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Politik: Land in Trance

In Polen steht das öffentliche Leben still – aber manchen geht die Verehrung des Papstes auch zu weit

Die Beerdigung des populärsten Landessohnes erleben die Polen vor den Fernsehschirmen. Im ganzen Land waren die Straßen der Innenstädte wie leer gefegt, als am Freitagvormittag die Übertragung der Trauermesse aus dem fernen Rom begann. In Krakau zogen wieder mehrere hunderttausend Menschen auf die Blonie-Wiesen, um nach einer Gedenkmesse auf Großleinwänden das Geschehen auf dem Petersplatz zu verfolgen. „Wir wollen, dass sich unsere Kinder an diesen Tag erinnern, dass sie später einmal selbst ihren Kindern vom Papst erzählen können,“ sagt eine in Schwarz gekleidete Frau.

Seit die Botschaft vom Tod ihres Papstes die Polen traf, scheint das Land in einen kollektiven Trancezustand versunken. Millionen pilgern in diesen Tagen zu Gedenkmessen und in die Kirchen, um im stillen Gebet des Verstorbenen zu gedenken oder sich in die ausgelegten Kondolenzbücher einzutragen. Nicht nur an den einstigen Wirkungsstätten von Karol Wojtyla in und um Krakau flackert allabendlich ein Kerzenmeer. Ob in Bialystok oder Breslau, in Lodz oder Lublin: Vor allem die Straßen und Plätze, auf denen der Papst einst eine Messe zelebrierte, sind zu lokalen Pilgerorten geworden.

Politiker sagten in dieser Woche ihre Termine, Musiker ihre Konzerte ab. Alle Unterhaltungssendungen sind seit dem Tod des Papstes aus den Programmen der nationalen TV-Sender verbannt, ebenso wie Werbung oder Sportübertragungen. Ununterbrochen flimmern stattdessen auf allen Kanälen die Bilder von den Stationen des langjährigen Pontifikats über die Schirme, lassen Prominente, Theologen oder Kirchgänger ihre Begegnungen mit Johannes Paul II. Revue passieren. Genau eine Woche nach seinem Tod sollen am Samstag um 21 Uhr 37 im ganzen Land die Lichter erlöschen.

Doch allmählich regt sich auch Widerstand gegen die grenzenlose Verehrung. Der Papst sei sicherlich ein guter Mensch gewesen, doch „das Land verliert den Verstand“, kommentiert eine Hausfrau die Anteilnahme in Polen. Sie erinnere die „Verherrlichung“ des Papstes an den Personenkult der Stalinzeit: „Selbst Kinder lässt man im Fernsehen sagen, dass der Papst für sie genauso wichtig ist wie der eigene Vater.“ Doch solche Töne sind im katholischen Polen die Ausnahme – und werden allenfalls hinter vorgehaltener Hand geäußert. Ungewohnt geeint scheint das Land im Gedenken an den Mann, der schon bei seinen neun Pilgerreisen nach Polen seine Landsleute stets in eine euphorische Stimmung zu versetzen verstand.

Endlich werde ihre streitsüchtige Nation wieder einmal durch etwas verbunden, begrüßt die Übersetzerin Elzbieta Huebner „die Zeit der Stille“. Ob der Bauernpopulist Andrzej Lepper, der Sozialdemokrat Marek Borowski oder Rechtsausleger Jaroslaw Kaczynski: Friedliebend wie nie zuvor fassten sich die Fraktionschefs aller Parteien im staatlichen Fernsehen am Vorabend der Beerdigung demonstrativ an den Händen. Selbst Polens gefürchtete Fußball-Hooligans haben jahrelang gehegte Animositäten begraben. Im ganzen Land erklärten die Fans ihre Feindseligkeiten für beendet – bevor sie mit ihren Schals und Fankutten gemeinsam in die Trauermessen zogen.

Nur der Papst sei im Stande gewesen, die größten Feinde zu versöhnen, erinnert ein Fan daran, dass Johannes Paul II. selbst seinem Attentäter vergeben habe. Ob der Fanpakt in Polen halten wird, vermag indes auch er nicht zu sagen: „Der Papst war heilig, wir sind es nicht. Aber wir wollen uns bemühen, seinem Beispiel zu folgen.“

Thomas Roser[Warschau]

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