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„Herr Steinbrück kann es eben nicht“: Im Tagesspiegel-Interview spricht FDP-Chef Rösler dem SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wegen dessen wegen NSA-Kritik die Kanzler-Befähigung ab.

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Lehren aus dem NSA-Abhörskandal?: Rösler: "Es gibt kein Super-Grundrecht auf Sicherheit"

Im Tagesspiegel-Interview spricht FDP-Chef Philipp Rösler über die Lehren, die man aus dem NSA-Abhörskandal ziehen könnte, über die Aufklärungsarbeit der Regierung, die Chancen einer Ampelkoalition - und über den Kanzlerkandidaten der SPD.

Von Antje Sirleschtov

Herr Rösler, erinnern Sie sich noch an den Amtseid, den Sie und auch Kanzlerin Angela Merkel zu Beginn Ihrer Amtszeit 2009 geleistet haben?
Natürlich. Ich habe unter anderem geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Welche Bedeutung hat dieser Eid für Sie?
Ich habe zum ersten Mal bei der Bundeswehr als Zeitsoldat einen Eid geschworen und dann noch einmal bei der Ernennung zum Minister. Das war immer etwas ganz Besonderes und hat daher große Bedeutung für mich.
Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat der SPD, hat der Kanzlerin vorgeworfen, sie habe ihren Amtseid verletzt, weil sie nicht verhindert hat, dass der amerikanische Geheimdienst NSA millionenfach die Kommunikationsdaten der Deutschen ausgespäht hat. Haben Sie als Mitglied der Bundesregierung auch Ihren Eid gebrochen?
Der Vorwurf von Herrn Steinbrück ist maßlos überzogen. Richtig ist, dass in Sachen Abhören und Datenschutz offenbar Dinge passiert sind, die nicht hingenommen werden können und die nach Aufklärung verlangen. Darum kümmern sich die Bundeskanzlerin und die verantwortlichen Minister. Alles andere ist Wahlkampfrhetorik eines sehr verzweifelten Spitzenkandidaten der SPD. Die Kanzlerin und die gesamte Regierung sind sich der Schwierigkeit der Situation und ihrer Verantwortung bewusst. Die Äußerungen von Herrn Steinbrück sind hingegen unseriös, ja verantwortungslos. Dieses Thema hat große Bedeutung für Deutschland und die Menschen und eignet sich nicht für Wahlkampfpolemik. Das sollte ein Mann, der Kanzler werden will, eigentlich wissen. Seine Äußerungen zeigen: Herr Steinbrück kann es eben nicht.

Hat der amerikanische Geheimdienst die Grundrechte der Deutschen auf informationelle Selbstbestimmung missachtet?
Das muss aufgeklärt werden. Wir wissen noch immer nicht ausreichend, was geschehen ist. Deshalb hat Aufklärung weiterhin erste Priorität. Erst danach werden wir bewerten können, was passiert ist.

Wie haben Sie davon erfahren?
Vor allem durch die Medienberichterstattung über Edward Snowden.

Sie sind Vorsitzender einer liberalen Partei, die sich den Schutz der Bürgerrechte besonders auf die Fahne geschrieben hat. Sind Sie nicht entsetzt?
Natürlich bin ich alarmiert. Als Liberaler habe ich ein besonderes Interesse daran, zu erfahren, was wirklich geschehen ist und in welchem Umfang. Aus unserer liberalen Tradition heraus sind wir Motor in der Regierung bei der Aufklärung. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Rainer Brüderle und ich haben sofort einen 13-Punkte-Katalog für mehr Datenschutz und Datensicherheit in Deutschland und Europa vorgelegt, den die gesamte Regierung jetzt im Wesentlichen übernommen hat.

Müssen Frau Merkel und Innenminister Hans-Peter Friedrich bei der Aufklärung der Vorgänge angetrieben werden?
Der Innenminister ist in die USA geflogen und hat mit den Amerikanern gesprochen. Das ist ein erster richtiger Schritt. Aber eben nur ein erster. Wir stehen erst am Anfang, wenn es darum geht, für Aufklärung zu sorgen. Jetzt darf die Regierung nicht lockerlassen. Darauf werden wir Liberale weiterhin drängen.

Haben Sie nicht zumindest eine Entschuldigung der Amerikaner erwartet?
Die Amerikaner haben schon immer ein anderes Verständnis von Datenschutz gehabt als wir. Dann kam der 11. September 2001 und hat das Sicherheitsbedürfnis der Amerikaner deutlich verstärkt. Das muss man einfach sehen als Nicht- Amerikaner. Das hat die amerikanische Seele tief getroffen. Ich kann nachvollziehen, dass daraus Maßnahmen resultieren, die wir in Deutschland niemals ergreifen würden, die die Amerikaner aber aus ihrer Sicht für notwendig erachten, um Terrorismus zu bekämpfen und Schaden von ihrem Volk abzuwenden. Ich als Liberaler in Deutschland definiere allerdings die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit definitiv anders.

Was kann eine deutsche Regierung tun, um uns vor Geheimdiensten zu schützen, denen offenbar im Interesse der amerikanischen Sicherheit jedes Mittel recht ist?
Zunächst einmal geht es darum, unser eigenes Recht auf informationelle Selbstbestimmung deutlich zu artikulieren. Das tut die Bundesregierung, und sie wird das gegenüber den Amerikanern noch deutlicher tun, wenn wir den Umfang des Abhörens genau kennen. Dabei müssen wir auch unser Verständnis von der Verhältnismäßigkeit der Mittel erläutern, dass eben die Mittel, die wir zur Abwendung einer Gefahr einsetzen, auch in einem vernünftigen Verhältnis zum Ausmaß der Gefahr stehen müssen. Aber wir können auch konkret etwas tun. Unter anderem gibt es noch immer Vereinbarungen mit den USA aus der Nachkriegszeit, die den Amerikanern aus ihrem Verständnis einer Besatzungsmacht Sonderrechte gewähren. Eine solche Verwaltungsvereinbarung aus dem Jahre 1968 wollen wir jetzt aufheben. Gleichzeitig werden wir mit den Amerikanern darüber sprechen, dass sie sich verpflichten, unsere Grundrechte zu respektieren. Unter Freunden, und das sind Deutsche und Amerikaner, muss man sich sagen können, wenn etwas nicht in Ordnung ist.

"Die Amerikaner haben gesagt, sie hätten Daten nur zur Terrorismusbekämpfung genutzt."

„Herr Steinbrück kann es eben nicht“: Im Tagesspiegel-Interview spricht FDP-Chef Rösler dem SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wegen dessen wegen NSA-Kritik die Kanzler-Befähigung ab.
„Herr Steinbrück kann es eben nicht“: Im Tagesspiegel-Interview spricht FDP-Chef Rösler dem SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wegen dessen wegen NSA-Kritik die Kanzler-Befähigung ab.

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Ist das deutsch-amerikanische Verhältnis ruiniert?
Nein. Aber ich nehme aus der Opposition heraus schon Stimmen wahr, die antiamerikanische Ressentiments schüren könnten. Die Amerikaner sind aber außerhalb Europas nach wie vor unser wichtigster Partner.

Der Innenminister findet, im Verhältnis der Grundrechte Freiheit und Sicherheit gebührt der Sicherheit das Prädikat eines „Super-Grundrechtes“. Müssen wir die amerikanischen Spähaktionen hinnehmen, um sicher vor Anschlägen leben zu können?
Das angebliche Grundrecht auf Sicherheit war eine Erfindung des früheren SPD-Innenministers Otto Schily, dem die Befugnisse der Sicherheitsbehörden gar nicht weit genug gehen konnten. Mein Verständnis von Grundrechten ist das nicht, und schon gar nicht gibt es ein Super-Grundrecht auf Sicherheit. Ich bezweifle auch, dass das bloße massenhafte Ausspähen von Daten in großem Umfang zur Verhinderung von Terroranschlägen führt. Man verteidigt die Freiheit nicht, indem man sie über Bord wirft. Die Menschen haben Anspruch darauf, dass eine Regierung für ihre Sicherheit sorgt. Das tun wir auch. Aber wir Liberale verstehen Grundrechte vor allem als Schutzrechte, als Bürgerrechte, damit der Staat nicht übermächtig wird. Es geht darum, die Freiheit des Einzelnen zu wahren.

Herr Friedrich hat die Deutschen auch dazu aufgefordert, ihre Daten besser zu schützen. Hat er recht?
Als Schutz vor Geheimdiensten reicht das nicht aus. Natürlich gilt grundsätzlich: Man muss verantwortungsvoll mit seinen Daten umgehen. Wer seine Adresse, persönliche Daten und Bilder ins Internet stellt, muss wissen, dass sie mehr oder weniger öffentlich sind. Deshalb muss sich jeder überlegen, wie weit er dabei geht. Das entbindet aber eine Bundesregierung nicht von der Verpflichtung, für Datenschutz und Datensicherheit ihrer Bürger zu sorgen.

Können Sie als Wirtschaftsminister ausschließen, dass Geschäftsgeheimnisse deutscher Unternehmen nun in den Händen der US-Geheimdienste liegen?
Die Amerikaner haben gesagt, sie hätten Daten nur zur Terrorismusbekämpfung genutzt. Wir werden der Sache aber weiter nachgehen. Bei der Sicherheit von Unternehmensdaten stehen wir grundsätzlich erst am Anfang. Aber das Thema wird von der Wirtschaft und der Regierung mit Hochdruck bearbeitet. Große Unternehmen sind schon sehr weit beim Umgang mit dem Netz und mit ihren sensiblen Daten. Wir als Ministerium beraten in erster Linie mittelständische Unternehmen, gerade wenn sie im internationalen Wettbewerb stehen. Vor Geheimdienst-Profis kann man sich wahrscheinlich nie völlig schützen. Aber zumindest gegen Spionage durch andere Unternehmen muss man unsere Wirtschaft weiter stärken.

Herr Rösler, Ihre Partei wehrt sich seit Jahren gegen eine monatelange Vorratsdatenspeicherung zur Kriminalitätsbekämpfung. Fühlen Sie nun nach den jüngsten Enthüllungen eine gewisse Genugtuung?
Man hat uns Liberalen in den vergangenen Jahren immer wieder vorgeworfen, wir würden die Sicherheit der Menschen aufs Spiel setzen, wenn wir der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung nicht zustimmen. Jetzt sieht man, wie richtig es war, der hemmungslosen Datenspeicherung einen Riegel vorzuschieben. Die Öffentlichkeit hat auf einmal erkannt, was passieren kann, wenn ihre Daten unkontrolliert gespeichert werden. Es hat ein Umdenkprozess begonnen. Ohne die FDP wäre das nie passiert. Lange hat man uns wegen unseres Eintretens für die Bürgerrechte kritisiert. Jetzt zeigt sich, das unsere Beharrlichkeit richtig war.

Der amerikanische Geheimdienst als Helfer der FDP im Bundestagswahlkampf?
Unabhängig von Wahlkampfzeiten steht die FDP für Bürgerrechte. Die Debatte bestätigt unseren Kurs, und das merken wir an den Reaktionen der Menschen. Wir haben in unserer Geschichte immer auf der Seite der Bürgerrechte gestanden und sind nun in Zeiten des Internets besonders gefordert. Wenn die Bürgerrechte jetzt wieder stärker zum Thema werden, dann kann das nur gut sein.

Herr Rösler, steht die FDP nach der Bundestagswahl als Schutzmacht der Bürgerrechte auch in einer Koalition mit SPD und Grünen zur Verfügung?
Definitiv nicht. Es gibt zu viele Themen, bei denen wir gegensätzliche Positionen haben. Gerade für SPD und Grüne haben Bürgerrechte in der Vergangenheit keine besondere Rolle gespielt. Die Grünen wollen bevormunden, wir setzen auf Freiheit und Verantwortung des Einzelnen. Mit uns sind keine Steuererhöhungen und schon gar keine Substanzsteuern zu machen. Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien machen es Sozialdemokraten und Grüne immer nur noch teurer.

Werden Sie vor der Wahl einen Eid des FDP-Vorsitzenden darauf schwören, nach der Wahl keiner Ampelkoalition beizutreten?
Auf unterschiedlichen politischen Zielen kann man keine Regierung aufbauen. Regieren ist keine Frage der Mathematik, sondern der Übereinstimmung programmatischer Ansätze. Jeder muss deshalb wissen: SPD und Grüne und FDP, das passt nicht zusammen.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.

Zur Person

Parteichef: Seit Mai 2011 ist Philipp Rösler Chef der FDP. Er startete als große Hoffnung der Liberalen auf inhaltliche Erneuerung nach der Ära seines Vorgängers, Guido Westerwelle. Lange war er verfolgt von Pleiten und Pannen, zum Jahreswechsel musste er sogar um sein Amt fürchten. Jetzt gilt er als unumstritten.

Vizekanzler: Neun Wochen vor der Bundestagswahl steckt Rösler in einem Dilemma. Als Liberaler müsste er eigentlich die Union dafür geißeln, dass sie so wenig für die Aufklärung der US-Datenaffäre tut. Doch Röslers FDP muss gleichzeitig Streit mit dem Koalitionspartner vermeiden, um die Bestätigung von Schwarz-Gelb nicht zu gefährden.

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