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Politik: Land unter

Die CDU bemüht sich, Ruhe in die Koalition zu bringen – doch die Opposition greift nun den Bürgermeister an

HAMBURG NACH DER ENTLASSUNG VON SCHILL

Zu den eher komischen Erscheinungen der Hamburger Rathaus-Affäre gehören Auftritte wie der des Sprechers der Innenbehörde, Thomas Model. Der war bisher als hoch loyaler Interpret seines Dienstherren Ronald Schill bekannt. Doch plötzlich hört man andere Töne: Viele in seiner Behörde „schämen sich für den Senator“, lässt Model wissen, Schills Vorgehen sei „unter der Gürtellinie gewesen“. Der Wind hat sich gedreht an der Waterkant. Und selten sind die Innenansichten der Macht so grell ausgeleuchtet worden wie derzeit in der Hansestadt.

Der Schlamm spritzt noch über Deiche und Flutschutzmauern, aber am Tag eins nach Schills Entlassung aus dem Senat bemühen sich die Hamburger Regierungsparteien um Schadensbegrenzung: Augen zu und durch. Die CDU versucht, aus der Not eine Tugend zu machen und preist die Führungsstärke ihres Bürgermeisters Ole von Beust. Die schwächelnde FDP bemüht sich um Abstand zu der schmuddeligen Angelegenheit. Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive stellt derweil, äußerlich ungerührt, ihre Galionsfigur in die Rumpelkammer und hält Ausschau nach einem neuen Innensenator. Weil für dieses Amt zwischenzeitlich auch der derzeitige Fraktionschef Norbert Frühauf gehandelt wurde, brachte sich Schill prompt als dessen Nachfolger ins Gespräch. Totgesagte leben länger, schmetterte der Ex-Senator in fast jedes Mikrophon. Aber gestern musste er erkennen, dass sein Karriereknick wohl von Dauer ist: „Ich will als Abgeordneter tätig werden und habe darüber hinaus keine Ambitionen“, erklärte Schill nach seinen Sondierungen und einem Veto des Bürgermeisters. Aber es sind auch Stimmen aus seiner Fraktion zu hören, der geschasste Senator könne ja als Mitglied im Fraktionsvorstand mitwirken. Einen Rauswurf aus seiner Partei braucht Schill jedenfalls nicht zu fürchten: „Es gibt keine Schill-Partei ohne Schill, aber es gibt eine Schill-Partei ohne Senator Schill“, so Fraktionschef Frühauf. Offenbar soll der labile Polit-Rabauke aus dem Rathausbetrieb herausgehalten werden – aber möglicherweise weiter Stimmen fangen im politikverdrossenen Publikum.

Olaf Scholz jedenfalls, der Generalsekretär und Landeschef der SPD, warnt bereits in Anspielung auf den Rechtspopulisten Jörg Haider vor „österreichischen Verhältnissen“ an der Elbe und fordert Neuwahlen. Schon jetzt ist klar, dass nun Ole von Beust ins Zentrum der Kritik gerückt wird: „Wenn der Bürgermeister seinem Innensenator Charakterschwäche vorwirft, fragt man sich, warum er für seine Diagnose zwei Jahre brauchte", sagt Scholz. Ex-Bürgermeister Ortwin Runde hält seinem Nachfolger vor, er wolle „die Macht um jeden Preis erhalten“. Und Anja Hajduk, Chefin der Hamburger Grünen, besteht darauf, der Bürgermeister müsse zwar nicht zu seinem Privatleben Stellung nehmen, wohl aber zu dem Vorwurf, „dass er einem Mann, zu dem er eine Beziehung pflegt, einen Senatorenposten gegeben hat“.

Wenn Hamburgs Bürgerschaft am 3. September zu ihrer nächsten Sitzung zusammentritt, wird sich an vielen Stellen der Zustand der angezählten Koalition ablesen lassen: Am Rednerpult und bei der Abstimmung müssen die Regierungsparteien die Neuwahlanträge von SPD und Grünen parieren. Schill, der Wahlsieger von 2001, wird auf der Abgeordnetenbank Platz nehmen und schweigen – oder auch nicht. Auf der Senatsbank treffen sich von Beust und Justizsenator Roger Kusch, denen Schill eine karrierefördernde Liebesbeziehung nachgesagt hat. Und die Presseloge wird bis zum letzten Platz gefüllt sein: Ein Ende dieser Seifenoper am Senatsgehege ist noch nicht in Sicht.

Günter Beling[Hamburg]

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