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Beide Theologen, beide Ur-Thüringer: Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) und ihr Vize Christoph Matschie (SPD).

© dpa

Landtagswahl am 14. September: Schwarz-Rot in Thüringen - eine Bilanz

Pleiten, Pech und NSU: Die Bilanz von Schwarz-Rot in Thüringen ist durchwachsen – am Ende der Legislaturperiode sind die Partner einander überdrüssig.

Gestritten wurde bei Schwarz-Rot in Thüringen viel. Nachdem CDU und SPD im Herbst 2009 die gemeinsame Landesregierung unter Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) gebildet hatten, gab der christdemokratische Fraktionschef Mike Mohring zunächst eine Art Oppositionsführer in den eigenen Reihen. Er verkörperte den Frust der alten Garde um Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus. Zehn Jahre lang hatte die CDU allein regiert. Nun musste sie, abgestürzt auf 31 Prozent, die Macht mit den Sozialdemokraten teilen.
Diese Grundspannung lag über der Anfangszeit. Ebenso charakteristisch war der Schwung der Sozialdemokraten, ihre Vorhaben umzusetzen. Etwa die neue Gemeinschaftsschule, in der Kinder in einem Klassenverband bis zur achten Klasse lernen können. Oder die Neueinstellung von 2500 Erzieherinnen in den Thüringer Kindergärten. Zudem wurden die Stichwahlen für Bürgermeister und Landräte wieder eingeführt, die von der CDU-Alleinregierung abgeschafft worden waren.

Machnig kam, sah und stolperte über eine Affäre

Ein Charakterkopf der Koalition war der umtriebige Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD), ein Import aus der Bundespolitik. Auf CDU-Seite gelang es Innenminister Peter Michael Huber, die Belastungen der Bürger durch den kommunalen Straßenausbau auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Beide Politiker sind nicht mehr in Erfurt. Rechtsprofessor Huber ging nach nur einem Jahr als Richter ans Bundesverfassungsgericht. Machnig blieb entgegen aller Unkenrufe vier Jahre, ehe er über die Affäre um sein doppeltes Einkommen ins Straucheln geriet. Er hatte rund 150.000 Euro Ruhegeld als Ex-Staatssekretär der Bundesregierung kassiert, ohne dass die Summe mit seinem Ministergehalt in Thüringen verrechnet worden wäre.

Matthias Machnig (SPD).
Matthias Machnig (SPD).

© Mike Wolff

In seiner für Thüringer Verhältnisse zu selbstbewussten und zu lauten Art wurde er schnell zur Zielscheibe von Koalitionspartner CDU. Er legte sich aber genauso mit IHK-Funktionären an und brummte der Wirtschaft neue Förderregeln auf. So wurde die Vergabe von Zuschüssen daran geknüpft, dass ein Unternehmen möglichst wenige Leiharbeiter beschäftigt. Machnig dachte immer ein bisschen größer. So schaltete er TV-Werbespots über Thüringen zur besten Sendezeit und nannte das Land bei seinen Auslandsreisen einen „kleinen Wirtschaftstiger“. Gar nicht mal zu Unrecht: Thüringen hat mit 7,5 Prozent die geringste Arbeitslosenquote in Ostdeutschland und inzwischen selbst Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen hinter sich gelassen. Die Zahl der Industriebetriebe liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Nirgendwo im Osten, so jüngst eine Studie, gibt es weniger Kaufkraftarmut als in Thüringen. Ursache sind die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten. Dadurch relativiert sich der durchschnittliche Bruttoverdienst von 2290 Euro, mit dem Thüringen im Bundesvergleich nur auf dem vorletzten Platz liegt.

Thüringen - ein kleiner "Wirtschaftstiger"

Die gute Wirtschaftslage erreichte auch die Geldbeutel der Beschäftigten: Seit 2009 steigen ihre Löhne nach Angaben des jetzigen Wirtschaftsministers Uwe Höhn (SPD) um 12,1 Prozent. Das sei der höchste Anstieg aller Bundesländer.
Höhn ritt als SPD-Fraktionschef eine scharfe Attacke gegen den heutigen Innenminister Jörg Geibert (CDU). Nach dem Auffliegen der aus Jena stammenden mutmaßlichen Terrorbande NSU zeigte Geibert zunächst nur verhaltenen Aufklärungswillen. Höhn bescheinigte ihm öffentlich, „offenkundig mit der Aufgabe überfordert“ zu sein. Immerhin: Geibert selbst, aber vor allem der NSU-Ausschuss des Landtags lösten das Versprechen einer schonungslosen Aufklärung inzwischen ein. Dem kürzlich vorlegten Abschlussbericht wurde wegen seiner scharfen Abrechnung mit den Thüringer Sicherheitsbehörden bundesweit Respekt gezollt.

Unter Schwarz-Rot hat Thüringen eine neue Polizeistruktur bekommen, deren erhoffte Folgen („mehr Polizisten auf die Straße“) sich erst noch zeigen müssen. Die Verabredung des Koalitionsvertrags, die überalterte Lehrerschaft durch 2500 neue Lehrer zu verjüngen, wurde nicht erfüllt. Bisher gab es nur 1553 Neueinstellungen. Ein Erfolg war das Ende der Neuverschuldung. Finanzminister Wolfgang Voß (CDU) gelang es sogar, erstmals einen kleinen Teil der rund 16 Milliarden Euro Landesschulden zu tilgen. Um den Umbau der Landesverwaltung und die Neuordnung der kleinteiligen Gemeinde- und Landkreisstruktur zankte Schwarz-Rot jahrelang, ohne jedoch voranzukommen. Die Verwaltung, so kritisiert Oppositionsführer Bodo Ramelow (Linke), sei viel zu groß. Durch Abwanderung und Geburtendefizit hat Thüringen seit 1990 rund 450000 Einwohner verloren. 2013 jedoch wanderten erstmals mehr Menschen zu als weggingen. Auch das ist ein Beleg, dass nicht alles schlecht gewesen sein kann unter Schwarz-Rot.

In der Endphase allerdings bestimmten Affären das öffentliche Bild

In der Endphase allerdings bestimmten Affären das öffentliche Bild der Koalition. Der Überdruss aneinander wuchs, ebenso die gegenseitige Blockade. Es war, als habe die schon fast als Landesmutter geltende Lieberknecht plötzlich ihr politisches Gespür verloren. Als ihr Sprecher Peter Zimmermann im Sommer 2013 in die Wirtschaft wechselte, versetzte sie ihn noch flugs in den Ruhestand und verschaffte ihm damit üppige Versorgungsansprüche. Zimmermann ist nicht der einzige derart Begünstigte. Aber der damals erst 37-Jährige wurde zum Sinnbild für die Selbstbedienungsmentalität der Politik.

Die Ermittlungen wegen Untreue zermürbten Lieberknecht. Zudem sackten die CDU-Umfragewerte bedrohlich in Richtung des 2009er Wahlergebnisses. Als die Regierungschefin sich mit Jürgen Gnauck einen neuen Staatskanzleichef holte, kam das nächste Desaster. Der CDU-Mann war zehn Jahre zuvor aus derselben Position ausgeschieden und später Manager bei einem Energiekonzern. Trotzdem bezog er vom Freistaat jahrelang die sogenannte Beihilfe, einen Zuschuss für Beamte zu den Arztkosten. Als das gestoppt wurde, klagte er gegen Thüringen. Die Klage war noch anhängig, als er in den Staatsdienst zurückkehrte. Neue Ermittlungen folgten ebenso weitere, auch unberechtigte Vorwürfe. Opposition und Medien hatten sich auf Gnauck eingeschossen. Anfang Juli warf ihn Lieberknecht raus. Er wäre eine zu große Belastung im Wahlkampf gewesen. Die meisten Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellt.

Lieberknechts Fazit: "Nicht immer einfach, aber erfolgreich"

Lieberknechts Fazit fällt am Ende versöhnlich aus: „Die fünf gemeinsamen Jahre waren nicht immer einfach, aber am Ende erfolgreich“, sagt sie über die Koalition mit der SPD. Ähnlich äußern sich sozialdemokratische Granden. Doch während die Regierungschefin für eine Fortsetzung von Schwarz-Rot nach der Landtagswahl am 14. September wirbt, hält sich die SPD offen, ob sie nicht ein neues Bündnis mit der Linkspartei eingeht.

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