflikt nicht einmischen. Für den Westen gelte für die Einbindung Russlands: „Wenn die Deutschen nicht handeln, handelt niemand.“ Wichtig sei auch das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Putin: „Sie sind zwar keine Sauna-Freunde, aber sie kennen sich seit fast zehn Jahren, das ist viel wert in dieser schwierigen Zeit.“

Dass Berlin wegen des besonderen Verhältnisses Moskau keinen Rabatt in Wertefragen einräumen will, hatte Merkels Erklärung vom Sonntag nach ihren Telefonaten mit Putin unmissverständlich deutlich gemacht: In völlig undiplomatischer Schärfe warf sie dem Gesprächspartner darin vor, mit seinem Vorgehen gegen völkerrechtliche Abkommen zu verstoßen. Zugleich nannte sie aber auch zwei neue politische Instrumente, denen Putin zugestimmt hatte: einer Kontaktgruppe und einer Fact-Finding-Mission.

Diese beiden Zugeständnisse Putins nun gegen alle Skepsis aus Moskau Realität werden zu lassen, bemühte sich der Außenminister seit Montagabend in vielen Telefonaten und Treffen. In Steinmeiers ersten Amtszeit hatte er mit Merkel wegen Russland Konflikte ausgetragen, aber das ist Vergangenheit. In der Krise arbeiten sie eng und bestens abgestimmt zusammen, „Das ist wie Synchronschwimmen“, sagt einer, der sie in der Regierungsarbeit erlebt.

Russland fordert mehr Einfluss der Regionen in der Ukraine

Es war einfacher, die EU-Außenminister hinter den Vorschlägen für die Kontaktgruppe und die Fact-Finding-Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu versammeln, als Russland dazu zu bringen, in diesen Gremien mitzuarbeiten. Denn Moskau hat die Übergangsregierung in Kiew für illegitim erklärt, machte auch Steinmeier als einen von drei vermittelnden EU-Außenminister dafür verantwortlich, dass das Abkommen der Opposition mit dem damaligen Präsidenten Janukowitsch für eine Übergangsregierung platzte. Mit einer Regierung, die sie für illegitim hält, wollte die russische Seite nicht verhandeln. Doch inzwischen weist Lawrow schon einen Ausweg: Er verlangt die Einbindung der Regionen in die Kiewer Regierung, also auch die des Ostens der Ukraine, wo die Russen die Mehrheit bilden. Das ist nicht weit entfernt von der Haltung Berlins, das die neuen Regierenden in Kiew ebenfalls zum Ausgleich mit allen Bevölkerungsgruppen drängt.

Als Steinmeier am Dienstagnachmittag wieder in Berlin landete, hatte Putin inzwischen erklärt, es gebe keinen Anlass für einen Militäreinsatz. Und er würdigte die Idee der Kontaktgruppe. Die russischen Truppen zogen sich von der ukrainischen Grenze zurück, auch von der Krim kamen eher beruhigende Signale. Der Außenminister schöpfte Hoffung. „Wir sind noch nicht da. Aber ich glaube, dass es sich lohnt, ins Gespräch zu kommen“, sagte Steinmeier. Am heutigen Mittwoch will er in Paris mit anderen EU-Außenministern und Lawrow weiterverhandeln. Dann bleiben bis zum EU-Rat, der die Sanktionen beschließen könnte, nur noch wenige Stunden.

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