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Laufzeitverlängerung: Milliarden für die Atomkonzerne

Genugtuung bei den Stromversorgern: Nach dem Wahlsieg von Union und FDP ist eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wahrscheinlich. Von Marlies Uken

Die Energieversorger halten sich am Tag nach der Wahl höflich zurück. "Wir kommentieren keine Wahlergebnisse" heißt es bei Vattenfall. Der süddeutsche EnBW-Konzern mag nur sagen: "Wir sind gesprächsbereit." Keiner der großen Stromkonzerne will öffentlich seine Genugtuung über das Wahlergebnis zeigen. Nur das Deutsche Atomforum wagt eindeutigere Worte und begrüßt es ausdrücklich: Jetzt biete sich die Chance "zu einer langfristig tragfähigen Energiepolitik aus einem Guss", teilt es mit. Dazu gehöre "ein breiter Energiemix unter Einschluss der Kernenergie".

Für die Energieversorger geht mit dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb aller Vorrausicht nach eine Traumkoalition in Erfüllung. Sowohl Union als auch FDP haben in ihren Wahlprogrammen den Ausstieg vom Atomausstieg angekündigt. Und das bedeutet für die Versorger vor allem eins: ein unglaublicher Geldsegen. Denn die Kernreaktoren, mit denen sie Strom produzieren, sind bereits abgeschrieben – je länger sie noch laufen, desto höher der daraus resultierende Gewinn.

Auf mindestens 119 Milliarden (falls die Strompreise auf aktuellem Niveau verharren) wenn nicht sogar 233 Milliarden Euro (bei steigenden Strompreisen) schätzt die LBBW in einer Studie die zusätzlichen Einnahmen der Versorger. Bis zur Hälfte der Gewinne könnten realistischerweise an den Staat gehen. Inklusive Steuern kommt die LBBW auf eine Abschöpfung von 51 bis 65 Prozent. "Wir unterstellen eine Laufzeit-Verlängerung von acht bis zehn Jahren", sagt Analyst Bernhard Jeggle, "das erscheint uns angesichts der Brisanz des Themas auch innerhalb der Parteien das wahrscheinlichste Szenario". Er betont, dass es sich bei den Zusatzgewinnen um Bruttozahlen handele. Der tatsächliche Barwert liege bei etwas mehr als einem Drittel.

Besonders der baden-württembergische EnBW-Konzern würde von einer Laufzeitverlängerung profitieren, so Jeggle. Das liegt unter anderem daran, dass EnBW im Gegensatz zu E.on, Vattenfall und RWE seine Gewinne vor allem in Deutschland erwirtschaftet und die Kernenergie-Sparte einen großen Anteil daran hat. An zwei Standorten produziert das Unternehmen zurzeit Atomstrom: in Neckarwestheim und Philippsburg. Grob überschlagen müsste im kommenden Frühjahr der Block 1 in Neckarwestheim vom Netz gehen, im Jahr 2012 wäre Philippsburg 1 an der Reihe. Seit Jahren kämpfen die Karlsruher darum, Strommengen vom jüngeren Block Neckarwestheim 2 auf den älteren Block zu übertragen, um ein Abschalten zu umgehen. SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hatte dies in der Vergangenheit abgelehnt – zurzeit liegt die Entscheidung beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim.

Besonders spannend ist nicht nur, ob eine Laufzeitverlängerung pauschal für alle Meiler gelten wird oder nur für eine Auswahl, sondern auch, wie sich die Energieversorger für die Verlängerung bedanken werden. Das Deutsche Atomforum hatte sich in der Vergangenheit offen für einen "politischen Preis" gezeigt. Wie der aussieht, ist noch völlig unklar. Die Union fordert in ihrem Regierungsprogramm eine "verbindliche Vereinbarung" mit den Stromkonzernen, damit ein Teil der Gewinne in die Erforschung von Energieeffizienz und zur Senkung der Strompreise verwendet wird. "Die Unternehmen müssen deutlich machen, dass sich die längeren Laufzeiten bei den Strompreisen für den Verbraucher bemerkbar machen", sagt Jürgen Pfeiffer, der energiepolitische Koordinator der CDU.

Die FDP will dafür eine "Deutsche Stiftung Energieforschung" gründen, die Speichermöglichkeiten für den stets in seiner Menge schwankenden Ökostrom erforschen soll. Mit wie vielen Atom-Millionen sie ausgestattet sein wird, lässt sie offen. "Wir können noch keine Beträge nennen, aber es ist klar, dass die Versorger einen Teil ihrer Gewinnen sinnvoll einbringen müssen", sagt die FDP-Energiepolitikerin Gudrun Kopp.

Auch wie der Ausstieg vom Ausstieg koordiniert wird, ist unklar. Einige Energieexperten gehen davon aus, dass sich die Verhandlungen mit den Energiekonzernen in die Länge ziehen werden, bis Mitte 2010 ist sogar im Gespräch. Die Koalition muss schließlich das Atomgesetz und die dort festgehaltenen Reststromzeiten ändern. Zudem könnte sich die Einrichtung einer Stiftung als kniffelig herausstellen.

Wenig begeistert zeigt sich, kaum überraschend, die Ökostrom-Branche. Sie verweist auf den Grundsatz-Konflikt von erneuerbaren Energien und Kernkraft. "Die Laufzeitverlängerung steht einem Ausbau der Erneuerbaren prinzipiell im Wege, den Union und FDP laut Parteiprogramm ja auch befürworten", sagt Dietmar Schütz, Präsident des Bundesverbands der Erneuerbaren Energien. "Es muss beim Vorrang der erneuerbaren Energien bleiben."

Die Millionen von den Atomkonzernen scheinen nicht wirklich willkommen: Direkte Gelder von der Atombranche zum Ausbau der erneuerbaren Energien anzunehmen, kann sich Schütz nicht vorstellen. "Das müsste über eine Stiftung laufen." Auf Kürzungen der teilweise lukrativen Einspeisevergütung aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz wird sich seine Branche ebenfalls einstellen müssen. Das hat insbesondere die FDP in ihrem Wahlprogramm angekündigt.

Der Zuschnitt der Ministerien ist ein weiteres großes Thema am Tag nach der Wahl. Dass sich viele Häuser die Energiekompetenz teilen, ist Union und FDP seit Langem ein Dorn im Auge. Das Umweltministerium ist zuständig für erneuerbare Energien, das Wirtschaftsministerium teilweise auch, ebenso aber auch für Gas, Kohle und die Endlagerfrage. Das Bauministerium wiederum kümmert sich um energieeffiziente Wärmedämmung. Im Gespräch ist ein eigenständiges Energieministerium oder eine Bündelung des Themas beim Wirtschaftsministerium.

Auch die ersten Namen für Ministerposten werden schon gehandelt. Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU), eine Vertraute von Bundeskanzlerin Merkel, könnte sich mit ihrer engagierten Landesarbeit für einen Job auf Bundesebene empfohlen haben. Katharina Reiche, energiepolitische Sprecherin der Union, ist ebenfalls für das Umweltressort im Gespräch. Wer das Bundeswirtschaftsministerium und dementsprechend die Energiekompetenz übernimmt, ist Teil des Koalitionspoker. Noch ist völlig unklar, ob es an Union oder FDP fällt. 

Quelle: ZEIT ONLINE

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