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Ein Demonstrant in London mit einer Corbyn-Maske

© Reuters/Simon Dawson

Labour-Party in Großbritannien: Die schwierige Suche nach Corbyns Erben

Drei Kandidaten bewerben sich um den Labour-Vorsitz. Die neue Führung soll die Partei aus dem Tal ihrer schwersten Wahlniederlage seit 1935 führen.

Diese Woche landet schwerwiegende Post in mehr als 600.000 britischen Briefkästen: Die oppositionelle Labour-Party verschickt die Stimmzettel zur Wahl ihres Führungspersonals. Mehr als eine halbe Million Mitglieder sowie etwa 100.000 registrierte Unterstützer werden jene beiden Frauen oder Männer bestimmen, die die alte Arbeiterpartei aus dem tiefen Tal ihrer schwersten Wahlniederlage seit 1935 führen sollen. Keine leichte Aufgabe – weshalb in den parteiinternen Bewerbungsrunden auch nicht gerade Begeisterung herrscht.

Vor Kurzem stellten sich die übrig gebliebenen Kandidaten – zwei Frauen und ein Mann – für den Parteivorsitz sowie ein halbes Dutzend Anwärter auf den vergleichsweise einflusslosen Vizeposten den Fragen Hunderter von Mitgliedern. „Wenigstens wurde in kameradschaftlicher Weise miteinander gesprochen“, berichtet ein Insider, der sich mit Schaudern an die letzte Vorsitzendenwahl im Sommer 2016 erinnert, als der weithin unbekannte walisische Abgeordnete Owen Smith die Galionsfigur der Linken, Jeremy Corbyn, herausgefordert hatte.

Wie die wichtigste Oppositionspartei gegen Boris Johnsons übermächtige konservative Regierung mit dem Erbe des 70jährigen Altlinken umgehen soll, stellt das Kerndilemma der Wahl dar. Zwei der Bewerber tänzeln um das Problem herum, aus unterschiedlichen Gründen. Rebecca Long-Bailey, 40, in Corbyns Schattenkabinett wirtschaftspolitische Sprecherin, wehrt sich zwar gegen das „respektlose“ Label, sie sei die jüngere und weibliche Version des Chefs. Gleichzeitig teilt sie aber ungefragt mit, sie „liebe“ Corbyn und würde ihn gern in ihrem Schattenkabinett haben.

Die drei Kandidaten Lisa Nandy, Keir Starmer, und Rebecca Long-Bailey (von links nach rechts) debattieren im BBC-Fernsehen.
Die drei Kandidaten Lisa Nandy, Keir Starmer, und Rebecca Long-Bailey (von links nach rechts) debattieren im BBC-Fernsehen.

© Jeff Overs/BBC/Handout/REUTERS

Unbelastet von der Corbyn-Ära geht Lisa Nandy ins Rennen

Von Keir Starmer, 57, weiß man hingegen, dass er seinen Nord-Londoner Wahlkreis-Nachbarn eher auf den Mond wünscht als in seine politische Nähe. Da der glänzende Jurist aber unter Corbyn Labours Brexit-Linie bestimmte, kann er Kritik am Chef schlecht allzu deutlich machen. Im Gegenteil – im innerparteilichen Streit formuliert Sir Keir dezidiert linke Positionen, versucht also die Corbyn -Fans für sich einzunehmen. Ganz gewiss hat sich Starmer einen guten Ruf als Kenner des Brexit-Dossiers erarbeitet und ist damit gewappnet für die Auseinandersetzungen mit der Brexit-Regierung, die dieser Tage erneut auf Konflikte mit der EU zuzusteuern scheint. Freilich wirkt der Vater zweier kleiner Kinder sehr hölzern, „ein Jurist in der Politik, kein Politiker“, wie ein Beobachter sagt.

Unbelastet von der Corbyn-Ära geht die Hinterbänklerin Lisa Nandy ins Rennen. Die 40-jährige Tochter aus altem Labour-Adel vertritt den Wahlkreis Wigan bei Manchester im Unterhaus und bezieht aus ihrer Detailkenntnis solcher Städte ihre Glaubwürdigkeit. Denn während die Sozialdemokraten in den Ballungszentren von London, Manchester und Liverpool stark geblieben sind, liefen ihnen in Städten wie Wigan, Luton oder Bishop Auckland die Wähler scharenweise davon. Das lag auch an der unklaren Brexit-Politik – mit der inhaltsarmen Klarheit Johnsons konnte Starmers fein ziselierter Kompromiss nicht konkurrieren.

Nandy machte vergangene Woche Furore mit einer fulminanten Rede vor der jüdischen Labour-Gruppierung: Ein für allemal müsse die Partei mit dem schwelenden Antisemitismus-Problem aufräumen, das in der Corbyn-Ägide zu einer Untersuchung durch die unabhängige Menschenrechtsbehörde EHRC geführt hat. Er werde für Nandy stimmen, sagt der langjährige Londoner Labour-Aktivist John Biggins, wenn ihm auch die Begeisterung fehle. „Alle drei versprechen das Blaue vom Himmel herunter, das ist ja nicht realistisch.“ Das Ergebnis soll Anfang April feststehen.

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