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Langzeitarbeitslose: Hartz IV steht vor großen Herausforderungen

Es hat die Parteienlandschaft verändert. Und Menschen auf die Straße gebracht. Ein Detail: Das Schonvermögen soll erhöht werden. Karlsruhe aber könnte bald viel mehr infrage stellen.

WAS HAT ES BEWIRKT?

Mit der Parole „Hartz IV muss weg“ hat die Linke es bei den Bundestagswahlen auf ein zweistelliges Ergebnis gebracht. Dafür ist natürlich nicht nur die umstrittene Arbeitsmarktreform verantwortlich, die seit Anfang 2005 in Kraft ist. Doch dass ausgerechnet eine SPD-geführte Bundesregierung die Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe absenkte, hat die SPD Stimmen und Mitglieder gekostet. Aus Protest gründeten Gewerkschafter und Ex-Sozialdemokraten 2004 die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und damit den Vorläufer der Linkspartei in Westdeutschland. Und im Osten mobilisierte die PDS gegen die Hartz-Reform, in vielen Städten wurden wieder Montagsdemonstrationen organisiert. Nun sind beide in der Linkspartei vereint.

Hartz IV steht auch für die Angst der Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg. Wegen der finanziellen Einbußen, die nach einem Jahr Arbeitslosigkeit drohen. Und weil man Erspartes antasten muss. Dass Union und FDP nun das Schonvermögen für die Altersvorsorge ausweiten und selbst genutztes Wohneigentum besser vor dem Zugriff des Staates schützen wollen, hat auch mit dieser Angst zu tun.

WARUM GIBT ES DAS?

Der Arbeitsamt-Skandal um geschönte Vermittlungsstatistiken brachte Anfang 2002 den Stein ins Rollen. Die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder beschloss, die Arbeitsmarktpolitik umzukrempeln und die Behörde neu zu organisieren. Die Blaupause für die Reform lieferte der damalige Volkswagen-Personalvorstand Peter Hartz mit einer Kommission. Im Zuge der Agenda 2010 brachte Rot-Grün vier Gesetzespakete auf den Weg (Hartz I bis IV), die schrittweise in Kraft traten. Erfindungen wie die Ich-AG und die Personal-Service-Agenturen sind mittlerweile wieder abgeschafft. Geblieben ist die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einer Grundsicherung, dem Arbeitslosengeld II, bekannt geworden unter dem Namen Hartz IV. Ziel war es, Menschen in Arbeit zu vermitteln und sie nicht dauerhaft in die Sozialhilfe abzuschieben.

WIE FUNKTIONIERT DAS?

Einen Antrag auf Hartz IV darf jeder 15- bis 65-jährige stellen, der erwerbsfähig und hilfebedürftig ist. Als erwerbsfähig gilt jemand, der in der Lage ist, mindestens drei Stunden am Tag eine Arbeit auszuüben. Und hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln, vor allem durch eine Arbeit, bestreiten kann. Im September bekamen mehr als 6,7 Millionen Menschen Leistungen aus Hartz IV, darunter etwa 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Von den Erwachsenen Hartz-IV-Beziehern ist nur etwa jeder zweite aktuell auf Jobsuche. Etwa 37 Prozent der Betroffenen stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, etwa weil sie ein kleines Kind betreuen. Rund jeder Zehnte arbeitet zwar, kann damit aber seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten („Aufstocker“).

Ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger erhält derzeit eine monatliche Pauschale von 359 Euro im Monat. Dabei werden gut vier Euro am Tag für Nahrung veranschlagt, gut ein Euro für Bekleidung und Schuhe. Der Staat übernimmt außerdem die Kosten für Miete und Heizung, sofern sie ein bestimmtes Maß nicht übersteigen. Sozialverbände klagen, das Geld reiche nicht aus, um vor Armut zu schützen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hält einen Regelsatz von 440 Euro für erforderlich.

WIE KOMMT MAN DA WIEDER RAUS?

Der überwiegende Teil der Betroffenen hat es bislang nicht geschafft, dauerhaft aus Hartz IV rauszukommen. Drei Jahre nach Start der Reform, das zeigt eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), waren 45 Prozent der Personen immer noch in der Grundsicherung. Und 40 Prozent derjenigen, die im Untersuchungszeitraum eine Beschäftigung fanden, waren spätestens nach einem Jahr wieder auf Hartz IV angewiesen. Besonders schwer hatten es Alleinerziehende.

Doch immerhin haben sich die Vermittlungsergebnisse verbessert. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) gelingt es inzwischen mehr Menschen den Bezug des Arbeitslosengelds II zu beenden, die monatliche Abgangsrate stieg von 3,4 Prozent im Jahr 2005 auf 4,5 Prozent Ende 2008. Dabei müssen die Betroffenen aber auch Kompromisse eingehen, denn grundsätzlich gilt: Arbeitslose müssen eine zumutbare Arbeit annehmen, sonst drohen ihnen Leistungskürzungen. Zumutbar kann ein Job auch dann sein, wenn er eine längere Anfahrt erfordert, nicht der eigenen Qualifikation entspricht oder kein Tariflohn bezahlt wird. „Fördern und Fordern“, heißt das Prinzip, das mit Hartz IV verankert wurde. Kleine Erfolgsgeschichten kann Hartz IV entsprechend auch erzählen. So ging die Zahl der Langzeitarbeitslosen zwischen 2005 und Ende 2008 um 18 Prozent zurück, was viele nicht nur auf die konjunkturelle Entwicklung in diesem Zeitraum zurückführen, sondern auch auf die Hartz-Reformen.

VOR WELCHEN HERAUSFORDERUNGEN STEHT HARTZ IV?

Man kann es als deutliches Signal an die neue Regierung verstehen: Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich am Dienstag mit den Hartz-IV-Sätzen für Kinder, mit einem Urteil ist Anfang 2010 zu rechnen. Bislang wurde der Regelsatz für das Arbeitslosengeld II von Karlsruhe noch nie überprüft. Und auf dem Prüfstand steht gleich zweierlei: die Höhe dieser Sätze und ihre Ermittlung. Bislang ist die Berechnung der Kinder- regelsätze beim Arbeitslosengeld II lediglich eine Art Verwaltungsakt. Den unter Sechsjährigen stehen pauschal 60 Prozent der Erwachsenenleistung zu (215 Euro), den Sechs- bis 13-Jährigen 70 Prozent (251 Euro), und für die Älteren gibt es 80 Prozent (287 Euro). Diese Herleitung sei nichts anderes als ein „bewusster Blindflug“, ärgert sich der Paritätische Wohlfahrtsverband. Man wolle sich mit dem tatsächlichen Bedarf von Kindern gar nicht auseinandersetzen, weil dies teurer werden würde, sagt Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Kinder seien keine „kleinen Erwachsenen“, sie bräuchten anderes und sogar mehr. Das Hessische Landessozialgericht und das Bundessozialgericht sehen das ähnlich; sie fordern, den Kinderbedarf genauer zu berechnen. Geklagt hatten Hartz-IV-Familien aus Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern.

Man müsse endlich empirisch ermitteln, was Kinder wirklich brauchen, fordert Anne Lenze, Professorin für Soziale Arbeit an der Universität Darmstadt. Schließlich handle es sich beim Existenzminimum um einen „grundrechtssensiblen Bereich“, bei dem der Gesetzgeber entscheiden müsse und sich nicht hinter willkürliche Festlegungen zurückziehen könne, die sich nur am Erwachsenenbedarf orientieren.

Beispiel Kleidung. Bei Kindern sei alle sechs Monate eine Neuausstattung fällig. Erwachsene könnten Jacken und Mäntel jahrelang tragen, Kinder wachsen hingegen schnell heraus und haben einen ganz anderen Verschleiß. Beispiel Nahrung: Eine Studie des Instituts für Kinderernährung der Universität Bonn hat bei Testkäufen im Jahr 2007 herausgefunden, dass die 14- bis 18-Jährigen mit den ihnen rechnerisch zugeteilten 3,42 Euro am Tag nicht ausgewogen ernährt werden können, selbst wenn ihre Eltern nur beim Discounter einkaufen. Die Lebensmittel kosteten dort 4,68 Euro beziehungsweise 7,44 Euro. Hinzu kämen, sagt Lenze, besondere Ausgaben für Dinge wie Lernmittel, Nachhilfeunterricht oder den Besuch von Sportvereinen, die bislang nicht eingerechnet sind. Nach Ansicht von Lenze gehören Kinder überhaupt nicht in das Grundsicherungssystem für Arbeitsuchende mit seinem Prinzip des Förderns und Forderns. „Kinder sollten gefördert werden“, sagt sie. „Aber was will der Staat von ihnen fordern? Für Kinder müsste eine eigene Grundsicherung her.“

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