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Langzeitstudie: Arbeitslose sind die neuen Ausländer

Eine in Berlin vorgestellte Studie zeigt: Die Deutschen sind 2007 weniger fremden- und frauenfeindlich als zuvor, die Beurteilung von Homosexuellen hat sich ebenfalls positiv verändert. Die Verlierer: Arme, Obdachlose und alle anderen, die nicht als "nützlich" wahrgenommen werden.

Bewertung nach Nützlichkeit und Effizienz ist nach Ansicht von Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld die Hauptgefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. In seiner bereits über Jahre angelegten Untersuchung geht es um Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und um alle Formen der Ablehnung gegenüber irgendwie "andersartigen" Bevölkerungsgruppen. In Berlin stellten nun der Bundesbeauftragte für die neuen Länder, Wolfgang Tiefensee, und Heitmeyer den sechsten Teil der Langzeitstudie "Deutsche Zustände“ vor.

Das Ergebnis zeigt: Die Stimmung in der Gesellschaft ist ebenso wie in den Jahren zuvor von Angst und Unsicherheit geprägt. Angst und Unsicherheit wiederum führten zu negativen Folgen für schwache Bevölkerungsgruppen, die zunehmend Feindseligkeit, Abwertung und Diskriminierung ausgesetzt seien. Trotzdem gibt es Grund zur Hoffnung.

Zum ersten Mal seit 2002 zeigt die aktuelle Studie "Gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit“ einen Rückgang bei fremdenfeindlichen Vorurteilen unter den Deutschen. Allerdings sei die Angst vor einem sozialen Abstieg durch die Hartz-IV-Gesetzgebung immer noch weit verbreitet, sagte Heitmeyer, der am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld forscht. Während Islamophobie auf hohen Niveau stagniere, hat sich die Beurteilung von Homosexuellen und Frauen 2007 gebessert. Bei der Abwertung von Obdachlosen ist kein Rückgang erkennbar. Antisemitismus, Rassismus und die Abwertung von Behinderten sind auf ihrem jeweiligen Niveau stabil oder haben sich nur unauffällig verändert.

Nur wer "nützt" ist angesehen

Nach Angaben des Wissenschaftlers gibt es deutliche Parallelen zwischen fremdenfeindlichen Einstellungen und der "Wahrnehmung als Prekariat“. Es mache sich zunehmend ein Denken breit, unter dem neben Ausländern auch Arbeitslose zu leiden hätten. So stünden 56 Prozent der Deutschen Langzeitarbeitslosen feindselig oder abwertend gegenüber, halten sie für faul oder anderweitig ökonomisch minderwertig.

Besonders Ostdeutschland bezeichnete Tiefensee als problematisch. Der Anteil rechter Gewalttaten in der Kriminalitätsstatistik sei hier besonders hoch. Der Grund sei, dass in den neuen Bundesländern die Ängste der Menschen vor einem sozialen Abstieg besonders verbreitet seien. "Daraus ziehen die Rechten ihren Honig“, so der Bundesverkehrsminister.

Tiefensee fordert Zivilcourage

In seiner Rede rief er zu mehr Zivilcourage im Kampf gegen Rechts auf: "Fremdenfeindlichkeit rückt zunehmend in die Mitte der Gesellschaft und wird damit hoffähig.“ Tiefensee forderte die Bürger vor allem zu „mehr Hinsehen“ auf. „Dazu gehört auch, aufzustehen, wenn rechte Täter andere bedrängten. Das geht jeden an.“
 
Gleichzeitig forderte Tiefensee eine schonungslose Aufarbeitung rechter Gewalttaten. „Man darf die Probleme nicht unter den Teppich kehren“, sagte der Minister. Er kritisierte damit indirekt auch die Polizeiarbeit in Sachsen-Anhalt. Dem dortigen Landeskriminalamt (LKA) war vorgeworfen worden, die Kriminalstatistik durch veränderte Zählweise zu schönen. Der Chef des Magdeburger LKA trat daraufhin zurück. "Man erweist sich einen Bärendienst, wenn die Sachverhalte verdreht werden“, sagte Tiefensee. (jvo/nim/dpa)

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