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Was ist hier zu hören? Moscheen sind immer wieder Gegenstand von Befürchtungen.

© Bernd Thissen/dpa

Kritik am Moscheereport: "Muslime stehen immer stärker unter Rechtfertigungsdruck"

Was wird in Moscheen gepredigt? Ein Buch und die ARD-Berichterstattung darüber sind derzeit Debattenstoff. Die Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink kritisiert beides in einem Brief an die zuständigen Chefredakteure, den wir hier dokumentieren.

Sehr geehrte Herren Chefredakteure, sehr geehrter Herr Dr. Gniffke und Herr Nitsche,

die Sendung „Moscheereport“ Ihres Mitarbeiters Constantin Schreiber hat in der deutschen Öffentlichkeit viel Aufsehen erregt. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Berichterstattung über einige der Moscheen verzerrend, insgesamt einseitig war und Fehler enthielt, insbesondere ein nicht unerheblicher Übersetzungsfehler bezüglich des Wortes „Türken“, das als „Soldaten“ wiedergegeben wurde.

Es steht nicht in Frage, dass das Anliegen der Sendung und des begleitenden Buches wichtig und richtig ist, auch wenn man fragen könnte, ob im Jahr 2017 der exotisierende und sensationalistische Tonfall der Sendung angemessen ist zur Beschreibung von Institutionen, die es mindestens seit den 1960er Jahren im Lande gibt, in Einzelfällen sogar seit der Vorkriegszeit.

Liberale Koranauslegung "alles Fassade"?

Eine Verharmlosung von zum Teil hochproblematischen Predigten ist sicher nicht angebracht, ebenso wenig aber eine einseitige Fokussierung auf radikale, militante und abgrenzende Prediger, die es gibt, die aber wohl kaum - wie in dem Bericht suggeriert - eine erdrückende Mehrheit darstellen. Weit häufiger äußern Musliminnen und Muslime Beschwerden über belanglose, konservativ-moralisierende Predigten, die nicht auf gesellschaftliche Realitäten Bezug nehmen - sicher auch ein Resultat der Sozialisierung der Prediger in Diktaturen, in denen Predigten möglichst unpolitisch gehalten werden.

Vermutlich ist Ihnen bewusst, dass es seit Jahren zunehmend aufgeheizte und polarisierende Debatten zu Fragen gibt wie denen, ob „der Islam zu Deutschland gehöre“, ob Muslime hier integrationsfähig seien, ob Islam und Demokratie vereinbar seien, ob es einen Zusammenhang zwischen Islam und sexueller Gewalt gebe, ob die Zuwanderung von Flüchtlingen unser „Islamproblem“ nicht verschärfe usw. Muslimische Menschen und Institutionen stehen immer stärker unter Rechtfertigungsdruck; selbst gegen den Liberal-Islamischen Bund, der unter anderem interreligiöse Gottesdienste, weibliche Vorbeterinnen und die Mitgliedschaft von Homosexuellen unterstützt, mehren sich die Vorwürfe, dies sei alles nur Fassade, da der Koran dies in Wirklichkeit gar nicht erlaube. Sollte es nicht in solch einer Situation Aufgabe eines verantwortungsbewussten öffentlich-rechtlichen Journalismus sein, die Stimmung nicht noch weiter aufzuheizen, sondern durch differenzierte, sachliche und sorgfältig recherchierte Berichterstattung dagegenzuhalten, Aussagen besonders gründlich zu überprüfen und sich im Zweifel wissenschaftlicher Expertise zu versichern? Sollte man gerade jetzt nicht darauf achten, die gängige terminologische Gegenüberstellung von „Muslimen“ und „Deutschen“ zu unterlassen, als ob sich dies gegenseitig ausschließe? Sollte man nicht vermeiden, den Verdacht nahezulegen, selbst die harmloseren unter den Predigten, die der Journalist gehört hat, seien wohl nur seiner Anwesenheit geschuldet, selbst wenn es dafür gar keine konkreten Belege gibt?

Wissenschaftlerinnen wurden nicht gefragt

Der Schaden, den solch eine Berichterstattung gerade für die offenen, an Dialog interessierten Moscheegemeinden anrichtet, ist immens. Ein kleiner Recherchefehler in solch einem Zusammenhang kann Existenzen bedrohen, bis hin zu verweigerter Einbürgerung aufgrund der Mitgliedschaft in bestimmten Moscheevereinen. Das ist dann nachvollziehbar, wenn diese tatsächlich belegbar extremistisch orientiert sind - aber genau deswegen sollte man sich dieses Vorwurfs unter den gegebenen Umständen auch ganz besonders sicher sein, bevor man ihn öffentlich äußert.

Constantin Schreiber bekundete in der ZEIT Nr. 14 (S. 54), über Monate hätten „Islamwissenschaftliche Fakultäten“ (die es in Deutschland gar nicht gibt) und „Islamwissenschaftler, die sonst bereitwillig Auskunft geben“, seine Anfragen unbeantwortet gelassen. Damit erweckt er den Eindruck, es handle sich hier um ein heißes Eisen, das in der Wissenschaft - vielleicht aus Angst vor dem Islam? - niemand anfassen möge. Nun mag es sein, dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich für Moscheen in Deutschland aufgrund ihrer Spezialisierung, die typischerweise auf Gesellschaften des Nahen Ostens bezogen ist, nicht zuständig fühlen. Ich selber und viele mir bekannte Kolleginnen und Kollegen, die über die Webseiten ihrer Institute sehr leicht auffindbar sind, hätten Herrn Schreiber gern für Interviews zur Verfügung gestanden. Ich wäre auch ohne Umstände bereit gewesen, die Hilfe akademisch geschulter Übersetzerinnen und Übersetzer anzubieten. Niemanden von uns hat eine entsprechende Anfrage erreicht, auch nicht solche Kolleginnen, die namhafte Expertinnen für Islam in Deutschland, Migrationsfragen und sogar Moscheegemeinden sind. Das legt den Verdacht nahe, dass die Recherche nicht sehr tiefgründig gewesen sein kann. Ich frage mich daher, wie hoch das Interesse der ARD an differenzierten, fachlich fundierten, auf genauer Kenntnis muslimischer religiöser Diskurse und einschlägiger Sprachen beruhenden Expertenmeinungen ist.

Falls Herr Schreiber oder ein anderer Ihrer Mitarbeiter noch einmal Bedarf an der Expertise von Islamwissenschaftlerinnen und Islamwissenschaftlern haben sollte, stehe ich - sofern ich diese seriös liefern kann - gern zur Verfügung oder vermittle Ihnen Kolleginnen und Kollegen, die kompetent sind.

In der Hoffnung auf eine in Zukunft ausgewogenere und sorgfältigere Berichterstattung zu diesem sensiblen Thema

verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Johanna Pink

Lehrstuhl für Islamwissenschaft und Geschichte des Islam

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

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