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© dpa

Kulturkampf im Iran: Ali Chamenei kündigt einen Feldzug gegen die Geisteswissenschaften an

Zu Beginn des Studienjahres am 23. September mehren sich die Anzeichen, dass die iranische Führung Repressionen gegen Professoren und Studenten verschärfen wird - und dass die Lehrpläne beschnitten werden.

Kairo - So sieht es Irans Ayatollah Ali Chamenei: Den Kampf auf den Straßen haben seine Revolutionären Garden erfolgreich ausgefochten. Jetzt muss der Kampf gegen die geistigen Wurzeln der Unruhen folgen – und zwar gegen das subversive westliche Gedankengut, was sich über die Universitäten im Volk ausgebreitet hat. Die meisten Humanwissenschaften „basieren auf materialistischen Philosophien und betrachten den Mensch als ein Tier“, erklärte der Oberste Religionsführer kürzlich in einer Rede vor ausgesuchten Studenten und Professoren. Er zeigte sich „beunruhigt“ darüber, dass zwei Millionen Hörer in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern eingeschrieben sind - also 60 Prozent des akademischen Nachwuchses. Wenn man aber solche säkularen Gedanken den jungen Leuten lehre, „werden Zweifel an den islamischen Prinzipien und Misstrauen in unsere Werte gesät”, polterte Chamenei, der offenbar die Freitagspredigt morgen in Teheran zur Ankündigung eines neuen Kulturkampfes gegen „unislamische Einflüsse“ nutzen will.

Öffentliches Abschwören von Weber, Parsons und Habermas

Einen ersten Vorgeschmack hatte das iranische Volk bereits bei einem Teheraner Schauprozess bekommen. So musste einer der brillantesten Vordenker der Reformer, Saeed Hajjarian, in seinem „Geständnis“ öffentlich von Max Weber, Talcott Parsons und Jürgen Habermas abschwören. Das Denken dieser westlichen Soziologen und Philosophen hätte die iranischen Intellektuellen korrumpiert, sagte er und bat das iranische Volk um Verzeihung, dass er solche Theorien für seine „unzutreffenden und wertlosen Analysen“ herangezogen habe. Auch hielt ihm der Ankläger vor, Habermas sei 2002 nur deshalb in den Iran eingeladen worden, „um die Ausbreitung säkularer Ideen zu fördern“.

Lehrpläne revidiert, Studenten überwacht, Professoren in den Ruhestand versetzt

Chamenei und sein umstrittener Präsident Mahmud Ahmadinedschad wissen, dass es an den Hochschulen brodelt. Und so will das Regime den aufmüpfigen Nachwuchs zu Beginn des neuen Studienjahres am 23. September besonders hart an die Kandare nehmen. Politisch aktive Studenten werden strikt überwacht oder von der Uni verwiesen; Lehrpläne und Lehrkörper der Human- und Sozialwissenschaften durch „entschiedene Verteidiger des Islam“ ideologisch gesäubert. Die Kommission für diese geistige Großzensur ist bereits ernannt. Ihr Chef Hamid Reza Ayatollahi lässt keinen Zweifel daran, wohin die Reise geht. „In unserem Land ist ein großer Teil der Lehrpläne nicht im Einklang mit unserer iranisch-islamischen Kultur”, erklärte er. „Eine Revision ist zwingend notwendig – und zwar auf Basis der Empfehlungen des Religionsführers.”

Auch die politische Disziplinierung der akademischen Jugend, die schon seit 2006 durch ein spezielles Sternchensystem erfolgt, soll weiter verschärft werden: Alle Studenten, die vom Geheimdienst der Universitätsverwaltung als politisch aktiv gemeldet wurden, waren schon in den letzten drei Jahren nach den Sommerferien auf den Einschreibelisten besonders markiert. Wer einen Stern hat, wurde fortan überwacht. Mit zwei Sternen durfte man an bestimmten Lehrveranstaltungen nicht mehr teilnehmen oder musste aus dem Wohnheim ausziehen. Die mit drei Sternen flogen von der Hochschule. Professoren wurden reihenweise in den Ruhestand versetzt oder zu Sabbatjahren ohne Rückkehr gezwungen.

Berichte über Verhöre und Verhaftungen

Wie viele Kommilitonen es diesmal trifft, ist noch unklar - oppositionelle Websites jedoch berichten aus allen großen Uni-Städten von Verhören und Verhaftungen. In Teheran nahmen staatliche Aufseher mehrere dutzend Studenten stundenlang in die Mangel. In Mashad wurden fünf Hochschüler verhaftet, ähnliche Vorfälle gibt es auch in Shiraz und Esfahan. Ätzend scharf reagierte inzwischen der früheren Präsident Mohammed Chatami auf die neue „Bedrohung akademischer Freiheit“, wie er sich ausdrückte. Kritische Bürger sollten mit „faschistischen und totalitären Methoden“ aus dem öffentlichen Leben herausgedrängt werden, prangerte er vor der „Islamischen Gesellschaft von Hochschullehrern“ die neue Einschüchterungswelle an. In Wirklichkeit aber sei der einzige Weg, den Islam zu verteidigen, „die Religion mit Freiheit zu paaren“.

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