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Teilnehmer einer kurdischen Demonstration am Sonntag in Köln

© Marius Becker/dpa

Kurden und Türken in Deutschland: Gewaltiger Konflikt, neu entfacht

Die türkische Regierung geht verstärkt gegen Kurden vor – und umgekehrt. Wie verlagert sich diese Auseinandersetzung nach Deutschland?

Von Frank Jansen

Das Volk der Kurden leidet bis heute darunter, einer der Verlierer des Ersten Weltkriegs zu sein. Statt nach dem Ende des Osmanischen Reiches einen eigenen Staat zu bekommen, wurde ihr Siedlungsraum aufgeteilt zwischen der neuen Türkei, Syrien, dem Irak, dem Iran und der Sowjetunion. Doch viele Kurden gaben den Wunsch nach Souveränität nie auf – und brachten ihn als „Gastarbeiter“ auch mit in die Bundesrepublik. Inzwischen leben zwischen 600.000 und 800.000 Kurden hier, meist unauffällig. Die meisten stammen aus der Türkei. So betreffen die Konflikte dort auch Deutschland. Am Wochenende wurden mehrere „Friedensmärsche für die Türkei“ veranstaltet, gegen die wiederum Kurden demonstrierten: „Gegen Krieg und Staatsterror, für Frieden in Kurdistan und ein friedliches Zusammenleben“ war das Motto in Nürnberg.

Was steht in der Bundesrepublik bevor?

Die Sicherheitsbehörden befürchten nach Informationen des Tagesspiegels, dass der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Arbeiterpartei PKK sowie ihrem syrischen Ableger PYD noch stärker auf Deutschland abfärbt. Angesichts der Kämpfe in der Türkei und des andauernden Bürgerkrieges in Syrien und Irak sei „nicht nur mit einer Zunahme von Demonstrationen von PKK- beziehungsweise PYD-Anhängern, sondern auch mit Ausschreitungen zwischen ihnen und ihren politischen Gegnern in Deutschland zu rechnen“, heißt es in einer internen Lageanalyse des Berliner Verfassungsschutzes.

Zu den politischen Gegnern von PKK und PYD zählen neben türkischen Rechtsextremisten, den „Grauen Wölfen“, auch die Anhänger der Terrormiliz IS. Diese kämpft in Syrien und Irak gegen Kurden. Insbesondere die jugendlichen Anhänger der Organisationen seien bereit, „auch gewaltsam zu agieren“, warnt der Verfassungsschutz in dem 32-seitigen Papier. Die Stimmung sei „emotionsgeladen“. Der Nachrichtendienst verweist auf gewaltsame Angriffe junger PKK-Leute auf türkische Einrichtungen in Stuttgart im November und Dezember. Bei einem Brandanschlag auf ein Gebäude des Vereins Ditib, des Dachverbands der türkischen Moscheen in Deutschland, entstand ein Sachschaden von 80000 Euro. Im Oktober wurde zudem in Berlin ein Büro der Kurdenpartei HDP mehrmals von Türken attackiert, auch mit einem Brandsatz. Die im türkischen Parlament sitzende HDP steht mit PKK und PYD in Kontakt. Der Hass zwischen Kurden und türkischen Nationalisten entlud sich auch im September 2015 bei bundesweiten Krawallen. Beinahe hätte es in Hannover einen Toten gegeben, ein syrischer Kurde wurde mutmaßlich durch den Messerstich eines nationalistischen Türken schwer verletzt.

Warum spitzt sich die Lage zu?

Die Stimmung heizt sich bei Kurden und Türken in Deutschland seit Jahrzehnten nahezu automatisch immer dann auf, wenn der Konflikt in der Türkei eskaliert. Jetzt ist die Lage noch komplizierter, weil als weiterer antikurdischer Akteur der IS dabei ist, mutmaßlich anfangs auch mit der diskreten Unterstützung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. So ist der Konflikt zum Flächenbrand eskaliert, der die Türkei und die Kurdenregionen in Syrien und im Irak trifft: Es begann im Sommer 2014 mit der massenhaften Vertreibung kurdischer Jesiden durch den IS im Nordirak, bald darauf folgte die Schlacht zwischen Kurden und dem IS um die nordsyrische, an die Türkei grenzende Stadt Kobane. Nur mithilfe der Luftschläge der Amerikaner konnten die Kämpfer von PKK und PYD die Eroberung Kobanes durch die Terrormiliz verhindern.

In Deutschland kochten die Emotionen hoch. Im August 2014 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Jesiden und Anhängern des IS in Herford. Im Oktober des Jahres gingen Kurden und IS-Sympathisanten in Celle und Hamburg mit Schlag- und Stichwaffen aufeinander los. Ausschreitungen gab es auch in Berlin.

Was passiert in der Türkei?

Viele Kurden, nicht nur PKK und PYD, werfen der türkischen Regierung vor, sie unterstütze den IS. Als im Juli 2015 ein Selbstmordattentäter des IS in der südtürkischen Stadt Suruc mehr als 30 Menschen mit in den Tod riss, von denen die meisten junge prokurdische Aktivisten waren, kam es zu Unruhen in der Türkei. Der Friedensprozess zwischen Regierung und PKK war beendet. Die PKK begann wieder mit Anschlägen auf türkische Sicherheitskräfte, diese antworteten mit massiven Angriffen in den von Kurden bewohnten Gebieten im Südosten der Türkei. Und als bei Angriffen der PKK im September etwa 30 Soldaten und Polizisten starben, veranstalteten türkische Rechtsextremisten pogromartige Krawalle.

Wieso können sich die türkische Regierung und die PKK nicht verständigen?

Die Prognose des Berliner Verfassungsschutzes klingt pessimistisch: „Angesichts des gewaltsamen Konflikts und steigender Opferzahlen auf beiden Seiten polarisiert sich die türkische Gesellschaft zunehmend“, steht in der Analyse. Wegen der unnachgiebigen Haltung der türkischen Regierung wie der PKK sei ein Waffenstillstand oder eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen „vorläufig nicht zu erwarten“.

Was will die PKK hier erreichen?

Auch in Deutschland geraten wieder Kurden und Türken aneinander. Der Verfassungsschutz sieht aber auch, dass die PKK hier größeren Ärger eigentlich vermeiden will. Die straff geführte Organisation wurde 1993 nach Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen und einer Geiselnahme im türkischen Generalkonsulat München in Deutschland verboten. Trotzdem gab es weitere, wilde Aktionen, bis hin zu Autobahnblockade und Selbstverbrennung. Heute jedoch sei Deutschland für die PKK „vor allem Rückzugs- und Rekrutierungsraum“, schreibt der Verfassungsschutz.

Die PKK, die von deutschen Linksextremisten unterstützt wird, zählt in der Bundesrepublik 14000 Anhänger, kann aber weit mehr Sympathisanten mobilisieren. Das PKK-Spektrum soll allein 2014 etwa zehn Millionen Euro für die Finanzierung der Partei und des bewaffneten Kampfes in der Türkei, in Syrien und dem Irak gesammelt haben. Und es werden neue Mitglieder und Kämpfer rekrutiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) spricht von mehr als 100 Personen aus Deutschland, die bei PKK und PYD an Gefechten gegen den IS teilnehmen. Zu den Rekruten aus der Bundesrepublik gehören auch Deutsche. Im Juli 2015 starb der aus Karlsruhe stammende Kevin J. beim Kampf gegen den IS in Nordsyrien. Der Mann hatte es zum regionalen Militärkommandeur der Kurden gebracht.

In Deutschland zeigt sich aber auch, dass sowohl bei der PKK als auch bei den türkischen Rechtsextremisten ein Generationenkonflikt schwelt. Die älteren Kader haben Mühe, die jungen, heißblütigen Aktivisten zu steuern. Bereits 2012 sah das BfV vor allem beim Nachwuchs der türkischen Ülkücü-Bewegung, das sind die „Grauen Wölfe“, eine „sich verschärfende verbale Militanz“: In der Jugendkultur, im Internet, auf Facebook und YouTube „sinkt die Hemmschwelle zur Gewalt“, zentrale Feindbilder seien Kurden und Juden. Die Polarisierung in der Türkei wirkt auf allen Seiten wie ein Brandbeschleuniger.

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