Politik: Leitartikel: Partei ohne Mitte
Erwachsene Menschen werden in unserem Land jeden Tag mit rund 38 000 Wörtern konfrontiert, und so viele rauschen einfach vorbei. Politiker tun also sich und dem Publikum einen Gefallen, wenn sie mit Worten haushalten, sie mit Bedacht wählen.
Erwachsene Menschen werden in unserem Land jeden Tag mit rund 38 000 Wörtern konfrontiert, und so viele rauschen einfach vorbei. Politiker tun also sich und dem Publikum einen Gefallen, wenn sie mit Worten haushalten, sie mit Bedacht wählen. Das ist aber zurzeit nicht so. Gegenwärtig werden wieder Aussagen gestapelt, in Leerplätzen. Etwas Restaurationspathos von den Konservativen, abgenutzte Reformideologismen von den Linken - hat sich etwas Wesentliches geändert? Der Zustand der amtierenden Regierung nähert sich dem der vorherigen - schon nach dreieinhalb Jahren. Das scheint in der SPD aber niemanden weiter zu beunruhigen. Darüber muss man mal reden.
Populismus, Anmaßung und ein Mangel an Perspektive: Das sind die Vorwürfe, die Schwarz-Gelb an die Adresse von Rot-Grün richtet. So ist es natürlich nicht, so einfach. Sonst fiele die Wahl ja leicht, dann müsste nur der viel zitierte "Steuermann" gewechselt werden, und alles käme schnell auf Kurs. Doch die gesellschaftliche Realität ist anders, weniger schlicht. Es sprechen viele mit, Interessengruppen, Kartelle, Verbände. Und dann ist da der Wunsch nach umfassender Kompetenz, nach Omnipotenz der Politik, der sich immer wieder an der Erkenntnis stößt, dass Politik weniger als erwartet zu leisten vermag. Was bleibt, ist die Gefahr allgemeiner Unzufriedenheit, weil die Versprechungen oft groß sind, die Fähigkeit zum Handeln aber immer wieder stagniert. Was auch die vergangene Woche zeigt.
Das erste Beispiel: Wie oft hat die Gesundheitsministerin davon geredet, dass nun die Lösung zur richtigen Verteilung der Kosten gefunden sei. Dabei hatten die Sachverständigen im Gesundheitswesen der Ministerin geraten, zuerst ihre politischen Ziele zu formulieren, und danach die Einnahmesituation der Kassen anzupassen. Ulla Schmidt aber hält es umgekehrt - und macht damit dieselben Fehler, wie sie jahrzehntelang in der Rentenversicherung üblich waren. Die Einnahmegrundlage wird drastisch ausgeweitet, die Ausgaben werden von der Pharma-Polizei kontrolliert. Wie aber das Ziel erreicht werden soll, die Gesundheitsversorgung in Deutschland besser und effizienter zu machen, sagt die Ministerin nicht.
Das zweite Beispiel: Wie oft hat der Verteidigungsminister davon geredet, dass er die Lösungen für die Armee der Zukunft vorgelegt habe. Dabei haben die Sachverständigen in der Weizsäcker-Kommission ihm schon vor Jahren geraten, mindestens die Kassenlage seinem politischen Ziel anzupassen, dem Erhalt der Wehrpflichtarmee. Besser aber wäre es, die Ziele neu zu formulieren. Davon ist Rudolf Scharping weit entfernt. Weder in der Sache noch im Blick auf die Finanzen glaubt ihm eine Mehrheit, dass sein großes Reformprojekt zum Erfolg wird. Aber der Autoritätsverlust schreitet fort, und er wird Tag für Tag von ihm vorangetrieben.
Das dritte Beispiel - und alle drei wirken sie analog: Wie oft hat der Generalsekretär davon geredet, dass die SPD anders als die Union schonungslos ihre Affäre aufkläre, dass sie Transparenz schaffe. Franz Müntefering hat drohend nach innen geredet, in die Partei hinein. Er, der Funktionär, erschien sehr aufrecht, kraftvoll, autoritär. Jetzt aber steht er unter Druck, und der Habitus bröckelt. Hat er die Wahrheit im Untersuchungsausschuss des Bundestages gesagt oder ein bisschen davon verschwiegen? Nicht nur Münteferings Sätze winden sich. Dabei war zuletzt der Moralismus das, worin sich die SPD wiederfinden konnte, nachdem sie sich an Inhaltlichem nicht mehr recht begeistern kann.
Und was wird sich ändern? Auch nach dieser Woche: nichts. Ulla Schmidt wird bleiben, Rudolf Scharping auch, genauso Franz Müntefering. Es ist doch Wahlkampf, da muss alles zusammengehalten werden. Der Kanzler und SPD-Vorsitzende wird sie in ihren Ämtern halten, nicht aus Solidarität allein, sondern weil sich keine Alternativen aufdrängen, in denen sich die Zukunft der SPD offenbart. Die Partei ist längst zurückgetreten. Schröder verliert an Autorität, wenn auch noch nicht an Image. Noch traut man ihm den "Steuermann" zu, die Aufgabe dessen, der einen Kurs halten kann. Nur welchen? Vielleicht sollte er mal eine Rede halten, die man nicht so schnell vergisst.
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