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Nur noch satt und sauber? Syrische Flüchtlingsfamilie in der Essenausgabe der baden-württembergischen Erstaufnahmestelle im schwäbischen Meßstetten.

© Felix Kästle/dpa

Länder und Flüchtlinge: Mehrheit ist gegen Geld-Entzug für Asylbewerber

Gutscheine und Esspakete statt Geld für Asylbewerber? Der Innenminister meint, da gehe noch was. Die Mehrheit der Länder äußert sich in einer Tagesspiegel-Umfrage ablehnend.

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Eine deutliche Mehrheit der Länder ist dagegen, das Geld für Asylbewerber zu streichen und sie verstärkt bargeldlos zu versorgen. Auf Anfrage des Tagesspiegels zeigten sich zehn der sechzehn Landesregierungen skeptisch oder klar ablehnend.

Maizière will EU-Debatte über Standards

Die Debatte hatte vor einer guten Woche Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) angestoßen. Auch „unter Wahrung der Menschenwürde“ ließe sich einiges an den Leistungen für Asylsuchende ändern, sagte er. Man könne das Taschengeld „genauer ansehen“, das sie erhalten, und auch stärker auf Sachleistungen umstellen. Europa müsse insgesamt eine  "Debatte über europäische Standards der Menschenwürde und der Leistungen" führen. Seine europäischen Ministerkollegen sagten ihm so de Maizière, dass die deutschen Standards "sehr hoch" seien. Zuvor hatte sich bereits der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, ähnlich geäußert.

"Gutscheine ja nicht abgeschafft, weil sie so gut funktionierten"

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) widersprach. Dem Tagesspiegel sagte, sie, in den Erstaufnahmen ihres Landes erhielten die Menschen Sachleistungen und ein Taschengeld von maximal 32,80 Euro pro Woche. „Ich halte dies auch aus humanitären Gründen für richtig.“ Eine teilweise oder völlige Umstellung von Geld- auf Sachleistungen werde nur „zusätzliche Bürokratie schaffen und keine Einsparungen bringen“. Niedersachsens stellvertretender Regierungssprecher Michael Jürdens gab zu bedenken, dass das „Gutschein-System ja nicht abgeschafft wurde, weil es so gut funktioniert hat“. Aus der Hamburger Senatskanzlei hieß es, Taschengeld sei „nach unserer Einschätzung kein Pull-Faktor“, der Flüchtlinge nach Deutschland ziehe. Man sehe de Maizières Initiative daher skeptisch. In Hamburg regiert die SPD, in Niedersachsen eine rot-grüne Koalition.

"Neiddebatte fehl am Platz" 

Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft  und ihr brandenburgischer Kollege Dietmar Woidke, alle drei Sozialdemkraten, plädierten stattdessen für eine weitere deutliche Beschleunigung der Asylverfahren.  Kraft sagte, mit der Debatte um Taschengeld und Sachleistungen werde „von der zentralen Herausforderung abgelenkt. Das eigentliche Problem, da sind sich alle Fachleute einig, ist die Dauer der Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das braucht mehr Entscheider und zwar schnell. Wenn wir 270.000 unerledigte Asylanträge haben und wir damit rechnen, dass in diesem Jahr 800.000 Flüchtlinge kommen, dann sieht man die Dimension. Der Berg muss abgebaut werden.“

Woidke  sagte, wenn das Ziel beschleunigter Verfahren erreicht sei, „erübrigt sich die Frage nach Sachleistungen an Stelle von Geldleistungen“. Es sei fehl am Platz, „zur  Abschreckung eine Neiddebatte anzufangen, welcher Flüchtling wie viel bekommen soll“. Im übrigen habe das Asylbewerberleistungsgesetz „eine klare Rechtslage geschaffen“. Das seit 1993 gültige Gesetz, das ursprünglich den Vorrang „unbarer“ Versorgung vorsah, wurde 1997 reformiert und lässt seither die Länder  entscheiden, ob sie Geld oder Lebensmittel ausgeben. Inzwischen gilt im AsylbLG der Vorrang von Geld- vor Sachleistungen. Zudem setzten mehrere höchstrichterliche Urteile der Kürzung von Hilfen für  Asylbewerber und der Umstellung auf Sachleistungen Grenzen.

Ramelow: Reine Scheindebatte

Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der einzige Linke-Politiker in diesem Amt, lehnt die Überlegungen von de Maizière klar ab. „Die Sachleistungsdebatte ist eine reine Scheindebatte“, sagte er.

„Wenn die Menschen aus den Kriegsgebieten dieser Erde flüchten, fragen sie doch nicht, ob es in Deutschland Taschengeld gibt. Der Bund soll seine Hausaufgaben machen. Mehr Personal für die Bearbeitung von Asylverfahren, eine bessere Abgrenzung der Systeme Asyl und Zuwanderung, das würde viel helfen. Flüchtlingspolitik sollte keine Parteipolitik sein.“

Saarland: Zumindest teilweise weg vom Geld

Auch Bayerns Sozialministerium verwies auf die Grenzen, die das Asylbewerberleistungsgesetz gezogen habe, betonte aber, dass überall da „wo das Gesetz Ausnahmen für Sachleistungen zulässt, wie beispielsweise bei der Essensversorgung und der Versorgung mit Kleidung in den Erstaufnahmeeinrichtungen“, der  Freistaat sie „konsequent“ nutze. Bayern setze sich „vehement dafür ein, die Anreize für den Asylmissbrauch zu reduzieren“.

Besonders deutlich befürworten die Sachsen und das Saarland, beide CDU-regiert, eine Umstellung auf Sachleistungen. Die Staatskanzlei des Saarlandes verwies darauf,  dass Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer „sich bereits mehrmals dahingehend geäußert hat, insbesondere bei Asylbewerbern vom westlichen Balkan eine konsequente Linie zu fahren. Dazu gehört auch zu prüfen, ob und inwieweit  die Möglichkeit besteht, verstärkt von Geldleistungen wie Taschengeld zumindest teilweise auf Sachleistungen umzustellen.“

Sachsens Ministerpräsident: Maßstäbe richtig justieren

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) erklärte: „Das Taschengeld darf keine falschen Anreize setzen. Deshalb ist eine Diskussion dazu geeignet, hier die Maßstäbe richtig zu justieren.“ Sachsen ist aktuell Schwerpunkt von Demonstrationen gegen Flüchtlinge und Überfälle auf ihre Unterkünfte. In der Nacht zum Samstag erst randalierten Rechtsextreme in Heidenau in Sachsen und versuchten mit Steinwürfen und Böllern zu verhindern, dass Asylsuchende dort in einen früheren Baumarkt einziehen konnten.

Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt nahmen zur Anfrage des Tagesspiegels nicht Stellung. Die Regierung in Magdeburg verwies auf die anstehenden Beratungen zum Thema in der Ministerpräsidentenkonferenz, der Schweriner Regierungssprecher Andreas Timm teilte mit, dazu gebe es „in der Landesregierung keine abgestimmte Position“. In beiden Ländern regieren schwarz-rote Koalitionen. Die Berliner Senatskanzlei verwies darauf, dass die Leistungen  für Asylbewerber im Lichte eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2012 zu sehen sind, das das seit 1993 unverändert gebliebene Leistungsniveau für Asylbewerber für verfassungswidrig erklärt.

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