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Wissen was drin ist. Bisher werden Verbraucher nur dann informiert, wenn ihre Gesundheit gefährdet werden könnte. In Zukunft sollen Behörden auch Informationen über Verbrauchertäuschungen veröffentlichen dürfen.

© dpa

Lebensmittelskandale: Nach den Problemen nun die Lösung?

Behörden sollen in Zukunft schneller über Täuschungen bei Lebensmitteln informieren. So ist es gesetzlich geregelt. Doch es besteht keine Informationspflicht, also könnten sie es auch ganz sein lassen, kritisiert "FoodWatch".

Mit jedem Lebensmittelskandal nähern sich die Regelungen, wie die Öffentlichkeit über Gesundheitsgefahren, Hygienemängel oder Täuschungen informiert werden soll, der allerersten Formulierung des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) vom April 2002 ein wenig mehr an. Die jüngste Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB), die der Bundestag am späten Donnerstagabend beschlossen hat, weist wieder in diese Richtung.

Wie reagiert die Politik auf die Skandale der vergangenen Wochen?

Nachdem auch in Deutschland Fertiggerichte gefunden wurden, die Pferdefleisch enthielten, obwohl Rindfleisch drauf stand, haben die Verbraucherminister der Länder gemeinsam mit Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) einen „Nationalen Aktionsplan“ vereinbart. Er enthält zehn Punkte, einer davon verlangt eine bessere Information der Öffentlichkeit im Fall von Täuschungen. „Wir haben schnell gehandelt“, sagte Ilse Aigner am Donnerstag zufrieden. Sie ist überzeugt, dass die Rechtslage für die zuständigen Länderbehörden und kommunalen Ämter durch einen hopplahopp ins LFGB eingefügten neuen Absatz nun viel klarer wird. Am Mittwoch hat der Agrarausschuss akzeptiert, die Gesetzesänderung nachträglich noch aufzunehmen. Ursprünglich sollte es vor allem um neue Regeln für Futtermittelhersteller gehen – eine Konsequenz aus dem Dioxinskandal 2010 und, wie Aigner anmerkte, „der letzte noch offene Punkt des Dioxin-Aktionsplans“.

Nun sollen also Behörden ermächtigt werden, Produkte und Firmen öffentlich zu machen, wenn sie Verbraucher grob getäuscht haben oder ein „hinreichender Verdacht“ besteht, dass sie das getan haben könnten. Im Falle des Pferdefleischs haben Bund und Länder diese Information gemeinsam auf einer Internetplattform veröffentlicht. Wird Pferdefleisch statt Rindfleisch gefunden, steht das Untersuchungsergebnis auf www.pferdefleisch-rueckrufe.de. Im Fall der umfangreichen Ermittlungen wegen Verstößen gegen die Hühnerhaltungsregeln für die Vermarktung von Eiern dagegen hilft das neue Gesetz den Behörden nicht. Denn die Staatsanwaltschaft Oldenburg, die allein gegen 150 Hennenhalterbetriebe in Niedersachsen ermittelt, rückt die Namen bisher nicht heraus.

Werden Verbraucher nun besser informiert?

Die Formulierung des Gesetzes überlässt es weiterhin dem Ermessen der Behörden, ob sie entsprechende Informationen veröffentlichen. Das, sagte Aigner, sei Ländersache. Es gibt zwar inzwischen eine gemeinsame Informationsplattform von Bund und Ländern, auf der Warnungen vor gesundheitsschädlichen Lebensmitteln veröffentlicht werden – www.Lebensmittelwarnung.de –, doch Untersuchungsergebnisse von Kontrollen oder grobe Täuschungen werden regional, in der Regel auf Kreisebene veröffentlicht - oder auch nicht. Offenbar haben die wenigsten Länder zentralen Informationsseiten. Bayern ist eine Ausnahme. Bei den Landkreisen hilft auch nur das Telefon weiter. Selbst wenn die Landkreise offensiver informieren wollten, dürfen sie das nur dann, wenn bewiesen ist, dass Verstöße stattgefunden haben – also mindestens zwei Analyseergebnisse von verschiedenen akkreditierten Laboren vorliegen, oder Bußgelder bereits verhängt sind. Auch in Zukunft werden die Behörden Schadenersatzklagen betroffener Firmen fürchten müssen – und entsprechend vorsichtig sein mit ihren Veröffentlichungen.

„Wenn aber mit krimineller Energie betrogen wird, hat der Verbraucher gar keine Chance, sich zu informieren“, sagte Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg der Nachrichtenagentur dpa. Anne Markwardt von der Verbraucherorganisation Foodwatch sagt: „Wer nur informieren soll und nicht informieren muss, der darf das Informieren auch sein lassen – genau das ist das Problem.“ Die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, warf Aigner vor, dass sie eine „unsichere Rechtslage und Verwirrung der Behörden“ erzeuge. SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber nannte die Ministerin einmal mehr „Lobbys Liebling“.

Tatsächlich hatte Renate Künast 2002 als Verbraucherministerin mit ihrem Entwurf für ein Verbraucherinformationsgesetz eine klare Rechtsgrundlage für solche Behördeninformationen schaffen wollen. In dem vom Bundestag gebilligten, vom damals von Union und FDP beherrschten Bundesrat dann aber abgelehnten Gesetz heißt es, die Behörden dürften Produkt und Erzeuger nennen, „wenn bei der Herstellung, der Behandlung oder dem Inverkehrbringen eines Erzeugnisses gegen verbraucherschützende Rechtsvorschriften in nicht unerheblichem Ausmaß verstoßen worden ist.“

Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen

Wie hoch ist das Risiko für Unternehmen?

Die Rechtsgrundlage für die meisten Lebensmittelkontrollen kommt aus Brüssel. Der Bund setzt in der Regel den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung der europäischen Vorgaben, und die Länder sind für die Umsetzung zuständig. Deshalb ist das am Donnerstag beschlossene Gesetz auch im Bundesrat zustimmungspflichtig. Dort rechnet Aigner nicht mit größerem Widerstand, weil die Änderung Teil des Pferdefleisch-Aktionsplans sei, der mit den Ländern gemeinsam vereinbart worden sei, sagte einer ihrer Sprecher. In den meisten Bundesländern sind die Lebensmittelkontrollen bei kommunalen Behörden angesiedelt. Je nach Finanzlage der Kommune kann das Niveau der Kontrolle sehr unterschiedlich ausfallen. Für eine Reihe von Schadstoffen gibt es aber auch bundesweite Messsysteme. Wird beispielsweise irgendwo erhöhte Radioaktivität festgestellt, informieren die Bundesbehörden die entsprechenden Landesbehörden, damit Lebensmittel oder Trinkwasser getestet werden können. Darüber hinaus gibt es die Eigenkontrollen der Branchen selbst. Zudem gibt es ein eigenes Kontrollsystem für Ökobetriebe. Zertifizierungsfirmen müssen sich beim Bund eine Zulassung beschaffen.

Für Unternehmen kann der wirtschaftliche Schaden groß sein, wenn ihnen Regelverstöße nachgewiesen werden. Nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern auch Reputationsverluste können die Folge sein. Aus diesem Grund rät der Agrarökonom Justus Wesseler von der Technischen Universität München Molkereien davon ab, ihre Produkte mit dem Label „gentechnikfrei“ zu vermarkten. Dafür müssten sie Milch von Tieren kaufen, die kein genverändertes Futter erhalten haben. „Aus ökonomischer Sicht ist es riskant, sich dort zu engagieren, weil die Auflagen nicht zu erfüllen sind.“

Wie gut sind die Deutschen informiert?

„Die Wissenschaft muss verständlicher formulieren, was eine Gefahr darstellt und was nicht“, sagt Gaby-Fleur Böl vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Viele Verbraucher seien stark verunsichert und schätzten die Gefahr durch Lebensmittel höher ein als sie aus naturwissenschaftlicher Sicht sei. Das liege häufig daran, dass viele Bürger nur oberflächlich informiert seien. So habe der Dioxinskandal dazu geführt, dass Menschen wochenlang keine Eier mehr gegessen hätten. „Man hätte bedenkenlos zwei Eier pro Tag essen können“, meint Böl. Außerdem habe eine repräsentative Umfrage des BfR ergeben, dass zwei Drittel der Deutschen fälschlicherweise glauben, dass Reste von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln nicht erlaubt seien. Von einem französischen Wein, in dem Pestizide gefunden worden waren, hätte man 2000 Jahre lang jeden Tag zwei Liter trinken müssen, bis ein Gesundheitsrisiko entstehen würde, argumentiert sie.

„Die Qualität von Lebensmitteln in Deutschland ist heute so hoch wie nie“, ist die Biochemikerin Böl überzeugt. Es könne allerdings nicht sein, dass Verbraucher in der „Holschuld“ sind und sich jeden Tag vor dem Einkaufen im Internet über Produkte informieren müssten, findet sie. „Angebotene Produkte müssen in Ordnung sein.“ Das neue Gesetz, das Landeskontrollbehörden erlaubt, Fälle von Lebensmitteltäuschung publik zu machen, sieht Böl skeptisch, weil es möglicherweise noch mehr Ängste erzeuge. Um das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen, müsse man Fälle schneller juristisch ahnden und die Lieferketten transparenter machen, meint sie.

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