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Politik: Kritik folgt auf dem Fuße

Elektronische Fußfesseln für Langzeitarbeitslose? Äußerung aus Hessen löst aufgeregte Debatte aus

Von Andreas Oswald

„Justizminister knallt durch“, mit dieser Titelgeschichte löste die „Bild“-Zeitung ein parlamentarisches Nachspiel einer angeblichen Empfehlung des hessischen Justizministers Christean Wagner (CDU) aus, Langzeitarbeitslosen und Suchtkranken elektronische Fußfesseln anzulegen. Dieses Instrument biete ihnen die Chance, zu einem geregelten Tagesablauf zurückzukehren und in ein Arbeitsverhältnis vermittelt zu werden, hatte das Ministerium im März in einer Pressemeldung zum „Erfolgsmodell Fußfessel“ formuliert. Am Mittwoch hatte das Leipziger Aktionsbündnis soziale Gerechtigkeit diese Textpassage bekannt gemacht und als Skandal kritisiert.

Vor dem Landtagsplenum bezeichnete der Minister den umstrittenen Satz am Donnerstag als „missverständlich und unglücklich“. Die Forderung, Arbeitslosen und Suchtkranken Fußfesseln anzulegen, sei „absurd und menschenverachtend“, stellte Wagner klar. Das hessische Modell beziehe sich ausschließlich auf verurteilte Straftäter, deren Bewährungsauflagen mit diesem elektronischen Gerät überwacht würden. Die Landtagsopposition blieb auch nach Wagners Klarstellung bei ihrer Kritik. Die hessische CDU grenze regelmäßig mit ihrer Sprache Bevölkerungsgruppen aus, sagte die SPD- Abgeordnete Hofmann; Wagner habe Langzeitarbeitslose und Suchtkranke immerhin als unzuverlässig dargestellt. Das Problem des Justizministers sei, dass man ihm solche Positionen zutraue, rief der grüne Landtagsfraktionschef Tarek al Wazir dem Minister zu. Die CDU dagegen erklärte, nur wer den Satz aus dem Zusammenhang reiße, könne ihn derart missverstehen. „Nicht der Minister ist durchgeknallt, sondern die „Bild“-Zeitung“, sagte der medienpolitische Sprecher der CDU, Hoff.

Das Missverständnis lenkt die Aufmerksamkeit auf den Sinn der umstrittenen elektronischen Fußfessel. Außer in Hessen gibt es kein einziges Bundesland, das diese Maßnahme vorsieht. „Ich sehe den Nutzen dieses Projekts nicht“, sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk dem Tagesspiegel. „Der Beweis, dass die elektronische Fußfessel eine sinnvolle Maßnahme ist, fehlt bisher“, sagt Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Institut Niedersachsen. Die elektronische Fußfessel gilt gemeinhin als ein besonders repressives Instrument. Dazu beigetragen haben vor allem die Ankündigung Wagners, den strengsten Strafvollzug Deutschlands einzuführen, aber auch die Forderung des brandenburgischen Innenministers Schönbohm vor eineinhalb Jahren, diese Maßnahme auf „kriminelle Schulschwänzer“ auszudehnen.

Der Hinweis Wagners auf positive Effekte für arbeitslose Straftäter hat aber eine wissenschaftliche Grundlage. Der Soziologe Markus Mayer vom Max-PlanckInstitut für internationales und vergleichendes Strafrecht in Freiburg hat den hessischen Modellversuch zwei Jahre lang wissenschaftlich begleitet. Geht die Person nicht zur Arbeit, kann der Bewährungshelfer anrufen und nachfragen. Allein das Gefühl, aufmerksam überwacht zu werden, führe zu positiven Ergebnissen, sagt Mayer. Durch diese soziale Kontrolle, die sonst nicht existiere, erlernten die Probanden normales Verhalten. Insofern handele es sich gerade nicht um ein repressives Konzept, wie es Wagner präsentiert, sondern um ein erziehendes und resozialisierendes. Das Konzept ist aber laut Mayer politisch nicht durchsetzbar, weil Konservative – außer Wagner – es als zu lasch empfänden und Liberale den Überwachungsstaat witterten.

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