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Politik: Langsam werden die Grünen zu langsam (Kommentar)

Der Fortschritt, schrieb vor Jahren Günter Grass, sei eine Schnecke. Der Autor galt seinen linken Freunden damals als rechts, weil er um Verständnis für das aufhaltsame Reformtempo der SPD warb.

Der Fortschritt, schrieb vor Jahren Günter Grass, sei eine Schnecke. Der Autor galt seinen linken Freunden damals als rechts, weil er um Verständnis für das aufhaltsame Reformtempo der SPD warb. Die Grünen gab es noch nicht. Heute würde das klebrige Schleichtier gut zu ihnen passen. Wer der einstigen Alternativpartei jetzt Schneckentempo attestiert, tut dies allerdings nicht in werbender Absicht, sondern um Beschleunigung anzumahnen. Allzu zögerlich, heißt es, nähmen die Grünen ihre neue Rolle als Regierungspartei im Bund an; allzu nostalgisch hingen sie an überkommenen Organisationsstrukturen bürgerbewegter Gründungstage. Da ist was dran.

Aus vielerlei Gründen ist die Parteispitze des kleineren Regierungspartners eine Laienspielschar. Nicht zuletzt liegt dies am Verbot für Inhaber parlamentarischer Mandate, eine Spitzenfunktion in der Partei zu übernehmen. Wie der Länderrat sich am vergangenen Wochenende wieder einen Zentimeter weiter an die Abschaffung dieses Prinzips herangeschneckt hat, ist in der Tat ein Trauerspiel. Doch was wäre nach den nächsten Zentimetern gewonnen - wenn etwa begabte Landespolitiker wie Renate Künast aus Berlin oder der Schwabe Fritz Kuhn für die Bundesgrünen sprechen dürften? Käme irgendeine Partei (den Ost-Sonderfall PDS ausgenommen) auf die Idee, einen Landtagsabgeordneten zum Vorsitzenden zu küren? Käme sie auf den Gedanken, sich gleich zwei gleichberechtigte davon zu halten? Nein. Es käme auch keine Partei darauf, ihre Bundeszentrale materiell absichtlich schwach auszustatten, damit auch der begabteste Spitzenfunktionär nur ja keinen professionellen Apparat sein Eigen nennt. Nein, daran ist nichts zu rütteln: Die Parteistruktur der Grünen ist überholt. Ihre Versuche, dies zu ändern, sind halbherzig, demzufolge unzulänglich.

Nur - und damit wären wir beim alten, geduldigen Grass -: Gibt es dazu eine Alternative? Die Grünen sind, wie sie sind: eine Partei antiautoritären, im Zweifel linken Ursprungs. Dafür sind sie auf dem Weg der Realpolitisierung in zwei Jahrzehnten ziemlich schnell voran gekommen. Die SPD hat zur Abschüttelung ihrer "fundamentalistischen" Anfänge weit länger gebraucht. Manche Grünen-Politiker und manche Grünen-Beobachter hätten lieber eine andere Partei. Sozialdemokratisch gesprochen: Ohne Jusos, nur Seeheimer Kreis.

Aber kann es sich eine Partei im einstelligen Prozentbereich leisten, einfach auf Teile ihrer alten Klientel in der Hoffnung auf neue zu verzichten? Leider kann sie sich auch den Streit um den Kurs nicht mehr lange leisten, ohne weitere Anhänger zu verlieren. Die Grünen bewegen sich. Doch. Womöglich können sie nicht schneller. Aber wer im Schneckentempo dem heutigen Verkehrstempo sich aussetzt, lebt gefährlich. Im Zweifel: nicht mehr lange.

Thomas Kröter

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