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Flüchtlinge auf dem Mittelmeer.

© dpa

Krisengipfel zu Flüchtlingen: Die kraftlose Reaktion der EU auf die Mittelmeertragödie

Bei einem EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise wollen sich die Staats- und Regierungschefs in dieser Woche auf gemeinsame Maßnahmen verständigen. Der vorliegende 10-Punkte-Plan aber greift deutlich zu kurz. Ein Gastkommentar.

In den letzten Monaten haben Flüchtlingsorganisationen, Menschenrechtsgruppen und die Vertreter der internationalen Handelsschifffahrt die EU-Staaten immer wieder erfolglos aufgefordert, neuerliche Tragödien im Mittelmeer durch ein gemeinsames Vorgehen zu verhindern. Die Antwort der EU auf die jüngste Katastrophe liegt nun in Form eines 10-Punkte-Papiers vor, das auf einem Krisengipfel am Donnerstag von den Staats- und Regierungschefs abgesegnet werden soll. Abgestimmt wurde es zwischen den Innen- und Außenministern der EU-Staaten und der EU-Kommission. Der Maßnahmenkatalog bleibt aber vage und unzureichend. Grundlegende Verbesserungen lassen sich auf seiner Grundlage nicht erreichen.

Auf der neuen Liste finden sich vornehmlich altbekannte, restriktive Maßnahmen der Migrationspolitik, die ausgeweitet werden sollen. Diese Maßnahmen werden den komplexen Herausforderungen der europäischen Migrationspolitik nicht gerecht. Laut Plan soll Frontex die Mitgliedstaaten noch stärker bei gemeinsamen Rückführungen unterstützen; die Sicherheitsbehörden sollen intensiver bei der Bekämpfung der Schleuserkriminalität kooperieren und den südlichen EU-Staaten soll bei der Registrierung von Asylbewerbern unter die Arme gegriffen werden. Ebenfalls in diese Kategorie gehört das »stärkere Engagement« der EU im Maghreb und im Sahel, wo durch den weiteren Ausbau der Kapazitäten zur Grenzüberwachung und -sicherung die Wanderungen in Richtung EU eingedämmt werden sollen. Bereits in den letzten Wochen war eine diplomatische Charmeoffensive der europäischen Politik gegenüber den Regierungen in Kairo und Tunis zu beobachten.

Seenotrettung ja, aber richtig 

Gerade Ägypten und Tunesien möchte die EU zukünftig mit Hilfe finanzieller Anreize und technischer Unterstützung auch in die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer einbinden. Die vor der libyschen Küste aufgelesenen Schiffbrüchigen würden nach diesen Plänen dann auch in der Zuständigkeit der beiden Länder verbleiben. Selbst wenn man die schwierigen menschenrechtlichen Implikationen dieser Pläne beiseitelässt, bleibt die Frage, wie realistisch solche Szenarien sind. Schon in der Vergangenheit zeigten sich die Maghreb-Staaten von der Auslagerungspolitik der EU in Migrationsfragen mäßig begeistert. Dies trifft heute umso mehr zu, als ihre Belastung als Transit- und Zielländer von Migration in den letzten Jahren zugenommen hat. Der EU dürfte es daher schwerfallen, die erwünschte Unterstützung dieser  Länder zu erhalten.

Die im 10-Punkte-Papier vorgeschlagene Ausweitung der europäischen Seenotrettung im zentralen Mittelmeer hingegen ist dringend notwendig. Es ist die einzige Maßnahme, die kurzfristig eine Linderung der humanitären Katastrophe verspricht. Denn angesichts des vollständigen Staatszerfalls in Libyen lässt sich die irreguläre Zuwanderung von dort vorerst nicht verhindern. Die Seenotrettung können die EU-Staaten dabei durchaus im Rahmen von Frontex ausbauen, dies wäre sogar die schnellste und pragmatischste Lösung. Auch wenn der Agentur vorrangig der klassische Grenzschutz auf die Fahnen geschrieben wurde, fällt auch die Seenotrettung in ihren Tätigkeitsbereich. Das Mandat, das Einsatzgebiet und die bescheidenen Mittel der aktuellen Frontex-Operation Triton müssten dazu allerdings deutlich ausgeweitet werden. Bisher wurde weniger als ein Drittel der seit Jahresbeginn im zentralen Mittelmeer aufgelesenen Schiffbrüchigen unter Beteiligung von Triton gerettet. Der Löwenanteil der Rettungsaktionen läuft weiter allein über die italienischen Behörden und über die zunehmend überforderte Handelsschifffahrt. Die Formulierung zum Umfang der Ausweitung von Triton ist im vorliegenden Papier allerdings derart vage gehalten, dass von einem Kurswechsel in der Seenotrettungspolitik noch nicht die Rede sein kann.

Bei einem anderen prominenten Vorschlag des 10-Punkte-Papiers, dem Einsatz militärischer Mittel bei der Bekämpfung der Schleuserkriminalität, sollten die EU-Staaten hingegen Vorsicht walten lassen. Hier wird aktuell mit der Idee geliebäugelt, die Erfahrungen der EU bei der Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika auf die Schleuserkriminalität im Mittelmeer zu übertragen. Ausmaß und Mandat solcher Aktionen sind so heikel und unklar wie ihre Erfolgsaussichten fragwürdig sind. Vor allem aber lenken solche Gedankenspiele von den eigentlich notwendigen Ansätzen für eine nachhaltige Lösung der Mittelmeerkrise ab.

Höchste politische Ebene muss Reformen anstoßen

Letztlich wird die irreguläre Zuwanderung nur reduziert werden können, wenn die EU-Staaten mehr legale Zugangswege nach Europa schaffen, und zwar sowohl für Flüchtlinge als auch für Migranten. Seit langem liegen Vorschläge für solche Ansätze vor, für Flüchtlinge etwa das Botschaftsasyl, humanitäre Visa oder substanzielle Resettlement-Programme. Für Arbeitsmigranten gibt es ebenfalls Vorschläge, wie Wanderungen so geregelt werden können, dass sie im Interesse aller Beteiligten, der Herkunftsländer, Aufnahmeländer sowie der Migrantinnen und Migranten, liegen.

Das 10-Punkte-Papier bleibt in diesen Fragen extrem vage und ist damit nicht der notwendige große politische Wurf, den es braucht, um den migrationspolitischen Herausforderungen zu begegnen. Sollte dieses Papier die Ambitionen der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission für die für Mai 2015 angekündigte Europäische Migrationsstrategie widerspiegeln, so wird die EU auch zukünftig keinen Millimeter vorankommen. Wenn hingegen der Krisengipfel mehr als eine symbolische Veranstaltung sein soll, müssen sich die Staats- und Regierungschefs deutlich zur Schaffung legaler Zugangswege bekennen. Nur so können perspektivisch andere Wege nach Europa eröffnet werden als die lebensbedrohlichen Überfahrten über das Mittelmeer.

Steffen Angenendt forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Demografie, Entwicklungszusammenarbeit und Migration. Daniela Kietz forscht, ebenfalls an der SWP, zu Justiz und Innerem in der EU. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Text ist auch auf der SWP-Homepage in der Rubrik »Kurz gesagt« veröffentlicht worden.

Steffen Angenendt, Daniela Kietz

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