zum Hauptinhalt

Politik: Kurt Biedenkopf: Von einem, der auszog, es besser zu machen

Anfang August 1990 - in Bonn und Berlin spitzt sich die Auseinandersetzung um Wahltermine, die Abtreibungsregelung und andere entscheidende Dinge zu - macht Kurt Biedenkopf Urlaub auf Lanzarote und liest Dostojewskis "Dämonen". Der heutige sächsische Ministerpräsident, damals ein viel reisender, viel notierender und viele Vorträge haltender Bundestagsabgeordneter, führte damals auch Tagebuch.

Anfang August 1990 - in Bonn und Berlin spitzt sich die Auseinandersetzung um Wahltermine, die Abtreibungsregelung und andere entscheidende Dinge zu - macht Kurt Biedenkopf Urlaub auf Lanzarote und liest Dostojewskis "Dämonen". Der heutige sächsische Ministerpräsident, damals ein viel reisender, viel notierender und viele Vorträge haltender Bundestagsabgeordneter, führte damals auch Tagebuch. Jetzt hat er es veröffentlicht, mit einem etwas pompösen Titel: "1989 - 1990. Ein deutsches Tagebuch". Es ist dreierlei: Biedenkopfs persönliche Sicht auf die laufenden Ereignisse in Bonn und die Entwicklung in der DDR, eine Beschreibung seiner Ministerpräsidenten-Werdung und eine Auseinandersetzung mit Helmut Kohl (schwankend zwischen Abscheu und Bewunderung) und der CDU. Eine bisweilen amüsante, häufig anregende, aber stellenweise auch ermüdende Lektüre.

Über den "Dämonen" kommt Biedenkopf auf Lanzarote so einiges zum Kanzler der Einheit in den Sinn, über den er in den Wochen und Monaten davor vor allem Kritisches notiert hat. Nun hält er fest, am 4. August 1990, nachdem er am Tag davor seine Gedanken zum Paragraphen 218 zu Papier gebracht und seinem Tagebuch ausführliche Sätze zur Epochenwende nach dem Ost-West-Konflikt und ihre Auswirkung auf die Politik anvertraut hat: "Das politische Verdienst Kohls, dem er sein derzeit hohes Ansehen verdankt, leitet sich ebenfalls aus seinem Beitrag zur Beendigung einer Epoche ab. (... ) Aber die Anerkennung, die ihm widerfährt, wird nur dann von Dauer sein, wenn er das Alte nicht nur beendet, sondern die Entwicklung des Neuen wesentlich mitgestaltet."

Diese Entwicklung steht nach Biedenkopfs Auffassung noch aus. "Sie ist selbst in Ansätzen noch nicht erkennbar", notiert er weiter, "und kann es auch nicht werden, solange wir an der Vorstellung festhalten, in der Bundesrepublik müsste sich nichts, in der DDR dagegen fast alles verändern." Sein Credo als Aufbaupolitiker in Ostdeutschland hat Biedenkopf so unter atlantischer Sonne formuliert. Wer ihn in den nächsten Jahren beobachtet hat, konnte diese Sätze immer wieder vernehmen: erst fordernd, dann rechtfertigend, zuletzt auch resigniert.

Die Sätze erklären Biedenkopfs Willen, sich im Osten zu engagieren (auch seinen Durchhaltewillen, der nun auf Kritik stößt, da sich die Regierungszeit in Sachsen dem Ende nähert). Mit das Interessanteste an dem Tagebuch ist, wie sich dieser Wille seit dem Herbst 1989 geformt hat: Ein wichtiger Aspekt ist die bisweilen anklingende Absicht, es Kohl und anderen Zweiflern zu zeigen. Selbstzweifel schreibt sich Biedenkopf von der Seele.

Zurück von Lanzarote vertraut Biedenkopf seinem Tagebuch am 26. August 1990 an: "Die letzten 48 Stunden haben mein Leben verändert." Das Ende der DDR war beschlossen, in Sachsen suchte die CDU einen Spitzenkandidaten. Da Heiner Geißler nicht will, bittet Lothar Späth, der sich damals von Stuttgart aus als Ministerpräsident um die Länderbildung im Osten kümmerte, den schon als Gastprofessor in Leipzig wirkenden Biedenkopf - nachts um ein Uhr. Der sagt zu. Und führt wieder ausführlich Tagebuch, weit über den Tag hinausdenkend: Das Amt des Ministerpräsidenten werde "mit seinen Möglichkeiten im Bundesrat, im Bundestag und auf der europäischen Ebene eine gute Ausgangsposition für ein über das Land hinausgreifendes Engagement in Grundsatzfragen bieten".

Biedenkopf lässt in seinem Tagebuch auch anklingen, welche anderen Aufgaben ihm im Verlauf seiner Karriere zugetraut wurden: Kanzler, Bundespräsident, EU-Kommissar, Kommissionspräsident. Dennoch resümiert er am 22. September, gerade noch im Landtagswahlkampf in Dorfchemnitz, jetzt auf dem Flug nach Boston zu einer Sitzung der Trilateralen Kommission, mit bemerkenswerter Quellennennung über sich selbst: "Kohl hat Recht, wenn er vom richtigen Mann am richtigen Ort spricht. (...) Manchmal ist mir, als habe sich in den letzten Jahren alles so gefügt, dass es der jetzigen Aufgabe dient."

Man lernt aus dem Buch viel über jene Zeit, einiges über das Wesen deutscher Politik und so manches über Kurt Biedenkopf.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false