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Klaus Wowereit mit dem Dirigenten Daniel Barenboim und dessen Ehefrau, der Pianistin Elena Bashkirowa im vergangenen Herbst.

© Jörg Carstensen/dpa

Kultursenator Klaus Wowereit: Seine liebste Rolle

Der Regierende Bürgermeister ist seit 2006 auch Kultursenator. Es tat der Szene gut, dass die Kultur in Berlin Chefsache wurde. Denn sie bestimmt die Identität der boomenden Stadt. Eine Würdigung.

Vor einer Woche bei der Eröffnung des Festivals „Tanz im August“. Der Regierende Bürgermeister schwatzt gut gelaunt auf einem Empfang der kanadischen Botschaft im Hebbel am Ufer. Angesprochen auf das leere Weinglas, das vor im steht, meint er breit grinsend: „Das ist die neue Bescheidenheit.“

Und ganz der alte Klaus Wowereit: schlagfertig, selbstbewusst, und da schwingt immer etwas leicht Maliziöses mit in seinem Hedonismus. Man darf annehmen, dass zu diesem Zeitpunkt der innere Prozess, der zur Amtsaufgabe führte, schon weit fortgeschritten war. Er wirkte aufgeräumt, gelöst.

Seit 2006 ist Wowereit auch Kultursenator, das hängt mit der Arithmetik der Senatsposten zusammen. Die kulturellen Angelegenheiten sind für ihn aber nie ein Anhängsel gewesen, sondern eine Leidenschaft. Hier fühlt er sich wohl – und sicher. Hier fällt ihm keine Landebahn, kein Volksentscheid auf die Füße. In der Summe muss man sagen: Der Kultur haben die Wowereit-Jahre gutgetan.

Klaus Wowereit hat Kultur zur Chefsache gemacht. Und die Kultur hat Berlin zu der Boomtown gemacht, die vielen Ortsansässigen, die auch irgendwann einmal dem Ruf Berlins gefolgt sind, im Augenblick über den Kopf wächst. Erfolg ist anstrengend, Wachstum schmerzt, und nicht jedem ist die Dickfelligkeit, Gelassenheit und auch das in den letzten Jahren festzustellende Abgehobensein eines Klaus Wowereit eigen.

„Wowereit hat der Stadt ihr Selbstvertrauen zurückgegeben. Unter ihm wurde aus einer deutschen Stadt eine internationale Metropole und die Subkultur zur beherrschenden Industrie. Dafür bin ich ihm extrem dankbar.“ Sagt Matthias Lilienthal, der designierte Intendant der Münchner Kammerspiele. Lilienthal war in den besten Zeiten der Volksbühne Chefdramaturg bei Frank Castorf, danach baute er das Hebbel am Ufer/HAU auf und aus. In diesen beiden Erfolgsgeschichten steckt viel Wowereit. So wie umgekehrt Volksbühnen-Anarchie und rotzige, grenzüberschreitende HAU-Performance das System Wowereit prägten. Wenn es denn ein System war. Man beschreibt ihn besser als Instinktpolitiker mit street credibility und zähen Machttechniker, der gern auf die Bühne geht.

In den 1990er Jahren, die Stadt sortierte sich noch nach dem Mauerfall, konnte man im Abgeordnetenhaus ein seltenes Schauspiel erleben. Ein SPD-Politiker, noch nicht weiter aufgefallen, engagierte sich vehement für Fragen der Kultur. Der junge Mann war oft besser vorbereitet als die Kulturverwaltung. Er ließ nicht locker. Er wollte etwas.

Klaus Wowereit war der Erste, der begriff, dass Kulturpolitik auch Macht und ein Karrieregrund sein kann, kein Hindernis. Darin liegt schließlich das spezifisch Berlinische. Die Stadt wird seit jeher mit ihrer Kultur identifiziert. Und sie war die Zentrale der Barbarei, des Nazi-Terrors, der Vernichtung von Kultur. Mit dem sogenannten Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ hat der Senat daran erinnert. Und auch daran, dass sich Berlin von seiner besten Seite zeigt, wenn es seine dunkelste Seite zeigt. Und überwindet.

Klaus Wowereit und seinem langjährigen Kulturstaatssekretär André Schmitz ist in der Personalpolitik das meiste gelungen, von der Opernstiftung zur Berufung von Barrie Kosky an die Komische und Dietmar Schwarz an die Deutsche Oper, vom HAU zum Maxim-Gorki-Theater, die jetzt von Annemie Vanackere und Shermin Langhoff geleitet werden. Beständig stieg der Kulturetat in jenen Jahren, an die wir uns vielleicht mal als glückliche erinnern werden, auch wenn Teile der Freien Szene und die Choreografin Sasha Waltz das anders sehen. Sie fühlen sich übergangen. Es war eine glückliche Zeit, weil plusminus die Kulturszene, die ja aus vielen unterschiedlichen Szenen besteht, in der Balance gehalten wurde: das Off, die dicken Events, die traditionellen Institutionen.

Das ist das Problem einer bunten, unfertigen Großstadt wie Berlin: Die Alternativen wollen alternativ sein, die Wilden wild, die Kreativen immer kreativer. Die Etablierten wollen das alles auch bleiben. Innovativ und immer vorne dran. Im ganzen Land und im Maßstab der ganzen Welt, die nach Berlin zu kommen und sich ins Treiben einzumischen beschlossen hat. Für all das ist der Senat verantwortlich, der Regierende Kulturmeister. Dass das immer so weitergeht und finanziert wird mit noch mehr Geld vom Staat.

Wowereit hat die Kultureinrichtungen konsolidiert und günstige Rahmenbedingungen geschaffen. Darüber hinaus ist die Bilanz, die man jetzt ziehen muss, nicht ganz so hell. Die Idee, eine Kunsthalle zu bauen, wurde ihm um die Ohren gehauen. Ebenso der Plan einer Zentralen Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld. Auch dafür wurde er unsinnigerweise verprügelt. Dieses neue Medienzentrum für die rapide wachsende Hauptstadt war ein schlecht kommuniziertes Projekt und wurde abgeräumt, weil Wowereit jetzt einfach dran war. Flughafenpleite, lange Amtszeit, müde Präsenz – da ging es nicht mehr um die Sache, sondern um die Person. Weil Wowereit Kultur, Party, Tourismus und das Berlinische daran stark an sich gezogen und mit sich verwoben hat.

Wowereits Abschwung koinzidiert mit weiteren Aufschwungsschüben, die Berlin erlebt, erleidet, je nach Perspektive. Und dann die Affäre Schmitz. Wegen einer vergleichsweise läppischen Steuergeschichte musste der Kulturstaatssekretär im Februar gehen, auch wenn Wowereit alles tat, um ihn zu halten. Es war auch schon ein bisschen so, als kämpfte Wowereit um sein eigenes Amt. Er überstand die Geschichte. Es war vielleicht der eine Sieg zu viel, der in Shakespeares Königsdramen auf das kommende Ende hinweist.

Die Berufung des Musikmanagers Tim Renner zum Kulturstaatssekretär hatte wieder etwas von einem Coup. Überraschend, riskant, Indiz für eine neue Kulturpolitik, die sich mehr um Digitales und Liegenschaftsfragen kümmern muss. Um die Zukunft der Stadt, die auf Investitionen gehofft hat und nun darunter ächzt. Tim Renner notierte am Dienstag auf Facebook: „26.8. Day of Change: Die Kleine kommt ins Gymnasium und die Medien melden den Rücktritt meines Chefs ...“

Etwas Großes ist vorbei. Etwas Neues beginnt. Nicht nur für Renners Tochter.

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