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Könnte alles so einfach sein: Gurken aus dem Spreewald - regional und natürlich. Aber Natur im eigentlichen Sinne ist längst nicht alles, was weltweit auf die Tische kommt.

© Bernd Settnik/dpa

Lebensmittel: Unsere tägliche Täuschung

Wer bringt was auf den Tisch? Was in den Läden aussieht wie die bunte Vielfalt, wird letztlich von wenigen Konzernen dominiert. Das ist - anders als die vegane Currywurst - die wahre Verbrauchertäuschung. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Zehn Tage Grüne Woche gehen zu Ende, ein Schlemmerspektakel unterm Berliner Funkturm, bei dem 1650 Aussteller aus 66 Ländern wieder mal eine kulinarische Vielfalt suggerierten, die es so im Grunde gar nicht gibt. Denn irgendwo hinter den vielen originellen Produkten und den bunt dekorierten Messeständen steckt die kleine Welt mächtiger internationaler Agrarkonzerne, die durch immer neue Fusionen immer noch kleiner wird.

Es ist eine Welt, in der es eben nicht um Grün im Sinne von Natur, von Wind, Wetter, Kuh, Schwein, Acker, Schrot und Korn geht, oder was auch immer sich noch mit der Vorstellung von Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion verbindet, sondern um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt für Saatgut, um Umsatzmilliarden, um Hightechlaborentwicklungen für Tier und Pflanze unter dem Produktivitätsprimat.

Grün ist hier vielleicht das neidische Gesicht des Konkurrenten. Denn es geht um wirtschaftliche Macht, politischen Einfluss und die Frage: Wer bringt wo was auf den Markt?

Verbrauchertäuschung ist ein Problem - ihr Inbegriff ist die moderne Tomate

Wie die Politik in dieser Frage auf Irrwege geraten kann, illustrierte jüngst der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der sich die vegane Currywurst vorknöpfen will, wie auch alle anderen veganen oder vegetarischen Produkte, die sich mit Fleischbezeichnungen schmücken. Schmidts Vorwurf an diese Artikel lautet: Verbrauchertäuschung. Er erntete dafür viel Spott und das zu Recht. Zwar gibt es im Lebensmittelsektor durchaus Verbrauchertäuschung, die zu bekämpfen wäre – aber doch nicht ausgerechnet bei den Produkten, die sich mit großen Buchstaben als genau das ausweisen, was sie sind.

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Verbrauchertäuschung liegt vor, wenn in die Irre geführt wird. Wie wäre es, wenn Schmidt sich der Tomate annähme? Eine Tomate, die wie eine tolle Tomate aussieht, aber nach nichts schmeckt. Ist das nicht der Inbegriff der Verbrauchertäuschung? Und die Menschen kaufen die Tomate trotzdem, sie wollen so gern, was sie da Schönes sehen, auch schmecken.

Umgekehrt übertrieben wird bei Erfrischungsgetränken, die immer noch mehr Durst machen, so süß, klebrig und zuckerhaltig, wie sie sind. Warum nicht gegen so etwas vorgehen?

"Landwirtschaft am Scheideweg" hieß es schon vor zehn Jahren

Vor fast zehn Jahren wurde der Weltagrarbericht vorgestellt. 60 Regierungen und 400 Experten hatten in mehrjähriger Arbeit zusammengetragen, wie die Welt bis zum Jahr 2050 zu ernähren sei, ohne die biologische Vielfalt zu zerstören. Ihr Bericht hieß „Landwirtschaft am Scheideweg“, und er war ein dringender Appell, dass es kein „Weiter so“ geben dürfe.

Aber genau das kam, und das Tempo wurde eher noch verschärft. Überdüngte Böden, zerstörte Landschaften, Artensterben, Landkäufe durch Spekulanten, immer weniger Betriebe mästen immer mehr Tiere, immer weniger Agrarkonzerne kassieren weltweit von den Klein- und Kleinstbauern für Saatgut, das nach einer Generation erschöpft ist.

Kinder haben zur Grünen Woche ihre Ansprüche an die Natur formuliert - daraus erwächst nun ein richtiger Wald: Die Berliner Forsten pflanzen für jeden Teilnehmer einen echten Baum.
Kinder haben zur Grünen Woche ihre Ansprüche an die Natur formuliert - daraus erwächst nun ein richtiger Wald: Die Berliner Forsten pflanzen für jeden Teilnehmer einen echten Baum.

© Jörg Carstensen/dpa

Weder Selbstversorgung noch Lebensmittelmultis verhindern Hunger - oder Übergewicht

Täuschend ist dennoch auch die Illusion, mit ein paar gezielten Eingriffen könnte man den global aufgestellten Sektor wieder in den Griff bekommen. So verknüpft ist alles vom Saatkorn in Indien über das Ozonloch in der Atmosphäre bis zum Wellnessdrink im Supermarktregal, dass es kaum den einen losen Faden gibt, den man ziehen könnte, um das Knäuel aufzulösen.

Ökologisch-dynamischer Bioanbau auf der Kleinparzelle allein löst auch nicht alle Welternährungsprobleme, sagen die einen. Das hat die internationalisierte hoch konzentrierte Lebensmittelbranche allerdings auch nicht geschafft, entgegnen die anderen. Denn während einerseits die Zahl der Übergewichtigen steigt, leiden 795 Millionen Menschen weltweit an Hunger.

Das Essen, das eigentlich das selbstverständlich Gute sein sollte, weil es den Menschen am Leben hält, das dazu noch schmecken könnte, entpuppt sich so bei genauerer Betrachtung allzu oft als eine ziemlich umfassende Verbrauchertäuschung. Oder soll man eher sagen: Verbraucherenttäuschung?

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