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Politik: Land unter – den Möglichkeiten

DEUTSCHLANDS KRISE

Von Bernd Ulrich

Manche behaupten, das Wetter sei gar nicht schlecht, sondern passend. Unablässig regnet es auf ein Land, das Mühe hat, die Hiobsbotschaften überhaupt noch zu sortieren. Gerade hatte man sich daran gewöhnt, dass einem die Aktien im Alter nicht mehr helfen können, da ist zu lesen, dass die Lebensversicherungen spürbar schmaler ausfallen werden, weil die Versicherungen an der Börse Pech hatten. Und so reiht sich das Thema private Alterssicherung ein in einen grauen Reigen von Negativmeldungen: von den Arbeitslosen über das geringe Wachstum bis zum Haushaltsdefizit, dazu die Insolvenzen, die Börsen, die Telekom, der Osten, eigentlich alles. Außerdem fängt am nächsten Montag in der Stadt, von der aus das Land regiert werden soll, die Schule wieder an. Schule, Schule – da war doch was? Ach ja: Pisa.

Und im Innersten wissen wir natürlich, dass auch der Regen, der wie zum Hohn auf uns prasselt, gewissermaßen ein politischer Regen ist, einer, an dem wir Umweltsünder selbst schuld sind. Sagen wir so: Wenn Deutschland kein Land wäre, sondern ein Mensch, dann würde dieser Deutschland zurzeit kaum aus dem Bett kommen, der Rasierpinsel wöge zentnerschwer und der Rand des Duschbeckens würde ihm vorkommen wie die Eigernordwand im Winter.

In einer solchen Lage wäre es natürlich schön, wenn die Politik Wege weisen könnte. Was sie offensichtlich nicht so recht kann. Zumindest erleichternd wäre es, wenn man sagen könnte, die Politik ist schuld, womöglich die Regierung. Dann würde man Rot-Grün in sechs Wochen abwählen, ein Ruck ginge durchs Land und alles wäre wieder so wie immer, nämlich gut. Doch ahnen wir, dass die rot-grüne Regierung nicht der Grund für die miese Lage ist, sondern bloß ihr Ausdruck. Edmund Stoiber? Seit Monaten versuchen die Deutschen ihn zu mögen, ihm zu vertrauen, aber es klappt einfach nicht. Guido Westerwelle? Da kann man ja gleich an die Börse gehen. Und Gregor Gysi? Genau.

Politisch bewegt sich das Land auf einen Wechsel ohne Wechselstimmung zu, auf einen weniger als halb gewollten Sieg von Stoiber. Und eine Niederlage von Schröder, von der man nachher gar nicht wird sagen können, warum; eine also, aus der sich so recht nichts lernen ließe. Aber wer weiß, vielleicht kommt es auch anders. Bei diesem miesepetrigen Wogen der Stimmung kann alles passieren, ein Wahlergebnis so rum oder so rum, gewissermaßen aus Versehen.

Doch warum schaut man überhaupt so auf die Politik? Nur weil dieses Staatstheater immer geöffnet hat? Alle anderen gehen einfach auf Tauchstation: Die Intellektuellen, die sich am liebsten zu Wort melden, wenn Krieg oder mal wieder was zum Nationalsozialismus zu verkünden ist. Oder die Generation Golf, die noch vor drei Jahren genau wusste, wo es modisch langgeht. Auch sie, die Dreißigjährigen, sagen uns nicht, was heute angesagt ist. Sie vertanzen ihren Realitätsschock in Clubs und ertränken ihren Frust in Cocktails, die sie sich nicht mehr leisten können. Ja, und die Wirtschaft, die jüngst noch das große Sagen haben wollte: Sie sagt gar nichts mehr, die Wirtschaft.

Nur die Medien, die sagen immer was, weil ja jeden Tag eine Zeitung erscheint. Und weil man im Fernsehen auch dann keine Testbilder mehr senden darf, wenn es nichts zu senden gibt. Uns Journalisten ist allerdings etwas Überraschendes passiert: Dies ist die erste Wirtschaftskrise, über die wir nicht nur berichten, von der wir vielmehr sogar betroffen sind. In der Sache macht es natürlich keinen Unterschied, ob arbeitslose Stahlkocher oder arbeitslose Journalisten, ob Kellner oder Redakteure Angst haben. Nur auf die Stimmung wirkt es sich nachteilig aus, wenn die Stimmungsmacher schlecht drauf sind.

Ist diese Krise wenigstens zu was nutze? Ja, doch. Nicht die in Deutschland so beliebte Katastrophenheimeligkeit herrscht, sondern Ernüchterung. Alle Angeber, Mehrscheiner und Alleswisser der vergangenen Jahre hatten Gelegenheit, sich gründlich zu blamieren. Auch der Verweis auf die jeweils anderen erübrigt sich, wenn alle ratlos sind. Freies Feld also für die klug-bescheidenen. Und offene Ohren für jeden, der wirklich etwas zu sagen hat. Und sei es ein Politiker.

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