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Kurden-Konflikt: Kriegslärm im Nordirak

Die türkische Intervention hat praktisch schon begonnen – obwohl Premier Erdogan nur verlieren kann.

An der Grenze zwischen der Türkei und dem Irak steigen Kampfflugzeuge und Hubschrauber auf, um die Kurdenrebellen von der PKK zu jagen. Die Armee hat den Zutritt zu einigen Gegenden in Grenznähe gesperrt und beschießt Ortschaften auf irakischem Territorium mit Artillerie. Vieles deutet auf einen baldigen Beginn der türkischen Militärintervention im Nordirak. Doch in der Türkei regen sich Zweifel. Kommentatoren rufen die türkische Regierung auf, sich von der PKK nicht das Vorgehen diktieren zu lassen. Für die Kurdenrebellen hätte eine türkische Intervention im Irak viele Vorteile, für Ankara dagegen fast nur Nachteile.

Seit dem Tod von mindestens zwölf Soldaten beim jüngsten PKK-Angriff in der Provinz Hakkari vom Wochenende haben die türkischen Truppenbewegungen an der irakischen Grenze deutlich zugenommen. Die Zeitung „Hürriyet“ zitierte einen ungenannten General mit den Worten, im Grunde habe die grenzüberschreitende Militäraktion bereits begonnen: Für die Armee gelte die Gegend in Südostanatolien ab sofort als Kriegsgebiet, in dem auf politische Grenzen keine Rücksicht mehr genommen werde.

Nach Medienberichten will die türkische Armee den an dem Angriff in Hakkari beteiligten PKK-Trupps den Rückweg nach Nordirak abschneiden, von wo aus die Gewaltaktionen in der Türkei gesteuert werden. Die Kurdenrebellen haben nach eigenen Angaben acht türkische Soldaten in ihrer Gewalt, die sie bei dem Gefecht in Hakkari gefangen nahmen. Der türkische Generalstab verzeichnet die acht Soldaten als vermisst. Türkische Kenner der PKK sind sich einig, dass die Kurdenrebellen einen Angriff der türkischen Armee auf den Nordirak provozieren wollen. Einige Experten sagen sogar weitere groß angelegte Aktionen der Kurdenrebellen voraus, die diesem Ziel dienen sollten.

Eine türkische Intervention würde die PKK-Kämpfer in den Augen vieler Kurden in der Türkei und im Irak zu Helden machen. Zudem ist schon jetzt sicher, dass eine Invasion weder das Kurdenproblem lösen kann noch die PKK selbst existenziell bedrohen wird. Schon gibt es Berichte über einen Rückzug vieler PKK- Mitglieder aus den nordirakischen Bergen ins Landesinnere Iraks. Für die Türkei dagegen würde ein Angriff auf den Irak erhebliche außenpolitische Probleme – möglicherweise sogar einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen – nach sich ziehen. Außer einer kurzfristigen Machtdemonstration wäre für Ankara nichts gewonnen.

Premier Recep Tayyip Erdogan macht keinen Hehl daraus, dass er nur zu gern auf die Intervention verzichten würde. Auf Bitten von US-Außenministerin Condoleezza Rice will Erdogan „ein paar Tage“ mit einem Angriffsbefehl warten. Es dürfte dem Premier ganz gelegen kommen, dass sich die PKK am Montag zu einer Feuerpause bereit erklärte – unter der Bedingung, dass die Türkei ihre Angriffe auf kurdische Stellungen einstellt.

Anfang November fliegt Erdogan zu einem Treffen mit George Bush nach Washington. Was die Amerikaner im Irak kurzfristig tun können oder wollen, um die PKK zu zügeln, ist aber unklar. Zusätzlich erschwert wird Erdogans Position durch die Tatsache, dass die irakische Zentralregierung und die nordirakischen Kurden eine Festnahme von PKK-Funktionären ablehnten – ausgerechnet an dem Tag, an dem in Hakkari die zwölf Soldaten starben.

Der türkische Regierungschef hat also nur schlechte Optionen. Wenn Erdogan einen Angriff auf den Irak anordnet, beschert er der Türkei schwere Folgeschäden. Wenn er auf die Militärintervention verzichtet, die PKK-Gewalt aber weitergeht, setzt sich der Premier innenpolitisch dem Vorwurf aus, vor den Kurdenrebellen zu kapitulieren.

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