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Historische Altstadt. Polen, Ukrainer und Juden lebten in dieser Stadt einst Seite an Seite, doch die schreckliche Geschichte des 20. Jahrhunderts hat auch hier, im alten Galizien, tiefe Wunden hinterlassen.

© picture alliance / dpa

Politik: LEMBERG

Eine umstrittene Symbolfigur und ein Stadion ohne Verkehrsanbindung.

Wie so viele frühere sowjetische Städte hat auch Lemberg seine kontroverse Geschichte in Stahl gegossen. Nur dass es hier, im Westen der Ukraine, kein kommunistischer Antreiber, sondern ein nationalistischer Kämpfer ist, an dessen alter Statue sich die Gemüter immer wieder erhitzen. Stepan Bandera, Symbolfigur des Kampfs für eine unabhängige Ukraine, der sich zwischenzeitlich mit den Nationalsozialisten verbrüdert hatte, gilt vielen Lembergern immer noch als Held. Auch bei der Annäherung an Polen, zu dem Lemberg bis zum Zweiten Weltkrieg gehörte, spielt der Vorzeigenationalist Bandera eine Rolle, allerdings eine destruktive. Seine Aufstandsarmee UPA soll nach Schätzungen einiger polnischer Historiker zwischen 1942 und 1944 bis zu 100 000 Zivilisten getötet haben. Kein Wunder also, dass das beliebte „Partisanennest“ – eine Lemberger Kellerbar im Schützengrabenstil mit Bandera-Bildern an der Wand – bei vielen Kopfschütteln auslöst. In der westlichen Ukraine wiederum hat man die Unterdrückung der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung im Vorkriegspolen nicht vergessen. Leicht ist die Annäherung nicht.

Ihrer Rolle als Scharnier zwischen den beiden EM-Gastgeberländern hat die Stadt Lemberg es wohl zu verdanken, dass sie nicht gegen eine andere Stadt ausgetauscht wurde, denn nirgendwo lief die Vorbereitung so problematisch. Der lokale Oligarch Petro Deminski – natürlich auch Präsident des lokalen Fußballvereins Karpaty – hatte sich in die Schmollecke verzogen, nachdem ihm die Verwaltung im Gegenzug für sein Engagement nicht die gewünschten Grundstücke in der Altstadt übergeben wollte. Die Stadt und der Mann mit dem Geldbeutel einigten sich zwar, allerdings zu spät, um auch noch den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Sogar der ukrainische Vizepremier ätzte, Lemberg habe „sein Stadion weitab der Stadt ins Feld gebaut“.

Deminskis harte Haltung lag vielleicht auch darin begründet, dass er im Gegensatz zu einem Oligarchen-Konkurrenten aus dem Osten des Landes eher mit den lokalen Behörden streitet, statt diese zu kontrollieren. In einer Liste der 100 mächtigsten Ukrainer wird er nur auf Platz 95 geführt. Achmetow (4), Jaroslawski (22) und Surkis (34) rangieren deutlich höher. Bis Lemberg wirtschaftlich und politisch mit dem Rest des Landes mithalten kann, wird also noch viel Zeit vergehen.

Als Hort der Kultur ist es in der ganzen Ukraine aber unerreicht. Denn abseits aller geschichtlichen Wunden zeigt sich die Altstadt von Lemberg als eine der interessantesten und ältesten in ganz Osteuropa. Vom Barock bis zum Jugendstil sind hier die meisten bedeutenden Architekturepochen vertreten, Lemberg war früher Heimat vieler Nationen. Auch Deutsche, Polen und Juden haben die Stadt geprägt. Wie penibel Lemberg sein Erbe schützt, bewies es 2006, als die schon geplanten Feiern zum 750-jährigen Jubiläum um mehrere Monate verschoben wurden, da der Stuck noch von den Kaufmannshäusern bröckelte. Nik Afanasjew

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