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Kurden-Konflikt: "Erdogan regiert wie Bush"

Noch vor drei Jahren war Recep Tayyip Erdogan bei vielen Kurden in der Türkei ein Held. Inzwischen setzen sie in den Premier keine Hoffnung mehr

Vor wenigen Jahren sprach Erdogan als erster türkischer Ministerpräsident öffentlich von einem „Kurdenproblem“ und versprach eine demokratische Lösung des Konflikts, der seit 1984 rund 40 000 Menschen das Leben gekostet hat. Doch heute ist auf den Straßen der südostanatolischen Großstadt Diyarbakir von dieser Begeisterung nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. „Wir sind tief enttäuscht von Erdogan“, sagt der kurdische Markthändler Hüseyin.

Mit nationalistischen Bemerkungen über das Kurdenproblem hat Erdogan seinen Kredit in Diyarbakir verspielt. Wer die Türkei nicht liebe, der solle halt abhauen, sagte der Premier bei einer Rede vor zwei Wochen. Einige Tage später deutete er Verständnis für Türken an, die sich mit der Waffe in der Hand gegen kurdische Aktivisten zu Wehr setzten.

„Unfassbar“ seien Erdogans Äußerungen, sagt der kurdische Arbeiter Bülent in Diyarbakir. „Wenn jemand hier abhauen soll, dann ist es der Ministerpräsident.“ Wie viele andere Kurden möchte Bülent aus Angst vor Repressalien seinen Familiennamen nicht in der Zeitung sehen. Von Erdogan und seiner Regierungspartei AKP enttäuscht, sind viele Kurden wieder empfänglicher geworden für die Rebellengruppe PKK und ihre Kampfparolen. Das Gerücht, dass der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali misshandelt worden sei, löste heftige Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und kurdischen Demonstranten aus.

Eine Serie von PKK-Angriffen auf türkische Grenzposten hat den Ministerpräsidenten seit dem letzten Herbst an die Seite des Militärs getrieben, die seit langem für eine härtere Gangart in der Kurdenpolitik plädieren. Zudem hat sich Erdogan offenbar entschieden, im Wahlkampf für die in viereinhalb Monaten anstehenden Kommunalwahlen auf die nationalistische Klientel zu setzen.

Auch Vertreter des türkischen Reformlagers wenden sich von Erdogan ab. Der Premier sei als eine Art Barack Obama angetreten, regiere inzwischen aber eher wie George W. Bush, sagte Fehmi Koru, ein prominenter Kolumnist und langjähriger Erdogan-Anhänger, letzte Woche im Fernsehen. „Beim Thema Europäische Union wird überhaupt nichts mehr getan werden“, sagte Ahmet Altan, ein führender Vertreter des Reformlagers. Auch in Diyarbakir überwiegt der Pessimismus. Viele Kurden, die auf ein toleranteres politisches Klima und auf ein wenig Wohlstand gehofft hatten, sind resigniert. „Es wird immer schlimmer“, sagt der Händler Kemal.

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