zum Hauptinhalt

Kritik am Verfassungsschutz: Beobachtung von Linkspartei-Abgeordneten polarisiert

Der Geheimdienst observiert Parlamentarier. Dafür wird er kritisiert. Zu Recht?

Von
  • Frank Jansen
  • Matthias Meisner

Der Verfassungsschutz durchlebt schwere Zeiten: Wegen der Beobachtung von 27 Bundestagsabgeordneten der Linken steht er heftig in der Kritik, wegen des Versagens der Emittlungsbehörden und eben auch des Nachrichtendienstes bei der Fahndung nach der Terrorzelle wurde eigens ein Untersuchungsausschuss geschaffen. Und schnell wird der Vorwurf politisch ausgeschlachtet, der Verfassungsschutz agiere übereifrig im linken politischen Spektrum und nachlässig in rechtsextremen Gefilden.

Auf welcher rechtlichen Grundlage werden die Abgeordneten beobachtet?

Das Verfassungsschutzgesetz ermächtigt den Geheimdienst, immer dann Informationen zu sammeln und auszuwerten, wenn er Anhaltspunkte für eine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sieht. Das Bundesamt nimmt das bei der Linken beziehungsweise ihrer Vorgängerpartei PDS seit 1995 an. Im aktuellen Bericht des Bundesamtes sind zwölf Seiten zur Linken enthalten – mit dem Vorwurf, sie sammele unter dem Begriff des „Pluralismus“ unter anderem „solche ,linken’ Kräfte, welche das Ziel einer grundlegenden Veränderung der bisherigen Staats- und Gesellschaftsordnung verfolgen“. Linksextremistische Bestrebungen sieht das BfV vor allem in Gliederungen wie der Kommunistischen Plattform (KPF), der Sozialistischen Linken (SL), der Antikapitalistischen Linken (AKL) sowie dem Jugendverband Solid.

Können sich die Abgeordneten gegen die Überwachung wehren?

Sie versuchen es – zum einen wie jetzt mit lautstarkem Protest, zum anderen auf juristischem Weg. Mit einem Musterprozess will Bodo Ramelow, früherer Bundestagsabgeordneter und Linksfraktionschef in Thüringen, die gegen ihn angeordnete Datensammlung stellvertretend auch für andere Linken-Politiker stoppen. Anders als bei den Vorinstanzen erlitt er aber im Juli 2010 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine herbe Niederlage. Das Leipziger Gericht urteilte, dass bei einer Beobachtung der Partei auch das Spitzenpersonal mit einbezogen werden darf, selbst wenn es selbst keine extremistische Politik macht. Ausdrücklich wurde auch die Beobachtung von Mandatsträgern für zulässig erachtet. Die Linke will beim Bundesverfassungsgericht und möglicherweise auch vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg für eine andere Bewertung streiten. Unabhängig davon beschäftigt die Frage, ob Abgeordnete überwacht werden dürfen, auch den Bundestag. SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz sagte am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde, zwar müsse die Beobachtung von Abgeordneten „im Einzelfall“ möglich sein. Er fordert aber, dass das Parlament darüber mindestens informiert wird. Wegen der „völlig überzogenen“ Beobachtung der Linkspartei solle sich Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) entschuldigen. Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck sagte, es sei „Stuss“, diese Partei als Gefahr für die Demokratie anzusehen.

Dürfen Abgeordnete mit geheimdienstlichen Mitteln beobachtet werden?

Dürfen Abgeordnete mit geheimdienstlichen Mitteln beobachtet werden?

Der Innenminister versichert, das Bundesamt sammele Informationen über Abgeordnete nur aus „offen zugänglichen Quellen“. Das stimmt – und womöglich auch wieder nicht. Denn nach Angaben des Verfassungsschutzes in Niedersachsen setzen sieben Landesämter auch nachrichtendienstliche Mittel gegen die Linke oder Teile der Partei, wie die KPF, ein. Zwar verweigert etwa die Behörde in Bayern Angaben über ihre Arbeitsmethoden. Doch zum Beispiel in Sachsen haben mit dem Thema vertraute Abgeordnete Informationen, dass dort V-Leute aus der Partei berichtet haben. Hessen hingegen setzt nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der Partei ein, aber nicht bei ihren Abgeordneten im Landtag.

Da die Verfassungsschutzbehörden in regem Austausch stehen, ist es wahrscheinlich, dass Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt werden, in die Akten des Bundesamtes einfließen. „Sie belügen das Parlament“, wetterte Mecklenburg-Vorpommerns Linken-Chef Steffen Bockhahn, einer der 27 beobachteten Abgeordneten, am Donnerstag gegen Friedrich.

Dass der Verfassungsschutz bei der Beobachtung von Abgeordneten nachrichtendienstliche Mittel nutzt, darunter Informationen von V-Leuten, erscheint beispielsweise bei der NPD unvermeidlich. Die NPD-Parlamentarier in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen pflegen Kontakte ins Milieu der Neonazis oder kommen selbst aus diesem Spektrum. Treffen sich NPD-Abgeordnete mit diesen „Kameraden“ und V-Leute berichten darüber, sind die Äußerungen der Parlamentarier automatisch Bestandteil der Protokolle. Ähnliches gilt, wenn ein Abgeordneter der Linkspartei Verbindungen zu Autonomen, zur DKP oder zur kurdischen Separatistenpartei PKK unterhält.

Was bringt eine Beobachtung, bei der nur offiziell zugängliche Quellen benutzt werden?

Die Verfassungsschützer studieren viele linksextreme Publikationen wie die Zeitung „Junge Welt“, fassen zusammen, wie Funktionäre zu den radikalen Kräften in der Partei stehen. Andererseits werden auf der jetzt bekannt gewordenen Abgeordnetenliste auch viele Hinterbänkler genannt, die gerade nicht durch extremistische Sprüche aufgefallen sind. Umgekehrt werden bestimmte Spitzenfunktionäre wie Parteichef Klaus Ernst gar nicht beobachtet. Die Bundestags-Opposition hält dem Verfassungsschutz erhebliche handwerkliche Fehler vor, die Behörde sei zur „Zettelsammelstelle“ verkommen.

Die Unionsparteien, vor allem die CSU, legen großen Wert darauf, die Beobachtung der Linkspartei nicht einzustellen. Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) sagt, für den „linksextremen Rand des politischen Spektrums“ könne nichts anderes gelten als für die rechtsextreme NPD. Die FDP will offenbar keinen Koalitionskrach riskieren. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die den Verfassungsschutz wegen der Linken-Beobachtung gerügt hatte, fehlte im Parlament, angeblich wegen „Verzögerungen im Flugverkehr“. Doch mit ihr im Flieger aus München saß am Donnerstag ausgerechnet Linken-Chef Ernst. Und der war pünktlich da.

Zur Startseite