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Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz mit Vertrag.

© Fabrizio Bensch/REUTERS

Update

Künftiges Regierungsbündnis: Union und SPD besiegeln Neuauflage der großen Koalition

Fast sechs Monate nach der Wahl unterzeichnen die Spitzen von Union und SPD ihren neuen Koalitionsvertrag. Die Opposition kritisiert "große Lücken" in der Vereinbarung.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD als Grundlage für eine stabile und erfolgreiche neue große Koalition gewürdigt. Das harte, aber respektvolle Ringen aller Seiten um die Grundlagen einer gemeinsamen Regierung hätten sich gelohnt. Der Koalitionsvertrag werde dem Auftrag gerecht, den die Wähler den Parteien bei der Bundestagswahl vor fast sechs Monaten erteilt hätten - eine handlungsfähige Regierung zu bilden.

Die Partei- und Fraktionsspitzen von Union und SPD unterzeichneten am Montag in Berlin den Anfang Februar ausgehandelten Vertrag für ihr künftiges Regierungsprogramm.

"Wenn dann noch eine Portion Freude dazu kommen könnte am Gestalten, dann kann das eine gute Regierungsarbeit werden", erklärte Merkel angesichts der langen Debatten über eine Regierungsbildung.

Zuvor hatte Merkel sich optimistisch zum Erfolg der neuen großen Koalition geäußert. „Sehr viel Arbeit liegt vor uns“, sagte die CDU-Vorsitzende am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kommissarischen SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz und CSU-Chef Horst Seehofer in Berlin. Alle Seiten hätten sich in den Koalitionsverhandlungen vorgenommen, diese Arbeit auch zu erledigen.

Die große Koalition will nach den Worten der Kanzlerin das "Wohlstandsversprechen" in den Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung erneuern. "Der Wohlstand unseres Landes muss bei allen Menschen ankommen", sagte Merkel. Ziel sei es, dass die Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands gleichwertig seien.

Merkel will nach ihrer für Mittwoch angesetzten Wiederwahl zügig eine Klausurtagung mit allen Ministern der neuen großen Koalition einberufen. Dort solle das "Arbeitsprogramm für die nächsten Monate" festgelegt werden, sagte sie. "Wir wollen sehr zügig mit der Arbeit beginnen." Ein Hundert-Tage-Programm werde es aber nicht geben.

Scholz: Groko keine „Liebesheirat“

Das zentrale Anliegen der neuen Koalition ist nach Ansicht des geschäftsführenden SPD-Chefs und künftigen Finanzministers Olaf Scholz die Weiterentwicklung der EU. Eine weitere entscheidende Frage sei es, dass gute Arbeitsplätze auch in Zukunft vorhanden seien.

Angela Merkel, Horst Seehofer (r) und Olaf Scholz unterzeichnen den Koalitionsvertrag.
Angela Merkel, Horst Seehofer (r) und Olaf Scholz unterzeichnen den Koalitionsvertrag.

© Michael Kappeler/dpa

Das Bündnis sei zwar "nicht von Anfang an als Liebesheirat losgegangen", sagte Scholz. Union und SPD seien "trotzdem in der Lage, konstruktiv zusammenzuarbeiten und ordentlich miteinander zu regieren".

Angesichts der innerparteilichen Debatten über eine neue Groko sagte Scholz, dass das Regieren für die SPD nie Selbstzweck gewesen sei. Der Koalitionsvertrag werde aber "unser Land, unsere Gesellschaft und Europa" in den kommenden Jahren voranbringen. Daher gehe die SPD mit "Optimismus" an Arbeit.

Nach den Worten von CSU-Chef Horst Seehofer ist das neue Regierungsbündnis eine "Koalition für die kleinen Leute". Er fügte hinzu: "Das ist die Mitte der Gesellschaft". Er könne sich nicht erinnern, dass ein anderer Koalitionsvertrag die soziale Dimension dermaßen abgebildet habe. Die neue Koalition wolle nun "Tempo machen" bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags. Denn das erwarte die Bevölkerung nach der langen Regierungsbildung mit Recht, sagte der designierte Innenminister. Dies sei auch das beste Mittel, um wieder das notwendige Vertrauen in der Bevölkerung herzustellen.

Zu seiner künftigen Aufgabe als Heimatminister sagte Seehofer, er habe dieses Ressort zuerst in Bayern begründet. Bei dieser Zuständigkeit gehe es darum, die Polarisierung in der Gesellschaft zu überwinden. Zudem sie die Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland ebenfalls eine spannende Aufgabe dieses Ressorts.

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Opposition fordert mehr Maßnahmen

Die Opposition kritisierte vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages die Pläne der künftigen Bundesregierung. Die Grünen riefen die Union und SPD dazu auf, in der bevorstehenden Regierungsarbeit über das hinauszugehen, was sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. In der Vereinbarung gebe es "große Lücken", sagte Parteichefin Annalena Baerbock am Montag. So komme in dem Vertrag der Klimaschutz gar nicht vor. Union und SPD müssten über den Koalitionsvertrag deutlich hinauswachsen, sagte Baerbock. Sie betonte zugleich, die große Koalition habe "100 Tage Bewährung verdient, so wie jede andere Regierung auch". Beim Klimaschutz hätten Union und SPD die Einsparziele für 2020 erst aufgekündigt und dann gesagt: "Mal gucken, was passiert." Damit sei aber "noch keine Tonne CO2 eingespart".

Baerbock warf der großen Koalition weiter vor, nicht genügend gegen Kinderarmut zu tun. Von der geplanten Erhöhung des Kindergeldes würden auch Familien profitieren, die diese Unterstützung gar nicht benötigten. Stattdessen solle lieber der Kinderzuschlag ausgebaut werden. Baerbock lobte allerdings das Ziel der großen Koalition, bei der Bildung stärker mit den Ländern zusammenzuarbeiten. Die Bildung sei eine "Gemeinschaftsaufgabe". Wenn die große Koalition hier gute Ansätze verfolge, würden die Grünen dies unterstützen.

Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock.
Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock.

© Britta Pedersen/dpa

Scharfe Kritik äußerte Baerbock an dem designierten Bundesinnenminister Seehofer. Der müsse sich bei der Asylpolitik in die Materie einarbeiten und dürfe sich nicht weiter als "bayerisches Rumpelstilzchen" geben. Zudem solle er nicht suggerieren, dass es "rechtsfreie Räume" gebe. Seehofer hatte am Wochenende gesagt, besonders bei Straftätern und Gefährdern unter den Asylbewerbern müsse "härter" durchgegriffen werden. Er verlangte zudem eine Beschleunigung der Asylverfahren.

Lindner: "Nicht schrill" in der Opposition

FDP-Chef Christian Lindner sieht derweil die neue große Koalition nicht für die Zukunftsaufgaben des Landes gerüstet. Der Koalitionsvertrag sei "bereits zu dem Zeitpunkt, wo die Tinte trocknet, aus der Zeit gefallen", sagte Lindner. Bundeskanzlerin Merkel habe erneut "mit Geld als Schmiermittel" eine Koalition zusammengebaut, "die sich aber vor klaren Richtungsentscheidungen zur Erneuerung des Landes drückt".

Lindner kritisierte weiter, der Handelskonflikt mit den USA, die sich abzeichnende Zinswende und die französischen Anstrengungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit ließen den Inhalt des Koalitionsvertrages bereits zur Makulatur werden. Außerdem werde die politische Mitte in Deutschland vernachlässigt. "Dieser ganze Koalitionsvertrag atmet den Geist einer absoluten Staatsfixierung." Von Bürgern werde nur als Bedürftige oder Schwache gesprochen, um die sich die Regierung kümmern müsse. Lindner machte deutlich: "Wir sehen uns als eine Opposition aus der Mitte des Parlaments für die Mitte des Landes." Die FDP werde "nicht schrill und erst recht nicht fundamental" Opposition betreiben, sondern mit Initiativen etwa zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags eigene Akzente setzen. In der Europapolitik werde die FDP sich dagegen stemmen, dass deutsche Sparer für marode Banken in anderen Ländern in Mithaftung genommen würden.

FDP-Vorsitzender Christian Lindner.
FDP-Vorsitzender Christian Lindner.

© Soeren Stache

Mit Blick auf die Diskussion um die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen sagte Lindner, dass seine Partei für Mehrheiten jenseits der großen Koalition zur Verfügung stehe. "Wenn es im Deutschen Bundestag jenseits der großen Koalition eine Mehrheit für eine moderne Position gibt, dann werden wir uns dem nicht verschließen", sagte er. Die Union lehnt eine Streichung des entsprechenden Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch ab - theoretisch gäbe es dafür aber eine Mehrheit von SPD, Grünen, Linken und FDP.

"Wir wünschen der neuen Regierung Fortune", sagte Lindner weiter. "Die Mitglieder des Kabinetts haben jetzt alle eine Chance verdient, Profil zu gewinnen und politischen Positionen dann auch tatsächlich im Amt zu markieren."

AfD beklagt Blockade Deutschlands

Die AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen und Alexander Gauland kritisierten den Koalitionsvertrag scharf. "Deutschland wird sich mit diesem Koalitionsvertrag absehbar selbst blockieren", sagte Meuthen in Berlin. Die Überschrift der Vereinbarung müsse eigentlich lauten "Mehr Staat, weniger Freiheit".

Der Staat solle nach den Vorstellungen von Union und SPD alles richten, in Kernbereichen wie innerer und äußerer Sicherheit blieben die Vereinbarungen aber unbestimmt, bemängelte Meuthen. Der zentrale und einzige Erfolg der CDU scheine allein darin bestehen, dass ihre Vorsitzende Angela Merkel Kanzlerin bleibe. "Programmatisch hat sich hier die SPD durchgesetzt", sagte Meuthen. Der Vertrag ströme besonders in der Sozialpolitik den "tiefen Mief der 70er Jahre" aus. Zudem würden die "falschen Prioritäten" gesetzt.

CDU-Generalsekretärin weist Kritik der Wirtschaft zurück

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer wies derweil Kritik der Wirtschaft am Koalitionsvertrag zurück. Sie kündigte am Montag im ZDF eine konstruktive und kritische Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft an. Gerade der Handelsstreit mit den USA zeige, dass die Regierung bei der Vertretung deutscher Interessen "eine starke Achse" mit der deutschen Wirtschaft bilden müsse. Die Vorwürfe, dass die neue Koalition nicht genug für die Sicherung der Zukunft und die Begrenzung der Lasten für die Betriebe tun wolle, nannte sie "nicht ganz so berechtigt".

Die Ankündigung des designierten Bundesinnenministers Seehofer Asylverfahren und Abschiebungen zu beschleunigen, sieht Kramp-Karrenbauer als ein "gutes Zeichen, dass wir näher an die Probleme heranrücken". Zum Werbeverbot für Abtreibungen habe die CDU dezidiert eine andere Auffassung als die SPD. Die CDU setze auf das Schutzkonzept und dazu gehöre das Werbeverbot. Sie sei bereit, darüber öffentlich kontrovers zu diskutieren. Die SPD will das Werbeverbot für Abtreibungen aufheben.

Steinmeier: Zeit der Unsicherheit vorüber

Am Mittwoch tritt Bundeskanzlerin Merkel nun im Bundestag zur Wiederwahl an, danach soll die Vereidigung der neuen Bundesregierung stattfinden. Damit kommt fast sechs Monate nach der Wahl die längste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik zu einem Abschluss.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich erleichtert über den bevorstehenden Abschluss. „Ich bin froh darüber, dass die Zeit der Unsicherheit und Verunsicherung vorübergeht“, sagte Steinmeier am Montag in Düsseldorf. „Die Ungeduld wuchs in den letzten Wochen während der Verhandlungen und der Abstimmungsphase.“ (AFP/Reuters/dpa)

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