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Politik: Kritik an EU-Kompromiss von Merkel und Sarkozy

FDP-Europaabgeordneter Lambsdorff: Entzug des Stimmrechts für Defizitsünder ist ein „Luftschloss“

Berlin - Das hatten sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy vermutlich anders vorgestellt: Die Kanzlerin und der französische Staatschef, die vor einer Woche im französischen Seebad Deauville einen Kompromiss zur Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes vorlegten, haben einen Sturm der Entrüstung heraufbeschworen. Zunächst war Merkels liberaler Koalitionspartner in Berlin an die Decke gegangen, weil es nach der Einigung von Deauville auch künftig praktisch keine automatischen Strafen gegen Defizitsünder geben soll. Am Montag ging der Streit auf EU-Ebene weiter – und diesmal entzündete er sich an der Änderung der EU-Verträge, einem weiteren Element des Kompromisses zwischen Merkel und Sarkozy. Frankreichs Staatschef hatte Merkel zugesichert, die Kanzlerin bei einer weiteren Verschärfung des Stabilitätspaktes zu unterstützen, wobei allerdings die EU-Verträge geändert werden müssten. Damit sich Beinahe-Staatspleiten wie im Fall Griechenlands nicht wiederholen, fordert die Bundesregierung unter anderem, notorischen Defizitsündern vorübergehend das Stimmrecht im Ministerrat zu entziehen. Nach der Ansicht des luxemburgischen Außenministers Jean Asselborn wäre dies ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert. „Da straft man ja Staaten, da straft man Völker, da erniedrigt man sie“, sagte er im „Deutschlandfunk“.

Asselborn steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Nach einem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg sagte sein österreichischer Amtskollege Michael Spindelegger, dass Berlin und Paris mit ihrer Forderung eines Stimmrechtsentzuges isoliert seien. Ende der Woche soll beim Gipfel in Brüssel über das weitere Vorgehen entschieden werden.

Möglicherweise setzt Merkel auch insgeheim darauf, dass das Europaparlament im weiteren Gesetzgebungsverfahren auf automatischen Strafen für Defizitsünder beharrt – und damit doch noch die ursprüngliche Forderung der Kanzlerin erfüllt wird. Jedenfalls bekräftigte der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff am Montag die Kritik der Liberalen an dem Kompromiss von Deauville. Der von Merkel geforderte Entzug des Stimmrechts für Defizitsünder sei ein „Luftschloss“, sagte der Vizevorsitzende der Liberalen im EU-Parlament dem Tagesspiegel. Bei der Einigung von Deauville sei eine echte Verschärfung des Stabilitätspaktes, die in einem normalen Gesetzgebungsverfahren erreichbar sei, für ein „Wolkenkuckucksheim“ aufgegeben worden, kritisierte Lambsdorff. Im Gegensatz zu einem Entzug des Stimmrechts sei allerdings die Forderung der Kanzlerin sinnvoll, wonach Gläubiger, die auf Staatspleiten wetten, zur Kasse gebeten werden sollen. Mit Blick auf die anhaltende Debatte unter den 27 EU-Staaten fügte Lambsdorff aber hinzu: „Merkel hat noch sehr viel zu tun, wenn sie den Kompromiss von Deauville retten will.“

Auch der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz (SPD), sagte dieser Zeitung, es sei „unrealistisch, von einer reibungslosen Änderung der EU-Verträge auszugehen“. Schulz wandte ein, dass eine Änderung der europäischen Verträge in mehreren EU-Staaten, darunter Großbritannien, Referenden mit einem ungewissen Ausgang nach sich ziehen würde.

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