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Krisengebiet: Wahl in Afghanistan - Kaufe Kandidatur

Am Samstag wird in Afghanistan ein neues Parlament gewählt. Frei und fair wird die Abstimmung nicht.

Berlin - Manchmal attackieren sie nur die Plakate, manchmal auch die Kandidaten selbst. An diesem Samstag wählen die Afghanen zum zweiten Mal seit dem Sturz der Taliban 2001 ein Parlament, und auch diesmal leben die Bewerber für die 249 Sitze in der Volksvertretung gefährlich. Mehrere Kandidaten wurden ermordet, viele haben ihren Wahlkampf aus Angst vor Angriffen abgebrochen. Hinter den Anschlägen und Drohungen stehen aber nicht nur die Taliban, die es besonders auf weibliche Kandidaten abgesehen haben. Oft sind auch persönliche Rivalitäten der Grund – und manchmal schlicht wirtschaftliche Interessen, denn ein Parlamentssitz lässt sich in Afghanistan leicht versilbern.

Manche der insgesamt fast 2600 Kandidaten treten offenbar überhaupt nur an, um sich ihre Kandidatur abkaufen zu lassen. So berichtet ein Bewerber aus Kabul, ihm seien 200 000 US-Dollar geboten worden, wenn er sich zurückzieht und eine Wahlempfehlung für den Konkurrenten abgibt. „Es hat sich in Afghanistan noch keine Rechtskultur entwickelt, wie wir sie in Europa kennen“, sagt Martine van Bijlert, Kodirektorin des Afghanistan Analysts Networks, eines Zusammenschlusses unabhängiger Afghanistanexperten. Sie hat mit vielen Kandidaten gesprochen und deren Aussagen in einem Wahl-Blog dokumentiert.

Der Aufwand für die Wahl ist immens, die Schwierigkeiten sind es auch: 6000 Wahllokale gibt es, viele davon in abgelegenen Gegenden. Mancherorts müssen die Urnen per Esel transportiert werden, 700 Wahllokale sind nur aus der Luft zu erreichen. Im besonders umkämpften Osten des Landes wird jedes sechste Wahllokal geschlossen bleiben. „Die Sicherheitsbehörden sagen, dass es unmöglich sein wird, diese Zentren zu öffnen“, erklärte der Chef der unabhängigen Wahlkommission, Mohammed Fazel Manawi.

In das Parlament werden ausschließlich Einzelpersonen gewählt. Parteien sind in Afghanistan zwar nicht verboten, doch sie spielen im politischen Leben praktisch keine Rolle. Selbst die ehemals einflussreiche Nordallianz ist längst zerfallen und keine ernst zu nehmende Opposition für Präsident Hamid Karsai und seine Entourage mehr.

Auch sonst lässt sich die Wahl kaum mit europäischen Standards vergleichen. Wie schon bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr dürfte es wieder zu massiven Fälschungsversuchen kommen. Es gebe viele Gegenden, in denen aufgrund der Sicherheitslage kaum eine Kontrolle stattfinde, sagt van Bijlert. Dort könnten die Urnen leicht manipuliert werden. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte am Montag, der Wille der Bürger in Afghanistan müsse frei zum Ausdruck kommen können. Experten kritisieren jedoch, dass EU und OSZE weniger Beobachter nach Afghanistan entsenden als zur Präsidentschaftswahl 2009. Unter diesen Umständen sei „nicht einmal eine stichprobenhafte repräsentative Wahlbeobachtung zu erwarten“, folgern Wissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Studie.

In diplomatischen Kreisen in Kabul heißt es, Karsai sei bestrebt, möglichst viele eigene Leute ins Parlament zu bringen. Denn das hat zwar weniger Befugnisse als etwa der Bundestag, „doch die Abgeordneten können Karsai das Leben ganz schön schwer machen“, sagt van Bijlert. So weigerte sich das Parlament Anfang des Jahres, Karsais Kabinett abzusegnen. Mehrmals lehnte es Minister ab, weil ihnen Kriegsverbrechen vorgeworfen werden oder sie als korrupt gelten. Genutzt hat das am Ende wenig. Karsai besetzte die Ministerien einfach mit geschäftsführenden Ressortchefs.

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