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Getrauert wird auch am Fuße des Wawel in Krakau – aber eine Beisetzung des Präsidenten dort lehnen viele Polen ab. Foto: Reuters

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Lärm um die Ruhe: Polen streitet um Kaczynski-Grab im Nationalheiligtum

Die Frage, ob Lew Kaczynski auf dem Krakauer Wawel-Hügel begraben werden soll, birgt Sprengstoff. Über das Grab entscheidet am Ende allerdings die Kirche, und deren Vertreter wollen den frommen Katholiken auf dem Wawel zur letzten Ruhe betten.

Zweihundert Meter in einer Stunde. Marek Stenska hat die Strecke über die GPS-Ortung in seinem Handy genau vermessen. Mit dieser Geschwindigkeit bewegt er sich in der Schlange, die sich vor dem Sarg Lech Kaczynskis gebildet hat. Der Student rechnet damit, noch drei Stunden anzustehen und dann sein Ziel erreicht zu haben: den Präsidentenpalast in Warschau, wo der verunglückte polnischen Staatschef und seine Frau Maria aufgebahrt sind. „Ich bin kein Fan von Kaczynski“, sagt Marek, aber der Absturz in Smolensk mit 96 Toten sei eine nationale Tragödie.

An der Jacke des jungen Mannes prangt ein kleiner, selbst gebastelter Sticker. „Wawel“ steht darauf, doch das Wort ist mit einem dicken roten Balken durchgestrichen. Seiner Meinung nach hat Kaczynski es nicht verdient, am Sonntag in der Kathedrale in Krakau beigesetzt zu werden. „Dort liegen die Helden Polens“, sagt er. Aus diesem Grund ist Marek Mitglied einer Gruppe auf dem Internetportal Facebook, die sich gegen die Beisetzung Kaczynskis in der Wawel-Kathedrale in Krakau formiert hat. Über 40 000 Personen haben sich dort bereits angemeldet.

Noch nie hatte in Polen eine Gruppe im Internet einen so ungeheuren Zulauf, denn die letzte Ruhestätte Kaczynskis ist ein Thema, das Sprengstoff birgt. Der oscarprämierte polnische Filmregisseur Andrzej Wajda warnte in einem offenen Brief, dieser Beschluss werde „die Nation entzweien wie keine andere Entscheidung seit 1989“.

Krakau war bis zum Ende des 16. Jahrhunderts Sitz der polnischen Könige. Der im 14. Jahrhundert erbaute Dom auf dem dortigen Wawel-Hügel war Krönungs- und Grabstätte dieser Könige. Dort liegen auch viele Männer und Frauen, die Großes für das Land geleistet haben, etwa der Nationaldichter Adam Mickiewicz. Heute gehört der Wawel als eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Polens zum Unesco-Weltkulturerbe. Er sei das „historische Herz“ der Nation, sagt die Philosophin Magdalena Sroda. Angesichts dieser gewaltigen Dimension haben die meisten Polen große Zweifel, ob Lech Kaczynskis letzte Ruhestätte tatsächlich in Krakau sein muss, denn zu Lebzeiten galt er eher als kleingeistiger Blockierer und hatte den Spitznamen „Vetopräsident“.

Jaroslaw Kaczynski, dem Zwillingsbruder des Präsidenten, erscheint das geschichtsträchtige Grab allerdings angemessen. Die beiden sendungsbewussten Politiker haben immer angedeutet, dass sie Historisches für Polen geleistet hätten – nämlich die Reinigung des Landes von den letzten Kommunisten. Mit missionarischem Eifer wurden die Eliten während der knapp zwei Jahre währenden Zeit als Regierungschef von Jaroslaw Kaczynski nach Verstrickungen mit dem kommunistischen Regime durchleuchtet – und wenn nötig gnadenlos entfernt. Vertreter der nationalkonservativen Kreise vertreten die Ansicht, dass die große historische Tragweite dieser Politik erst in einigen Jahren erkannt werde.

Über das Grab entscheidet am Ende allerdings die Kirche, und deren Vertreter wollen den frommen Katholiken Lech Kaczynski auf dem Wawel zur letzten Ruhe betten. Eine Facebook-Gruppe hat inzwischen einen ironischen und wenig Erfolg versprechenden Alternativvorschlag in Spiel gebracht. Ihr Slogan: „Ja für ein Grab Kaczynskis in der Cheopspyramide!“

Knut Krohn[Warschau]

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